Heidi Oehlmann

Seerosenzauber


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sie auf und starre auf einen Kontoauszug. »Und?« Meine Stimme klingt genervt. Es fällt mir schwer, Cindy nicht anzuschreien.

      Mit einem langen roten Fingernagel deutet sie auf eine Zahl. »Diese hier!«

      Ich schaue mir erst die Zahl an und wandere dann in der Zeile weiter, um zu sehen, von wem die Überweisung getätigt wurde. Als ich den Namen Murphy Limited lese, kocht in mir die Wut hoch. Nun kann Cindy nicht mehr leugnen, dass sie einen fadenscheinigen Grund gesucht hat, um herzukommen.

      Murphy Limited ist ein Kunde, für den wir mehr als ein Mal gearbeitet haben. Cindy müsste das wissen, sie ist von Angang an in der Firma. Sie war eine der Ersten, die ich vor zehn Jahren, als ich die Firma gründete, eingestellt hatte.

      Aber vielleicht ist genau das ihr Problem. Anfangs verhielt ich mich meinen Mitarbeitern gegenüber eher wie ein Kumpel. Im Laufe der Jahre erlernte ich erst den richtigen Umgang mit Angestellten. Ich versuche stets streng, jedoch fair zu sein und mich wie ein Chef zu verhalten. Natürlich ist es schön, freundschaftlich miteinander umzugehen. Leider nutzen das die meisten Leute aus und nehmen einen nicht mehr für voll. Cindy ist so eine Kandidatin. Umso erfolgreicher wir wurden, desto aufdringlicher wurden ihre Annäherungsversuche. Obwohl ich nie darauf eingehe, versucht sie es immer wieder.

      Ich atme tief durch. »Was soll das?«, frage ich mit ruhiger fester Stimme. »Überfordert dich dein Job so sehr, dass du unsere Kunden nicht erkennst? Willst du dir vielleicht etwas anderes suchen?«

      Cindy erhebt sich aus ihrer gebückten Haltung und starrt mich verwirrt an. Das Lächeln ist ihr längst aus dem Gesicht gefallen.

      »Was?«, piepst sie.

      »Du kommst her und verschwendest meine Zeit, das ist!«

      Sie schluckt und läuft rot an.

      »Was soll das?«, wiederhole ich meine Frage. »Was willst du?«

      »I-Ich …«

      »Ich höre!«

      »N-Nichts!«

      »Gut. Dann kannst du ja jetzt zurück an deinen Arbeitsplatz gehen. Und wenn du noch einmal meine Zeit mit so einem Schwachsinn verschwenden willst, betrachte es als deine erste Abmahnung!« Ich wende mich von ihr ab, starre auf meinen Bildschirm und warte, bis Cindy geht.

      Langsam setzt sie sich in Bewegung. Ich höre jeden ihrer Schritte durch mein Büro klackern. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird endlich die Tür geöffnet und fällt kurz darauf wieder zu.

      Ich atme erleichtert aus. Es war das erste Mal, dass ich Cindy in ihre Schranken gewiesen habe. Normalerweise stehe ich über solchen plumpen Anbaggerungsversuchen, aber heute sind meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Ich fühle eine innere Unruhe und weiß nicht, woher sie kommt.

      Keine zwei Minuten später klopft es.

      »Ja!«, rufe ich genervt.

      Ich rechne schon damit, Cindy wieder zu sehen. Doch es ist Rosalie, die ihren Kopf hineinsteckt. »Darf ich?«, fragt sie zaghaft.

      Ich nicke.

      Rosalie kommt näher. »Ich will mich ja nicht einmischen, aber was war hier gerade los? Cindy sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen.«

      »Sie …«

      »Sie hat also wieder versucht, bei dir zu landen«, spricht Rosalie die Worte aus, die mir fehlen.

      »Du weißt es! Na klar.« Ich lächle ihr dankbar zu.

      »Was hast du gemacht? Sie in ihre Schranken gewiesen?«

      »Ja.«

      »Irgendwann musstest du es ja mal tun. Sie erzählt den anderen Kolleginnen in den Pausen immer, du würdest mit ihr flirten.«

      »Was?« Schockiert hebe ich den Kopf und schaue Rosalie in die Augen. Ich suche nach einem Anzeichen, das mir den Humor hinter der Aussage verrät, aber es gibt keins. »Wirklich?«, frage ich flüsternd.

      »Ja, ich weiß es auch nur von den anderen. Vor mir traut sie sich das wohl nicht, zu sagen.«

      Ich nicke.

