Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen


Скачать книгу

wieder aufzurichten, die heldenmütige Tat eines edeln Bruders zu belohnen und unser eigen Glück auf ewig zu befestigen? – Meine Freunde um die ich's nicht verdient habe, meine Freunde, die es sein müssen, weil Sie Freunde der Tugend sind, zu der ich rückkehre, verbinden Sie Ihr Flehen mit dem meinigen! Marie! Er wirft sich nieder. Marie! Kennst du meine Stimme nicht mehr? Vernimmst du nicht mehr den Ton meines Herzens? Marie! Marie!

      MARIE. O Clavigo!

      CLAVIGO springt auf und faßt ihre Hand mit entzückten Küssen. Sie vergibt mir, sie liebt mich! Er umarmt den Guilbert, den Buenco. Sie liebt mich noch! O Marie, mein Herz sagte mir's! Ich hätte mich zu deinen Füßen werfen, stumm meinen Schmerz, meine Reue ausweinen wollen; du hättest mich ohne Worte verstanden, wie ich ohne Worte meine Vergebung erhalte. Nein, diese innige Verwandtschaft unserer Seelen ist nicht aufgehoben; nein, sie vernehmen einander noch wie ehemals, wo kein Laut, kein Wink nötig war, um die innersten Bewegungen sich mitzuteilen. Marie – Marie – Marie! –

      Beaumarchais tritt auf.

      BEAUMARCHAIS. Ha!

      CLAVIGO ihm entgegen fliegend. Mein Bruder!

      BEAUMARCHAIS. Du vergibst ihm?

      MARIE. Laßt, laßt mich! Meine Sinne vergehn. Man führt sie weg.

      BEAUMARCHAIS. Sie hat ihm vergeben?

      BUENCO. Es sieht so aus.

      BEAUMARCHAIS. Du verdienst dein Glück nicht.

      CLAVIGO. Glaube, daß ich's fühle!

      SOPHIE kommt zurück. Sie vergibt ihm. Ein Strom von Tränen brach aus ihren Augen. »Er soll sich entfernen«, rief sie schluchzend, »daß ich mich erhole! Ich vergeb ihm. Ach Schwester!« rief sie und fiel mir um den Hals, »woher weiß er, daß ich ihn so liebe?«

      CLAVIGO ihr die Hand küssend. Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne. Mein Bruder!

      BEAUMARCHAIS umarmt ihn. Von Herzen denn. Ob ich Euch schon sagen muß: noch kann ich Euch nicht lieben. Und somit seid Ihr der Unsrige, und vergessen sei alles! Das Papier, das Ihr mir gabt, hier ist's. Er nimmt's aus der Brieftasche, zerreißt es und gibt's ihm hin.

      CLAVIGO. Ich bin der Eurige, ewig der Eurige.

      SOPHIE. Ich bitte, entfernt Euch, daß sie Eure Stimme nicht hört, daß sie sich beruhigt.

      CLAVIGO sie rings umarmend. Lebt wohl! Lebt wohl! – Tausend Küsse dem Engel! Ab.

      BEAUMARCHAIS. Es mag denn gut sein, ob ich gleich wünschte, es wäre anders. Lächelnd. Es ist doch ein gutherziges Geschöpf, so ein Mädchen – Und, meine Freunde, auch muß ich's sagen: es war ganz der Gedanke, der Wunsch unsers Gesandten, daß ihm Marie vergeben und daß eine glückliche Heirat diese verdrießliche Geschichte endigen möge.

      GUILBERT. Mir ist auch wieder ganz wohl.

      BUENCO. Er ist euer Schwager, und so adieu! Ihr seht mich in eurem Hause nicht wieder.

      BEAUMARCHAIS. Mein Herr!

      GUILBERT. Buenco!

      BUENCO. Ich haß ihn nun einmal bis ans Jüngste Gericht. Und gebt acht, mit was für einem Menschen ihr zu tun habt! Ab.

      GUILBERT. Er ist ein melancholischer Unglücksvogel. Und mit der Zeit läßt er sich doch wieder bereden, wenn er sieht, es geht alles gut.

      BEAUMARCHAIS. Doch war's übereilt, daß ich ihm das Papier zurückgab.

      GUILBERT. Laßt! Laßt! Keine Grillen! Ab.

      Vierter Akt

      Clavigos Wohnung.

