Ernst Friedrich Wilhelm Mader

Wunderwelten


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      3. Eine wunderbare Entdeckung.

      Nach diesen Erklärungen lud Flitmore seine Gäste ein, die Innenräume zu besichtigen, was diese unter seiner Führung mit regstem Interesse taten.

      Sie fanden alles mit größter Zweckmäßigkeit und Behaglichkeit eingerichtet; was ihnen zunächst auffiel, war, dass sämtliche Einrichtungsgegenstände als Tische, Stühle, Bettstellen usw. aus Kautschuk hergestellt waren, wie auch Wände, Decken und Fußböden sich mit dicken Gummiplatten ausgelegt erwiesen; was aber aus Holz und Metall bestand: Hobelbank, Amboss, Herd usw. war am Fußboden festgeschraubt.

      „Diese Vorsicht glaubte ich nicht ausser acht lassen zu dürfen“, erklärte der Lord, „da wir nicht wissen können, welchen Erschütterungen unsre Sannah ausgesetzt sein kann, wenn sie etwa mit einem Meteoriten zusammenstoßen sollte oder etwas unsanft auf irgendeinem Weltkörper zum Landen käme.“

      Die Besichtigung nahm mehrere Stunden in Anspruch. Als nun alles eingehend betrachtet und bewundert worden war, nahm Heinz Friedung das Wort:

      „Verzeihen Sie, Lord Flitmore“, sagte er: „Sie sehen uns alle überzeugt, dass kein Fahrzeug umsichtiger und zweckmäßiger für eine kosmische Reise ausgerüstet sein könnte, als Ihre herrliche Sannah; aber welche Wunderkraft soll sie in den Weltraum schleudern? Das ist das Rätsel, das ich vergeblich zu lösen versuche. Dürfen wir etwas davon erfahren oder ist es ein Geheimnis?“

      „Sie haben recht“, erwiderte Flitmore: „Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Es handelt sich hier um eine Entdeckung, die ich zufällig machte, und die mir erst den Gedanken und die Möglichkeit eines solchen Unternehmens gab.

      Sie kennen die Schwerkraft und ihre Gesetze und wissen auch, dass die Wissenschaft keine Ahnung davon hat, was diese Schwerkraft ihrem Wesen nach eigentlich ist. Die Anziehungskraft der Weltkörper ist ja wohl eine Erklärung für die Schwerkraft, aber wir wissen eben gerade so wenig, was die Anziehungskraft ist und worauf sie beruht. Würde sie auf der Umdrehung oder Rotation beruhen, so müssten wir zum Beispiel gegen die Erdachse angezogen werden, während tatsächlich die Anziehung gegen den Mittelpunkt der Erde sich richtet. Es ist eine Zentripetalkraft. Möglicherweise hängt diese Kraft mit dem Magnetismus zusammen und dieser wieder mit der Elektrizität.

      Nun wissen Sie, dass es eine positive und eine negative Elektrizität gibt. Was die eine anzieht, stößt die andre ab; so gibt es einen positiven und einen negativen Magnetpol, einen Nord- und einen Südpol, und der Zentripetalkraft entspricht eine Zentrifugalkraft. Mit andern Worten, außer der Anziehung gibt es auch eine Abstoßung, und letztere Kraft nenne ich „Fliehkraft“.

      Es ist klar, dass, wenn unsre Erde neben ihrer Anziehungskraft auch eine abstoßende Kraft besitzt, Erstere bei weitem überwiegen muss in Bezug auf ihre Wirkung auf alle irdischen Körper; denn sämtliche Körper, auf welche die Abstoßungskraft überwiegend wirken würde, müssten sofort von der Erde abgestoßen werden, wären also nicht mehr da. Aus diesem einfachen Grunde bleibt uns diese zweite Kraft verborgen.

      Nun habe ich aber durch zufällige Kombinationen eine Elektrizität oder einen magnetischen Strom entdeckt, der diese Fliehkraft darstellt.

      Wird der Strom geschlossen, so werden die von ihm durchströmten Körper von der Erde abgestoßen und das mit umso größerer Kraft, je stärker der Strom ist. Bei unterbrochenem Strom tritt die Anziehungskraft der Erde wieder in ihre Rechte.

      Meine „Fliehkraft“ ist sozusagen die umgekehrte Schwerkraft, ein Magnetismus, der vom Erdmagnetismus abgestoßen wird, und der seinerseits auf diesen abstoßend wirkt.