      »Kopf hoch, Gregor! So eine ist es nicht wert, sich über sie aufzuregen.«

      »Ja, du hast recht«, krächze ich.

      »Kann ich dir irgendetwas bringen?«

      »Nein. Ich muss endlich weiterarbeiten«, antworte ich und deute auf den Computerbildschirm.

      ***

      »Du bist spät, Gregor«, begrüßt mich meine Mutter, als ich eintreffe. »Du weißt, dein Vater mag es nicht zu warten.«

      »Hi Mom«, grüße ich zurück und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. Auf mein Zuspätkommen gehe ich nicht weiter ein. Es hat sowieso keinen Zweck, sich zu rechtfertigen.

      Wenn es nach meinem Vater geht, kann ich sowieso nichts richtig machen. Er sieht meine Firma noch immer als Spielerei. Dass wir inzwischen pro Jahr einen Millionenumsatz erwirtschaften, kann oder will er nicht kapieren. Für ihn gibt es nur sein eigenes Unternehmen. Er hätte es viel lieber gesehen, wenn ich in seine Firma eingestiegen wäre. Dagegen habe ich mich aber immer gesträubt. Ich habe mich noch nie für Schrauben interessiert. Auch, wenn mein Vater einer der größten Hersteller für Nägel und Schrauben ist, hat es mich nie gereizt, in das Unternehmen einzusteigen. Am Ende wäre es vielleicht auf das Gleiche rausgekommen. In beiden Fällen hätte ich weniger mit der Produktion, als mit Kundenkontakten und der Mitarbeiterführung zu tun. Doch seit ich denken kann, wollte ich Programmierer werden. Wenn es sein muss, kann ich auch einen Nagel in die Wand hauen oder mit Schrauben umgehen, aber das ist eher ein notwendiges Übel.

      Meine Mutter hat keine eigene Meinung. Sie zeigt mir nicht, ob sie stolz auf mich ist. Das hat sie noch nie getan. Sie ist meinem Vater hörig und redet ihm nach dem Mund.

      Gerit Sander sagt, seine Frau soll nicht arbeiten. Also bleibt Dina zu Hause. Seit ich aus dem Haus bin, muss sich meine Mutter schrecklich langweilen. Für anfallende Arbeiten im Haushalt gibt es schließlich Personal.

      Freunde hat meine Mutter auch keine. Wenn sie Besuch bekommen, sind es Geschäftspartner meines Vaters, die in Begleitung kommen.

      Ich gehe an meiner Mutter vorbei. Es wundert mich, dass sie heute selbst an die Tür gekommen ist. Normalerweise sind dafür die Angestellten zuständig.

      Als ich das Wohnzimmer betrete, sehe ich meinen Vater auf einem Sessel sitzen. Er ist in eine Zeitung vertieft und bemerkt mein Eintreffen nicht sofort.

      Ich straffe meine Schultern und gehe auf ihn zu. »Hallo Vater!«

      »Es wird ja Zeit, dass du endlich kommst. Wir warten schon seit einer Ewigkeit auf dich mit dem Essen.«

      Ich könnte ihm jetzt von meinem Termin erzählen, der sich in die Länge gezogen hat, aber es wäre sinnlos. Ich kenne seine Antwort. Er würde mir erklären, wie schlecht meine Zeitplanung ist und mir sagen, ich hätte den Termin nicht so knapp vor dem Essen legen sollen. Schließlich ist das gemeinsame Abendessen freitags fix. Dabei frage ich mich immer, warum ich mir das antue. Ich könnte jetzt zu Hause auf der Couch sitzen, mir eine Pizza reinziehen und mir irgendeinen Film anschauen. Stattdessen bin ich bei meinem Eltern und muss ein steifes Essen durchstehen.

      Mein Vater legt die Zeitung auf den kleinen Beistelltisch und geht an mir vorbei, ohne mich zu berühren. Ich bin es von ihm nicht anders gewohnt. Er hat mich noch nie in den Arm genommen oder mir gesagt, er würde mich lieben. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob er mich liebt oder er mich nur duldet, weil ich sein Sohn bin.

      Für meine Arbeit hatte er auch nie ein gutes Wort übrig.

      Das sind die Momente, in denen ich meinen Kumpel Tim beneide. Seine Eltern zeigen ihm, wie sehr sie ihn lieben. Sie haben vielleicht nicht so viel Geld, wie meine, aber sie scheinen definitiv glücklich zu sein. Deshalb bin ich lieber bei ihnen, als bei meiner Familie.

      Ich folge meinem Vater ins Esszimmer. Er hat sich bereits an das Kopfende