      CARLOS allein. Es ist löblich, daß man dem Menschen, der durch Verschwendung oder andere Torheiten zeigt, daß sein Verstand sich verschoben hat, von Amts wegen Vormünder setzt. Tut das die Obrigkeit, die sich doch sonst nicht viel um uns bekümmert, wie sollten wir's nicht an einem Freunde tun? Clavigo, du bist in übeln Umständen! Noch hoff' ich! Und wenn du nur noch halbweg lenksam bist wie sonst, so ist's eben noch Zeit, dich vor einer Torheit zu bewahren, die bei deinem lebhaften, empfindlichen Charakter das Elend deines Lebens machen und dich vor der Zeit ins Grab bringen muß. Er kommt.

      Clavigo nachdenkend.

      CLAVIGO. Guten Tag, Carlos.

      CARLOS. Ein schwermütiges, gepreßtes: Guten Tag! Kommst du in dem Humor von deiner Braut?

      CLAVIGO. Es ist ein Engel! Es sind vortreffliche Menschen!

      CARLOS. Ihr werdet doch mit der Hochzeit nicht so sehr eilen, daß man sich noch ein Kleid dazu kann sticken lassen?

      CLAVIGO. Scherz oder Ernst, bei unserer Hochzeit werden keine gestickten Kleider paradieren.

      CARLOS. Ich glaub's wohl.

      CLAVIGO. Das Vergnügen an uns selbst, die freundschaftliche Harmonie sollen der Prunk dieser Feierlichkeit sein.

      CARLOS. Ihr werdet eine stille, kleine Hochzeit machen?

      CLAVIGO. Wie Menschen, die fühlen, daß ihr Glück ganz in ihnen selbst beruht.

      CARLOS. In den Umständen ist es recht gut.

      CLAVIGO. Umständen! Was meinst du mit den Umständen?

      CARLOS. Wie die Sache nun steht und liegt und sich verhält.

      CLAVIGO. Höre, Carlos, ich kann den Ton des Rückhalts an Freunden nicht ausstehen. Ich weiß, du bist nicht für diese Heirat; demungeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst: so sag's geradezu! Wie steht denn die Sache? wie verhält sie sich?

      CARLOS. Es kommen einem im Leben mehr unerwartete, wunderbare Dinge vor, und es wäre schlimm, wenn alles im Gleise ginge. Man hätte nichts, sich zu verwundern, nichts, die Köpfe zusammenzustoßen, nichts in Gesellschaft zu verschneiden.

      CLAVIGO. Aufsehn wird's machen.

      CARLOS. Des Clavigo Hochzeit! das versteht sich. Wie manches Mädchen in Madrid harrt auf dich, hofft auf dich, und wenn du ihnen nun diesen Streich spielst?

      CLAVIGO. Das ist nun nicht anders.

      CARLOS. Sonderbar ist's. Ich habe wenig Männer gekannt, die so großen und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten als du. Unter allen Ständen gibt's gute Kinder, die sich mit Planen und Aussichten beschäftigen, dich habhaft zu werden. Die eine bringt ihre Schönheit in Anschlag, die ihren Reichtum, ihren Stand, ihren Witz, ihre Verwandte. Was macht man mir nicht um deinetwillen für Komplimente! Denn wahrlich, weder meine Stumpfnase, noch mein Krauskopf, noch meine bekannte Verachtung der Weiber kann mir so was zuziehen.

      CLAVIGO. Du spottest.

      CARLOS. Wenn ich nicht schon Vorschläge, Anträge in Händen gehabt hätte, geschrieben von eignen zärtlichen, kritzlichen Pfötchen, so unorthographisch, als ein originaler Liebesbrief eines Mädchens nur sein kann. Wie manche hübsche Duenna ist mir bei der Gelegenheit unter die Finger gekommen!

      CLAVIGO. Und du sagtest mir von allem dem nichts?

      CARLOS. Weil ich dich mit leeren Grillen nicht beschäftigen wollte, und niemals raten konnte, daß du mit einer einzigen Ernst gemacht hättest. O Clavigo, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen wie mein eigenes! Ich habe keinen Freund als dich; die Menschen sind mir alle unerträglich, und du fängst auch an, mir unerträglich zu werden.

      CLAVIGO. Ich bitte dich, sei ruhig!

      CARLOS. Brenn einem das Haus ab, daran er zehen Jahre gebauet hat, und schick ihm einen Beichtvater, der ihm die christliche Geduld empfiehlt! – Man soll sich für niemand interessieren als für sich selbst; die Menschen sind nicht so wert – –

      CLAVIGO. Kommen deine feindseligen Grillen wieder?

      CARLOS. Wenn ich aufs neue ganz drein versinke, wer ist schuld dran als du? Ich sagte zu mir: Was soll ihm jetzt die vorteilhafteste Heirat? ihm, der es für einen gewöhnlichen Menschen weit genug gebracht hätte; aber mit seinem