Heidi Oehlmann

Seerosenzauber


Скачать книгу

es ihm nichts ausmachen. Er wird im Laufe der Zeit durch seine eigene Stimme taub geworden sein. Auf Dauer kann diese Schreierei niemand aushalten.

      Ich setze ein gequältes Lächeln auf und starre auf den Teller. Darauf liegt …

       Nun ja, was ist das eigentlich?

      Zwischen zwei hellgrünen biskuitartigen Schichten befindet sich eine weiße Creme.

      Eduard nickt mir aufmunternd zu. »Probier!«, fordert er mich lautstark auf.

      Zaghaft greife ich nach dem quadratischen Etwas und schnüffele daran. Es fällt mir schwer, die Gerüche zuzuordnen.

      Vorsichtig beiße ich ein Stück ab und kaue darauf herum. Das Grüne fühlt sich im Mund tatsächlich an wie Biskuit. Die weiße Masse ist zäh, wie Schmelzkäse ohne Schmelz und so schmeckt es auch.

      Eduard schaut mich erwartungsvoll an.

      Ich zwinge mich zu einem Lächeln und beiße noch ein Stück ohne die Creme ab. »Brokkoli?«, stelle ich fragend fest.

      Eduard nickt mir aufmunternd zu.

      »Ein Brokkoli-Biskuit mit Käse-Creme?«, rate ich.

      Eduard klatscht freudig in die Hände. »Und?«, fragt er.

      Ich überlege, wie ich ihm die Wahrheit möglichst schonend beibringen kann, ich darf nicht allzu viel Kritik ausüben.

      »Na ja, das Biskuit ist angenehm im Mund. Der Geschmack ist …« Durch meinen Kopf rattern verschiedene Adjektive.

       Abartig. Ekelhaft. Widerlich. Unnütz. Ungenießbar. Eigenartig. Merkwürdig.

      Alle Adjektive klingen zu kritisch. Ich muss sie abmildern, ohne die Bedeutung aus den Augen zu verlieren.

       Ungewohnt. Außergewöhnlich. Ungewöhnlich.

      Eduard schaut mich immer noch fragend an.

      Aus den Augenwinkel kann ich Johns mitleidigen Blick sehen.

      Ich drehe meinen Kopf ein Stück weiter in seine Richtung. Meine Augen flehen ihn um Hilfe an.

      Doch John deutet nur ein Kopfschütteln an.

      »Exotisch«, rutscht es aus meinem Mund, bevor ich genauer darüber nachdenken kann. »Ein bisschen wie Brokkolikuchen. Und die Füllung schmeckt nach Schmelzkäse. Sie könnte noch etwas weicher sein«, wage ich zu sagen.

      Eduard schaut mich nachdenklich an. »Exotisch? Brokkolikuchen? Weicher?«, murmelt er vor sich hin, allerdings so laut, dass es in der ganzen Küche zu hören ist.

      Er dreht sich von mir weg und geht kopfschüttelnd zurück zu seinem Platz.

      John grinst mich an. »Gut gemacht«, formt er mit seinem Mund, ohne auch nur einen Ton zu verlieren.

      Ich zucke mit den Achseln und widme mich den Auberginen, die vor mir liegen und in Scheiben geschnitten werden wollen.

      ***

      »Ernsthaft, Maja?«, fragt Maike leise lachend, nachdem John mein Testurteil zum Besten gegeben hat. »Exotisch?«

      Wir stehen zu viert im Hinterhof und genießen unsere Verschnaufpause nach dem Mittagsansturm. Leider können nur zwei aus der Küche und zwei der Servicemitarbeiter gleichzeitig Pause machen. Ein Teil der Crew muss immer bereitstehen, weil vereinzelt Gäste kommen und Vorbereitungen getroffen werden müssen.

      Meist verbringe ich meine Pausen mit John. Mit ihm verstehe ich mich von allen aus der Küche am besten. Heute sind Maike und Charlotte aus dem Service dabei.

      »Was habt ihr denn gesagt?«, frage ich neugierig.

      Charlotte ist anzusehen, wie unangenehm es ihr ist. Jeder weiß, was sie gesagt hat. Sie traut sich nie, ehrlich zu sein und sagt immer, es wäre gut.

