Heidi Oehlmann

Seerosenzauber


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wirkt wie die meisten Räume des Hauses kalt und unpersönlich. Nur die hauseigene Bibliothek und mein ehemaliges Jugendzimmer, das unverändert ist, sind warm und haben so etwas wie eine Seele.

      Das Gesicht meines Vaters ist ausdruckslos. Nur seine dunklen Augen verraten seinen Unmut.

      Ich setze mich, wie immer, auf den Stuhl rechts von ihm.

      Kurz nach mir trifft meine Mutter ein und setzt sich mir gegenüber.

      »Und wie war dein Tag, Schatz?«, fragt meine Mutter und schaut mich fragend an.

      Ich zucke mit den Schultern und überlege, was ich antworten soll. Zum Glück taucht in diesem Moment eine der Angestellten auf und serviert uns die Suppe.

      Nachdem sie den Raum verlassen hat, löffeln wir sie schweigend.

      Meine Mutter scheint ihre Frage glücklicherweise vergessen zu haben. Das erspart mir, darüber nachzudenken, was ich ihr in Gegenwart meines Vaters erzählen soll. Ich muss mir jedes Wort genau überlegen, um einer Moralpredigt zu entgehen.

      Gedanklich wandere ich durch meinen Tag. Ich muss schmunzeln, als ich wieder diese leuchtend grünen Augen vor mir sehe.

      »Was ist los? Du grinst wie ein Idiot!«, sagt mein Vater mit strenger Stimme.

      Ich lasse meine Mundwinkel nach unten sinken und zucke mit den Schultern. »Nichts.«

      Meine Mutter mustert mich. »Gibt es ein Mädchen, das dich so zum Lächeln bringt?«

      Ich schaue sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wie kommst du denn darauf?«

      »Deine Mutter will dir damit sagen, dass du nicht mehr der Jüngste bist und bald anfangen solltest, eine Familie zu gründen«, antwortet mein Vater für sie.

      Ich ignoriere ihn und esse weiter, damit der Abend möglichst friedlich endet. Sobald ich mich auf seine spitzen Bemerkungen einlasse, würden wir uns gegenseitig immer weiter anstacheln, bis ich wutentbrannt die Villa verlasse. Das kam in der Vergangenheit schon mehr als einmal vor.

      Meiner Mutter zuliebe versuche ich, solche Eskalationen zu vermeiden. Sie ist diejenige, die es besonders mitnimmt. Bei jeder unserer Vater-Sohn-Diskussionen weint sie, aber sie traut sich nie, einzuschreiten.

      ***

      »Na, wie war's?«, begrüßt mich mein bester Freund, als ich vor seiner Tür stehe.

      Tim kennt meine Freitage und ist darauf vorbereitet, mich nach dem Familienessen wieder aufzubauen. Es gibt kaum einen Freitag, an dem ich nicht bei ihm auftauche.

      Ich schiebe mich an ihm vorbei, gehe ins Wohnzimmer und lasse mich auf die Couch sinken. »Bescheiden, wie immer«, antworte ich und seufze.

      »Ich habe nichts anderes erwartet. Dein Vater wird sich nie ändern.«

      Ich nicke zustimmend. Denn ich sehe es genauso. Während des Essens hatte mein Vater noch ein paar Mal versucht, mich zu provozieren, aber ich habe es nicht zugelassen. Innerlich kochte ich vor Wut, doch äußerlich ließ ich mir nichts anmerken. Das Pokerface habe ich eindeutig von ihm geerbt. Er ist Meister darin, sich niemals ansehen zu lassen, was er fühlt. Vielleicht liegt es auch daran, dass er gefühllos ist.

      »Wieso lässt du diese Freitagsfarce nicht einfach sein? Du kannst dich nicht so quälen, nur um deiner Mutter einen Gefallen zu tun!«

      »Du hast ja recht«, murmle ich.

      »Ich weiß. Deshalb wirst du nächsten Freitag mit mir essen, damit du erst gar nicht in Versuchung kommst, wieder in dein Elternhaus zu fahren.« Tim schaut mich mit einem Blick an, der mich zum Schmunzeln bringt. Er versucht, ernst auszusehen. Doch das gelingt ihm nicht. Seine Mundwinkel zucken verdächtig. Ich muss ihn nur lange genug angrinsen, bis er in Gelächter ausbricht.

