Ewa A.

Liebesengel küssen nicht


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reagiert nicht, und Artreus nimmt das oberste Blatt eines Berichtes, der vor ihm liegt, und zerknüllt es. Den satten Papierball wirft er mit Schmackes zielgenau gegen Hectors Hinterkopf, der sich sofort umdreht und den Schuldigen sucht. Artreus hebt die Hand, und Hector brüllt: »Was ist, drückt dir dein enges Shirt die Luft ab, Arti?«

      »Wie sah der abgefuckte Erist aus, der dich verhöhnt hat, wegen den Fünfundzwanzigern?«, schreit mein Freund.

      Hector zuckt mit den Schultern. »Groß, dunkler Typ.«

      »Hat 'ne Visage wie Luzifer persönlich?«

      Der andere Cupida überlegt und nickt dann. »Ja, kann man sagen.«

      Luzifer? Hab ich was verpasst. »Was meinst du damit?«

      Artreus dreht sich wieder zu mir. »Böse. Dem Saftsack schaut die Hinterhältigkeit schon zu den Augen raus. Ich war kurz davor, das Arschloch plattzumachen, so gereizt hat er mich mit seinen dämlichen Sprüchen.«

      Bellamy, der bisher still war, wirft die Frage ein, die auch mir unter den Nägeln brennt. »Kennt man den Namen des Eristen?«

      Mein Kumpel schnauft. »Wie er heißt, kann ich dir nicht sagen, aber Zelos soll sich erkundigen.«

      »Ich werde Zelos dabei helfen«, sagt Bellamy und schreitet sofort zur Tat, indem er sich an seinen Arbeitsplatz setzt. Zelos ist Artreus‘ Operator und Bellamys Gefährte.

      Insgeheim grüble ich darüber nach, sobald wie möglich meine Fünfundzwanziger zu überprüfen, ob da noch alles im Lot ist, denn anscheinend machten die Eristen Jagd auf ältere Klienten.

      »Weißt du, wie er es angestellt hat, die Fünfundzwanziger zu trennen?«

      Artreus‘ Brauen heben sich, und das sagt mir, dass seine Antwort mir nicht gefallen wird. »Bei Hectors und bei meinem Paar haben es jeweils die Frauen mit ‘nem anderen getrieben.«

      »Shit!«, fällt mir nur noch dazu ein. Eine übliche Vorgehensweise der Eristen und schwer zu verhindern, wenn man nicht zum richtigen Zeitpunkt vor Ort ist. Ob der Partner tatsächlich fremdgegangen ist, spielt dabei nicht mal eine Rolle. Der Erist legt Spuren und Beweise für den Lebensgefährten, der dem Beschuldigten dann nicht mehr glaubt, obwohl dieser seine Unschuld beteuert und die Wahrheit sagt. Ein Erist, wie auch ein Cupida, kann seine Gestalt verändern, in alles, was er will. Dies bietet unsereinem unendlich viele Möglichkeiten. Gute, wie auch böse – leider.

      Zelos kommt aus Phileas‘ Büro und drückt mir eine weiße Akte in die Hand. »Hey, Evodie. Hier dein neuer Auftrag. Mit Mega-Wichtig-Stempel.«

      Mit großen Augen beobachte ich, wie er Bellamy eine weitere Akte gibt, die den gleichen roten Schriftzug trägt. Ich tausche mit meinem Operator einen vielsagenden Blick, denn Mega-Wichtig-Aufträge sind meist sehr heikel und mit viel Aufwand und Zeit verbunden.

      Bellamy vertieft sich augenblicklich in seine neue Anweisung und meint dann kopfschüttelnd, während er weiter in den Unterlagen stöbert: »Weißt du, manchmal beneide ich dich, Evodie, um deinen Job da draußen, an der Front. Aber jetzt … nicht.« Er schaute betröppelt auf. »Ich schicke gleich die Kundschafter los, um die Daten zu bekommen, die wir noch brauchen. Schreib mir auf, was du wissen musst. Verflucht, Mädchen, das wird diesmal nicht einfach.«

      »Na dann, lass uns anfangen.« Enthusiastisch lasse ich mich in meinem Bürostuhl fallen und öffne mit einem Stoßseufzer die Akte.

      Sogleich springt mir das Foto meines nächsten Klienten ins Auge. Ein braunhaariger Mann mit einer markanten Nase und auffallend blauen Augen, blickt mir ernst entgegen. Eine kecke Kerbe hat sich auf seinem glatt rasierten Kinn ansehnlich in Stellung gebracht. Alles in allem ist der Typ eine Zuckerschnitte, was auf meine Arbeit natürlich, wie immer, kein Einfluss haben wird.

      Ich beginne, zu lesen, und mir schwant Schreckliches. Denn das Leckerchen, das auf den Namen Jonas Kinz hört, ist Witwer und sucht eine Tagesmutter für seinen achtjährigen Sohn, aber keine Ehefrau. Anscheinend hat sich Jonas in der Trauer vergraben, und drei Mal dürft ihr raten, was mein Chef mir für eine Anweisung gegeben hat?