      Maike grinst. »Ungewöhnlich«, antwortet sie. Das ist ihre Standardantwort, wenn es ihr nicht schmeckt und sie ein Testurteil abgeben muss.

      »War ja klar«, antworte ich grinsend und drehe mich zu John. »Was hast du gesagt?«

      Sein Grinsen wird breiter. »Ich habe es als Brokkolisandwich mit zäher Käsefüllung bezeichnet.«

      Ich pruste los. »Oh Gott, das hat ihm sicher nicht gefallen.

      »Nicht wirklich, aber exotisch finde ich auch gut.«

      Ich lächle. »Mir fiel kein anderes Adjektiv ein, was die Abscheulichkeit ausdrückt, dabei aber nicht kritisch ist.«

      »Egal, das landet sowieso nicht auf der Karte. Spätestens, wenn sein Manfred ihm die Wahrheit sagt, ist das vergessen.«

      Ich nicke zustimmend.

      Manfred ist der einzige Mensch, der sich traut Eduard die Wahrheit unverblümt an den Kopf zu knallen. Als Eduards Lebensgefährte ist er dafür auch privilegiert. Leider ist er nie der Erste, der Eduards Kreationen probiert, sonst würden uns so einige Kuriositäten erspart bleiben.

      Ich muss allerdings zugeben, dass ihm hin und wieder richtige Leckereien gelingen, die dann auf der Karte landen. Für meinen Geschmack sind diese Geschmacksexplosionen viel zu selten.

      Wie aus dem Nichts taucht unser Azubi Josef auf. Seine Miene ist ernst. Er schaut von einem zum anderen und bleibt bei mir hängen.

      »Was ist los?«, frage ich.

      »Der Chef …«, stammelt Josef.

      »Was ist mit ihm?«, erkundigen John und ich uns wie aus einem Mund.

      »Er hatte einen Unfall.«

      »Was er war doch gerade noch …«, sage ich und deute mit der Hand in Richtung Gebäude.

      »Ja, als ihr rausgegangen seid, war er im Büro und ist auf die Leiter gestiegen …«

      »Auf das alte Holzteil?«, unterbreche ich ihn.

      »Und?«, hakt Maike nach.

      »Sie ist unter ihm zusammengebrochen und er ist gestürzt.«

      »Oh mein Gott«, quietscht Charlotte.

      »Wie geht es ihm?«, erklingt meine Stimme piepsend.

      »Die Sanitäter sind gerade bei ihm.«

      Ich nicke.

      Josefs Blick hält mich gefangen.

      Ich spüre, dass er mir etwas sagen will, was mir nicht gefallen wird.

      »Du sollst ihn vertreten«, sagt Josef leise.

      »Was?«, frage ich mit einer Stimme, die mir fremd vorkommt. »Ich?«

      »Ja, du sollst ihn vertreten, bis er aus dem Krankenhaus zurück ist.«

      »Ist er noch drin?«, erkundige ich mich. Statt auf Josefs Antwort zu warten, bin ich schon auf dem Weg ins Gebäude.

      »Wo ist er?«, rufe ich, als ich die Küche betrete.

      Eileen, eine der Küchenhilfen deutet mit dem Kopf auf das Büro.

      Ich haste hinein.

      Eduard liegt auf dem Boden und stöhnt. Vor ihm hocken zwei Sanitäter.

      »Wie geht es dir?«, frage ich.

      Eduard schaut zu mir auf und zuckt mit den Schultern. »Du musst mich vertreten! Du bist die Einzige, der ich vertraue.«

      Das erste Mal, seit ich ihn kenne, ist seine Stimme leise. Na ja, eigentlich spricht er in einer normalen Lautstärke. Für seine Verhältnisse ist es aber leise.

      Ich starre ihn mit offenem Mund an. »O-Okay«, stammle ich. Zu mehr bin ich nicht in der Lage. »Wie lange muss unser Chef im Krankenhaus bleiben?«, wende ich mich an die Sanitäter.

      »Das können wir Ihnen noch nicht sagen«, antwortet der eine, während sie Eduard auf die Trage hieven.

      »Soll ich Manfred