      »Und was machen wir heute?«, fragt er, nachdem wir uns endlich beruhigt haben. »Bier und Glotze oder rausgehen?«

      »Von mir aus können wir gerne das mit dem Bier und der Glotze machen. Irgendwie ist mir nicht mehr nach Gesellschaft.«

      Wieder sehe ich diese grünen Augen vor mir. Mit jedem Mal ist mein Wunsch größer, diese Frau wiederzusehen. Sie ist irgendwo da draußen. Obwohl ich samstags eigentlich nicht laufen gehe, werde ich es morgen tun. Vielleicht ist sie auch im Park unterwegs.

      »Hey, Erde an Gregor!«, schreit Tim mir ins Ohr.

      Ich zucke zusammen und sehe meinem Freund in die Augen. Inzwischen sitzt er neben mir. Mir ist entgangen, wann das passiert ist. Genau wie seine Worte.

      »Was?«, frage ich.

      »Wo warst du denn mit deinen Gedanken? Gibt es irgendwas Neues bei dir?«

      Ich denke einen Moment darüber nach, ob ich ihm von der Unbekannten im Park erzählen soll, entscheide mich dann dagegen. Es ist albern über einer Frau zu sprechen, die ich nur wenige Augenblicke lang gesehen habe. Wie soll ich auch erklären, dass ich sie nicht mehr aus dem Kopf bekomme.

      »Nein, es ist alles wie immer.«

      »Dafür bist du mit deinen Gedanken aber ziemlich weit weg.«

      »Ach nein. Es ist nur das Übliche. Ich denke ständig an unsere Mitarbeiterversammlung übernächste Woche.«

      »Aha, gibt es irgendwelche Probleme?«

      »Nein, trotzdem sollte alles gut geplant sein«, flunkere ich.

      Tim sieht mich prüfend an. Als mein bester Freund durchschaut er mich sofort, doch er reitet nicht weiter auf dem Thema herum. »Also wollen wir einen Film schauen?«

      »Klar, aber vergiss das Bier nicht!«

      Tim salutiert und geht in die Küche. Ich höre, wie er den Kühlschrank öffnet und es klirrt.

      Mein Handy brummt. Ich ziehe es aus meiner Tasche und schaue auf das Display. Es ist eine Nachricht von meiner Mutter.

      Mom: Es tut mir leid, Schatz. Kuss.

      Ich frage mich, was ihr leidtut. Die Provokationen meines Vaters? Oder ihr unbeteiligtes Verhalten?

      Ich: Schon okay.

      Am liebsten hätte ich ihr sofort mitgeteilt, dass ich nicht mehr zum Freitagsessen komme, aber das hebe ich mir auf. Heute habe ich keine Kraft mehr für unnötige Diskussionen.

      »Alles klar?«, fragt Tim, der im Türrahmen steht und mich beobachtet.

      »Ja, es war nur wieder meine Mom, die mir schreibt, wie leid es ihr tut.«

      »Was? Dass du nächsten Freitag nicht da bist?«

      Zaghaft schüttle ich den Kopf. »Nein, das habe ich ihr noch nicht gesagt. Ich schätze, sie meint das Verhalten meines Vaters.«

      Tim kommt näher, stellt die Bierflaschen auf den Couchtisch und lässt sich neben mir auf der Couch nieder. »Also, was wollen wir schauen?«

      »Keine Ahnung, such du etwas aus!«

      »Hm, so wie du aussiehst, könntest du eine Komödie vertragen«, stellt er fest und erhebt sich, um zu seiner altmodischen DVD-Sammlung zu gehen.

      Ich ziehe ihn manchmal damit auf. In Zeiten von Online-Streaming ist Tim ein seltenes Exemplar. Aber er ist stolz auf seine riesige Sammlung und sieht es überhaupt nicht ein, sie aufzulösen, nur, weil sich die Technik weiterentwickelt. Im Grunde kann ich froh sein, dass er keine Videokassetten mehr hat.

      Er wühlt in seinem monströsen Schrank herum und holt nach einer gefühlten Ewigkeit eine DVD hervor.

      »Was ist das?«, frage ich neugierig, da ich die Hülle nicht erkennen kann.

      »Lass dich überraschen.« Er legt die DVD in seinen Player und grinst mich an. »Bereit?«

      »Bereit!« Ich grinse zurück.

      3. Maja - Freitag

      »Du bist aber