      Genau: Ich soll mich für die Stelle als Kindermädchen bewerben und Jonas eine gewisse Susan Hunz schmackhaft machen, die ebenfalls einen gleichaltrigen Sohn hat.

      Tiere und Kinder sind der Alptraum eines jeden Cupidas. Und mich erwarten gleich zwei, und das, obwohl wir Engel gar nicht schlafen.

      KAPITEL 3

      DAS CHAOTISCHE BÜCHERREGAL

      Die junge Frau liegt immer noch schlummernd in ihren Kissen. Vor ihrem Bett türmen sich Klamotten. Nach dem Turm zu urteilen, der aus ihrer Jeans, in der ihre Höschen und Socken stecken, ihrem Oberteil und dem BH besteht, muss sie aus dem Zeug herausgestiegen und geradewegs ins Bett gefallen sein.

      Ich stalke gerade die letzte der drei Bewerberinnen, die Jonas heute Mittag zum Vorstellungsgespräch als Tagesmutter eingeladen hat. Obwohl diese hier riecht wie eine Schnapsleiche, was sicherlich von den tausend Cocktails der vergangenen durchgefeierten Nacht herrührt, ist sie womöglich meine größte Konkurrenz. Momentan sieht sie zwar mit der grausigen Fünfzehn-Stunden-Schlaf-Frisur, dem verschmierten Kajal und Lippenstift nicht danach aus, aber im Normalzustand ist sie bestimmt ein heißer Feger.

      Vater und Sohn würden sich womöglich für sie entscheiden, was ich verhindern muss, um selbst die Stelle zu bekommen. Damit ich freie Bahn habe und Jonas mit Susan zusammenbringen kann.

      Die anderen zwei Bewerberinnen stellen keine Gefahr für mich dar. Aber um auf Nummer sicher zu gehen, werde ich bei ihnen ebenso eingreifen müssen. Abgesehen davon, dass ich den Job will, wären die zwei Kröten das Schlimmste, was Jonas‘ Sohn Max zustoßen könnte. Die verkörpern das typische Klischee einer Schreckschraube, wie man sie aus Kinderfilmen kennt.

      Die Kundschafter haben, auf die Anweisung meines Operators Bellamy, herausgefunden, dass eben jene drei Frauen ein Gespräch mit Jonas haben würden. Dieser hat die Termine mit ihren Namen in seinem Kalender vermerkt, weswegen ich die Damen aufsuchen und inspizieren konnte.

      Eine hat sich als ausgezehrte, verbitterte Ziege herausgestellt, die irgendwann einmal einen Stock verschluckt haben musste. Zu meinem Verdruss durfte ich ihr durch den Stadtpark hinterherjagen, weil sie wohl für einen Marathon trainierte. Ihre Wohnung war spartanisch eingerichtet und erinnerte eher an eine Gefängniszelle. Nichts Farbiges, nichts, was auch nur den Hauch von gute Laune oder Freude verbreiten konnte, war darin zu finden. Ein strenger Trainingsplan, der an ihrem Kühlschrank hing, sagte mir, dass diese unerbittliche Selbstdisziplin ein wesentlicher Bestandteil ihres Charakters sein musste.

      Die andere Bewerberin war eine ältere korpulente Frau, die an Kurzatmigkeit litt. Dass sie Max nicht hinterherjoggen konnte, sondern stattdessen aus dem letzten Loch pfeifen würde, war nur eins ihrer Probleme. In ihrem Haus habe ich nämlich alles penibel sortiert vorgefunden. Einfach alles war nach Farben, Alphabet oder Größe geordnet – von den Tassen bis hin zu den Stecknadeln. Dem Anschein nach hat die Dame eine Zwangsneurose.

      Entscheidet sich Jonas für eine von den Zweien, wird Max das Lachen vergehen. Denn diese Damen können einen Jungen in seinem Alter weder verstehen noch fördern oder bändigen, davon bin ich überzeugt. Sohn und Vater können froh sein, dass ich ihnen die Entscheidung abnehmen werde.

      Per Telefon habe ich mich bei Jonas um die Stelle als Tagesmutter beworben und angegeben, sein Zeitungsinserat gelesen zu haben. Wir unterhielten uns kurz und vereinbarten für heute Nachmittag einen Termin. Das Zuckerschnittchen hat eine unglaublich männliche Stimme, bei der einem die Knie weich werden, und eine ausgesprochen zuvorkommende Art.

      Wenn Susan also nicht lesbisch oder halbtot ist, wird sie den Kerl sofort bespringen, sobald er eindeutige Signale aussendet. Also – ich würde es so machen … wenn ich diejenige wäre, welche … Aber – die bin ich ja nicht.

      Irgendwie muss ich bis mittags die Zeit totschlagen, denn jetzt würde ich noch nichts gegen die drei Frauen unternehmen, sondern erst, wenn ich die größte Wirkung erzielen konnte.