Heidi Oehlmann

Seerosenzauber


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der Mappe hetze ich in die Küche.

      »John!«, rufe ich.

      Mein Kollege dreht sich zu mir um und schaut mich fragend an.

      »Wir haben ein Problem.« Ich deute auf den Hefter. »Die Menüvorschläge sind alle viel zu aufwendig. Wenn wir eines davon kochen müssen, schaffen wir das Tagesgeschäft nicht.«

      Um ihm das zu demonstrieren, schlage ich die erste Seite auf und halte sie John vor die Nase.

      Nach kurzer Zeit schüttelt mein Kollege ununterbrochen den Kopf, während er noch weiter liest. »Das wird definitiv nichts. Hat der Chef wirklich nichts von zusätzlichem Personal gesagt?«

      Ich schüttle den Kopf und fasse mir nachdenklich ans Kinn. »Ich werde nach dem Termin zu ihm ins Krankenhaus fahren. Wir müssen das durchsprechen.«

      John nickt. »Auf jeden Fall. In unserer jetzigen Besetzung schaffen wir das definitiv nicht.«

      »Ich weiß noch nicht mal, ob Eduard sich um Geschirr gekümmert hat. Am liebsten würde ich den Termin absagen, aber Eduard meinte, dieser Sander wäre so wichtig.«

      »Sander?«

      »Ja, Sander.« Ich blättere zurück zum Deckblatt. »Software Construction.«

      »Was?«, fragt John aufgekratzt. »Der Sander von Software Construction

      »Ja, warum? Kennst du ihn?«

      »Nein, noch nicht. Aber Sander ist ein ausgezeichneter Programmierer. Seine Software ist der absolute Hammer. Die haben sogar eine Abteilung, die Spiele entwickelt.«

      »Aha«, murmle ich desinteressiert.

      John hat noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er nach Feierabend zum Runterkommen Computerspiele spielt.

      Ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen. Technik ist im Allgemeinen nicht so mein Ding. Na ja, bis auf mein Smartphone. Ohne das Gerät kann ich nicht mehr leben. Dabei telefoniere ich kaum. Vielmehr sind es die Chats, die ich mit Gini habe. Wenn es das nicht geben würde, hätten wir manchmal tagelang keinen Kontakt. So eine Nachricht ist schneller geschrieben, als ein Telefonat zu führen.

      Wobei ich auf die Chats in nächster Zeit verzichten kann. Es ist unglaublich, aber Gini und ich wohnen jetzt zusammen. Als Kinder sprachen wir oft davon, irgendwann zusammenzuziehen. Da ich im Haus meiner Großeltern die obere Etage für mich habe, hatte ich nie einen Grund, um auszuziehen. Gini musste auch noch nie alleine wohnen. Sie lebte bisher immer mit einem Mann zusammen. Selbst, wenn eine ihrer Beziehungen zu Bruch gegangen war, blieb sie nie lange Single. Irgendwie hatte sie jedes Mal einen Neuen am Start. Ich glaube, sie kann nicht alleine sein.

      »Ich muss wieder«, sage ich und mache auf dem Absatz kehrt.

      Mitten im Büro bleibe ich stehen und drehe mich im Kreis. Ich frage mich, ob Eduard in diesem Schlachtfeld den Kunden empfangen wollte. Einen Moment denke ich darüber nach, ob ich mich mit diesem Sander an einen Tisch im Gastraum setzen soll. Doch die Mahnung des Küchenchefs, wie wichtig dieser Typ ist, hält mich davon ab. Also muss ich hier ein wenig aufräumen.

      Ich lege den Hefter auf einen der Stühle, damit ich ihn nicht aus Versehen irgendwo vergrabe und gehe zum Tisch.

      Wahllos greife ich nach den Papieren, um sie ordentlich aufzutürmen. Am liebsten würde ich sie komplett vom Schreibtisch verbannen, nur weiß ich nicht, wo ich sie lassen soll. Die Schränke, die uneinsehbar sind, wurden von Eduard schon bis oben hin vollgestopft. Sie in die wenigen freien Fächer der Regale unterzubringen, würde sie auch nicht unsichtbar machen. Also kann ich sie gleich auf dem Tisch liegen lassen.

      Ein letztes Mal schaue ich mich um, bevor ich den Hefter auf den Schreibtisch lege und das Büro verlasse. Auf dem Weg in die Küche gehe ich im Gastraum vorbei und gebe Charlotte Bescheid, dass ich einen Kunden erwarte.

