Heidi Oehlmann

Seerosenzauber


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ich ihn doch nur zu einem Arztbesuch überzeugen könnte.

      Ich stehe gerade mit einem Fuß im Badezimmer, als mein Handy klingelt. Nach dem Aufstehen habe ich den Ton wieder angeschaltet, falls es etwas Wichtiges gibt.

      Hastig laufe ich ins Schlafzimmer und greife nach meinem Mobiltelefon, das auf dem Nachttisch liegt. Auf dem Display leuchtet eine Nummer auf, die ich nicht kenne. Normalerweise nehme ich ungern Gespräche mit unbekannten Rufnummern an.

      »Hoffentlich ist es nicht Pascal«, murmle ich. Ich bin drauf und dran, den Anrufer einfach wegzudrücken. Da ich jetzt aber stellvertretende Küchenchefin bin, kann ich mir das nicht leisten.

      »Hallo?«, frage ich.

      »Maja«, schreit mir eine bekannte Stimme ins Ohr. »Bist du schon im Laden?«

      Mein Ohr schmerzt. Ich halte das Telefon etwas von meinem Ohr weg, bevor ich Eduard antworte. »Nein, ich mache mich gleich auf den Weg. Was gibt es denn?«

      »Heute Nachmittag kommt Gregor Sander, um das Menü für übernächste Woche zu besprechen. Ich …«

      »Was?«, unterbreche ich ihn. Bisher habe ich noch nie Menüabsprachen mit Kunden getroffen.

      »Maja!«, herrscht er mich an. »Gregor Sander ist ein wichtiger Kunde. Er möchte sich Essen für einhundert Personen außer Haus liefern lassen. Wenn wir ihn zufriedenstellen, lässt er uns zukünftig alle seine Veranstaltungen beliefern. Wir dürfen das mit ihm nicht verpatzen!«

      »Für einhundert Personen? Außer Haus? Wie sollen wir das stemmen?«, erkundige ich mich schockiert.

      »Wir schaffen das! Sander ist wirklich wichtig!«

      »Schon klar, aber ist es dann nicht besser, wenn wir den Termin verschieben und du mit ihm alles besprichst?«

      »Normalerweise würde ich ja sagen, doch das ist zu kurzfristig. Also musst du das übernehmen.«

      Ich atme tief durch. »Na schön. Ich schätze, du hast etwas ausgearbeitet, was ich ihm zeigen muss?«

      »Ja. Ich habe einige Menüvorschläge vorbereitet. Du müsstest dich aber um die Koordination der Zubereitung kümmern, falls ich bis dahin noch nicht zurück bin.«

      »Was? Wie stellst du dir das vor? Ich bin Köchin und keine … keine …«

      »Beruhige dich! Du schaffst das schon. Heute ist erst mal das Gespräch. Auf meinem Schreibtisch findest du eine Mappe mit Vorschlägen. Herr Sander wird um vierzehn Uhr da sein. Bis dahin solltest du dich einlesen.«

      »Eduard, du bist verrückt! Warum muss ausgerechnet ich das machen?«

      »Du schaffst das, Maja! Ich muss jetzt Schluss machen.«

      Bevor ich etwas erwidern kann, hat Eduard aufgelegt.

      Ich starre mit offenem Mund die Wand an und fühle mich völlig überrumpelt.

      Natürlich hat Eduard irgendwann mal den Gedanken geäußert, auch Veranstaltungen zu beliefern. Die Restaurantküche ist groß genug, um eine Ecke nur für die Cateringvorbereitungen zu nutzen. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie konkret seine Pläne sind. Er verlor bisher kein Wort darüber, dass übernächste Woche bereits der erste Kunde beliefert werden soll. Ich weiß noch nicht mal, ob auch Geschirr benötigt wird und wenn ja, ob sich Eduard darum gekümmert hat.

      Das ist wieder einer der Momente, in denen ich meinem Chef den Hals umdrehen könnte. Bisher fand ich meinen Küchenjob ziemlich monoton. Was mir an Abwechslung gefehlt hatte, prasselt nun auf mich ein.

      In meinem Kopf dreht sich alles. Es dauert einen Augenblick, bis ich mich gefangen habe.

      ***

      »Du bist ganz schön spät! Nicht, dass der Job als Küchenchefin dir zu Kopf steigt«, rügt mich John, als ich völlig abgehetzt die Restaurantküche betrete.

      »Haha«, erwidere ich und ziehe einen Schmollmund.

      »Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?«

      »Eduard«, antworte ich.

      John schaut mich fragend an. Als ich nichts weiter sage, räuspert er sich. »Und? Was ist mit ihm?«

      »Er hat mich gerade angerufen und mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir übernächste Woche den ersten Kunden mit Essen für einhundert Personen beliefern müssen. Er kommt heute für die Menübesprechung vorbei.«

      »Oh«, ist alles, was John dazu einfällt.

      »Du sagst es. Kommt ihr eine Weile ohne mich zurecht? Ich muss mich in Eduards Unterlagen einlesen.«

      »Ähm, klar. Es nützt ja nichts.«

      »Danke.«

      »Nicht dafür. Ich frage mich nur, wie Eduard sich das vorstellt. Wenn er zusätzlich Essen außer Haus liefern möchte, muss er mehr Personal einstellen. Ich glaube kaum, dass wir das auch noch hinbekommen.«

      Ich seufze. »Ich weiß. Bevor ich ihn fragen konnte, hat er einfach aufgelegt. Ich versuche, den Termin heute irgendwie zu bewältigen und danach mache ich mir Gedanken, wie wir das schaffen sollen.«

      John nickt und widmet sich seiner Arbeit.

      Ich verlasse die Küche und gehe in Eduards Büro. Sein Schreibtisch ist ein einziges Schlachtfeld. In der Küche ist er so ordentlich und hier liegt alles kreuz und quer herum.

      Wieder klingelt mein Telefon. Ich zucke vor Schreck zusammen und krame es aus der Hosentasche. Der Name auf dem Display lässt mich aufstöhnen. Es ist Pascal. Ich schwanke, ob ich den Anruf einfach wegdrücken oder annehmen soll. Die Aussicht, er könnte mich den ganzen Tag belästigen, bringt mich dazu auf das grüne Symbol zu drücken.

      »Was willst du?«, frage ich schroff und verzichte auf eine Begrüßung.

      »Na endlich, Maja! Ist Ginette bei dir? Sie ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen und ihr Telefon ist ausgeschaltet.«

      »Ach, sag bloß!«, stelle ich mit trockener Stimme fest.

      »Maja, bitte! Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen!«

      »Muss ich das?«

      »Maja, bitte!«

      »Hör zu, Pascal! Ich habe dir nichts zu sagen. Gini übrigens auch nicht. Also hör auf, mich zu terrorisieren. Ich will weder Anrufe noch Besuche von dir, klar?«

      »Maja, was ist los?«

      »Das fragst du Allenernstes mich? Gini hat euch gesehen.«

      »Oh.«

      Es herrscht Schweigen.

      Pascal weiß genau, worum es geht, sonst würde er nachhaken.

      »War es das?«, erkundige ich mich nach einer Weile. »Ich habe zu tun.« Ohne eine Antwort abzuwarten, lege ich einfach auf.

      Ich wühle mich durch einen Berg Papiere, bis ich tatsächlich einen Schnellhefter mit der Aufschrift Sander - Software Construction entdecke. Neugierig klappe ich den Hefter auf und lese, was Eduard sich ausgedacht hat. Bereits nach dem ersten Vorschlag weicht mir die Farbe aus dem Gesicht. Das Menü besteht aus vielen aufwendigen Komponenten. Der Aufwand, es für einhundert Personen zuzubereiten, übersteigt unsere Kapazitäten. Wenn wir es in der Stammbesetzung schaffen sollen, müssen wir das Restaurant für mindestens einen Tag schließen. Jetzt, wo Eduard ausfällt, vielleicht sogar für zwei Tage. Es ist nahezu unmöglich, das Tagesgeschäft und den Cateringauftrag unter einen Hut zu bekommen.

      Ich lese weiter. Insgeheim hoffe ich auf einen Menüvorschlag, der schnell geht. Aber jedes, der fünf Angebote ist gleich aufwendig.

      Meine Hoffnung, am Ende des Hefters Hinweise zu finden, wie Eduard sich den Ablauf vorgestellt hat, ist ebenso geplatzt.

      Ich überlege, ob ich mir noch etwas anderes ausdenken soll, was leichter zu bewältigen ist, doch wenn ich das mache, wird Eduard mich köpfen.