      5. Gregor - Samstag

      Meine Laune ist auf ihrem Tiefpunkt, als ich den Parkplatz des Eduards erreiche. Sie wurde mit jeder Stunde schlechter. Nach dem Aufwachen war ich noch guter Dinge. Völlig motiviert bin ich in den Park gelaufen, in der Hoffnung, diese grünen Augen wiederzusehen.

      Statt meiner üblichen Laufrunde habe ich ein paar Extrarunden gedreht. Ich wäre gerne länger geblieben, als die zwei Stunden.

      Meine Bemühungen waren vergebens. Die Frau mit diesen Augen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, war nicht aufgetaucht.

      Also bin ich irgendwann nach Hause gelaufen.

      Nachdem ich mich einigermaßen gefasst hatte, rief ich meine Mutter an, um ihr mitzuteilen, dass ich den Freitagsessen fernbleiben werde. Sie hatte es schlecht aufgenommen und fing sogar an zu weinen. Allerdings glaube ich, ihr geht es weniger um mich, als darum, was mein Vater dazu sagen wird.

      Meine Mutter hat mich regelrecht angefleht, es mir zu überlegen, aber das werde ich nicht. Tim hat recht. Die Besuche in meinem Elternhaus tun mir alles andere als gut. Hinterher bin ich jedes Mal mies drauf.

      Am kommenden Freitag wird es mir besser gehen, wenn ich mit meinem besten Kumpel unterwegs bin. Er hält mir wenigstens keine Vorträge darüber, was ich doch für ein Versager bin.

      Ich steige aus meinem Auto und werfe genervt die Tür zu. Ein letztes Mal atme ich tief durch und straffe die Schultern, bevor ich auf den Eingang des Restaurants zu gehe.

      Ich bin gespannt, was sich dieser Eduard ausgedacht hat. In der Vergangenheit war ich schon oft mit Geschäftspartnern bei ihm, im Restaurant essen. Bisher war es immer sehr gut. Deshalb kam mir die Idee, ihn zu fragen, ob er auch außer Haus liefert. Normalerweise lassen wir uns von einem anderen Caterer beliefern. Allerdings hat die Qualität seiner Speisen in letzter Zeit nachgelassen. Die Preise sind gleich geblieben, aber die Lebensmittel scheinen minderwertiger zu sein.

      Neugierig betrete ich das Restaurant. Hinter dem Tresen steht eine kleine rundliche Frau mit einem fast schwarzen Bob.

      Sie bemerkt mich sofort und lächelt mich an.

      Hastig gehe ich auf sie zu. »Hallo, Sander ist mein Name. Ich habe einen Termin mit Eduard.«

      »Guten Tag, wenn Sie mir bitte folgen würden.«

      Die Frau läuft mit schnellen Schritten davon. Ich bleibe ihr auf den Fersen. Im Vorbeigehen schaue ich mich im Gastraum um. Der Mittagsansturm ist längst vorbei. Es sind nur noch wenige Tische besetzt.

      Die Servicekraft, die sich mir nicht vorgestellt hat, führt mich in ein Büro und deutet auf die Besucherstühle. »Nehmen Sie doch bitte Platz! Ich hole Frau Blum.«

      Bevor ich widersprechen und erneut nach Eduard verlangen kann, ist sie verschwunden. Sie hat die Tür hinter sich geschlossen und lässt mich einfach unbeaufsichtigt zurück.

      Ich würde niemals jemanden allein in meinem Büro zurücklassen. Bis auf Rosalie und Tim vertraue ich keiner Menschenseele.

      Warum soll ich mit dieser Frau Blum sprechen, wenn ich doch einen Termin mit dem Küchenchef habe? Meine Laune sinkt immer tiefer. In mir braut sich etwas zusammen, dass bald wie Lava aus mir herausbrodeln wird. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis zu meinem Vulkanausbruch.

      Ich lasse mich auf einen der Besucherstühle fallen und starre an die Wand mir gegenüber. Bis auf ein geschmackloses Landschaftsbild ist sie leer.

      Es dauert eine Weile, bis die Tür aufgeht. Ohne mich umzudrehen, spüre ich, wie jemand den Raum betritt. Entweder ist die Person besonders leise oder sie bewegt sich nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit vernehme ich ein Räuspern und drehe mich um. Vor mir steht eine Frau, die ich bereits kenne. Diejenige, die ich am Morgen vergebens gesucht habe. Es ist die Besitzerin dieser wunderschönen grünen Augen.

      Meine miese Laune verwandelt sich in Freude. Ich kann mich gerade noch davon abhalten, aufzuspringen und einen Freudentanz aufzuführen. Auch meine Mundwinkel wollen sich verselbstständigen und nach oben wandern. Doch ich hindere sie daran. Ein leichtes Zucken kann