      Das ist das ganze Geheimnis. Alle Versuche, die ich anstellte, hatten den gleichen Erfolg; jeder Körper, den ich mit Fliehkraft lud, und wenn er sonst noch so schwer war, erhob sich in die Luft mit wachsender Geschwindigkeit und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Sie begreifen, dass mir diese Entdeckung den Gedanken nahelegen musste, ein Fahrzeug herzustellen, das mittelst der Fliehkraft sich dem Bereich der Anziehungskraft unsres Erdballs entziehen könnte.“

      Mit großer Verwunderung lauschten unsre Freunde diesen überraschenden Ausführungen und Schultze meinte kopfschüttelnd: „Na, wir werden ja sehen!“

      4. Die Fahrt ins Leere.

      Es war eine helle Nacht, wenngleich der Mond nur die Hälfte seines beleuchteten Angesichts zeigte, als die kühne Reisegesellschaft ihre abenteuerliche Fahrt antrat. Flitmore ließ noch einige letzte Vorratskisten und Gebrauchsgegenstände in der Sannah verstauen. Auch die von ihm erfundene und in Afrika erprobte Nährmaschine nahm er für alle Fälle mit. In Kolben und Metallgefäßen verwahrte er die chemischen Stoffe, aus denen er mittels der Maschine Tabletten von hohem Nährwert erzeugen konnte. Dies hatte den Vorzug, dass in kleinen Behältern, die nur sehr wenig Raum einnahmen, die Mittel zur Verköstigung auf viele Monate mitgenommen werden konnten. Überdies vermochte er mit seiner Maschine bei einer Landung aus jedem Erdreich, das die für den Pflanzenwuchs nötigen Bestandteile enthielt, diese Bestandteile auszusondern und zu verarbeiten, genau wie es die Pflanzen tun, die Mehl und genießbare Früchte erzeugen. Wozu aber die Halme, Gesträuche und Bäume Monate oder wenigstens Wochen benötigen, das brachte die Nährmaschine in wenigen Stunden zuwege. So schlossdiese geniale Erfindung eine Hungersnot aus, auch wenn die reichen Lebensmittelvorräte erschöpft werden sollten, im Falle die Reise sich über alle Erwartungen hinaus verlängern würde.

      Besonders wichtig war dem Lord auch sein photographischer Apparat, mit dem er nach dem neuesten Verfahren Lichtbilder in natürlichen Farben herzustellen verstand.

      Heinz trug seine geliebte Violine in ihrem Kasten bei sich: Er war ein Meister im Geigenspiel und die Zartheit und Gefühlsinnigkeit seines Strichs übertraf selbst das, was man von berühmten Virtuosen zu hören gewohnt ist. Überdies blies er gelegentlich auch Piston mit ebensolch vollendeter Meisterschaft.

      Flitmore selber war ein begeisterter Kenner und Freund der Musik. Er spielte nicht weniger als drei Instrumente mit gleicher Fertigkeit, das Klavier, das Cello und die Posaune.

      Da Lady Flitmore auf dem Klavier Vorzügliches leistete, John Rieger, der Diener, Flöte blies und selbst Kapitän Münchhausen nicht unmusikalisch war, konnte man hoffen, in der Sannah Konzerte aufzuführen, die sich überall hätten hören lassen dürfen.

      Der Lord hatte daher nicht versäumt, für solche willkommene Veranstaltungen in der Sannah ein eigenes, glänzend ausgestattetes Musikzimmer einzurichten, das sogar einen Flügel enthielt, dazu Blas- und Streichinstrumente aller Art, ein ganzes Orchester. Für die nötigen Noten und Partituren war selbstverständlich reichlich gesorgt: Da sollte keine Langeweile aufkommen!

      Alle waren vor der Eingangspforte der Sannah versammelt, zum Einsteigen bereit, als Flitmores treuer Diener John noch als Letzter erschien, und zwar begleitet von zwei kräftigen Affen, die der Lord den erstaunten Gefährten folgendermaßen vorstellte:

      „Sie sehen hier zwei dienstbare Geister, die Schimpansen Dick und Bobs. Der Erstere verdankt seinen Namen einem schlechten Wortspiel, da er in der Tat etwas fettleibig ist, also in deutscher Sprache als „Dick“ bezeichnet werden kann; der Zweite hat eine auffallende Ähnlichkeit mit Lord Roberts, dem Feldmarschall, den wir bekanntlich „Bobs“ heißen.

      Die Tiere sind äußerst intelligent und gelehrig und sind vorzüglich eindressiert auf das Treiben der Maschine zur Speisung des elektrischen Akkumulators. Sie mögen uns ferner von Nutzen sein, wenn das Schicksal uns auf einen Weltkörper verschlagen sollte, der mit Pflanzenwuchs gesegnet wäre. Da wir in solchem Fall gewärtig sein müssen, lauter uns völlig unbekannte Früchte dort vorzufinden, werden uns die Schimpansen davor bewahren, irgendetwas Giftiges oder Schädliches zu genießen; denn darin ist ihr Instinkt untrüglich.“

      Mit vor Erwartung klopfenden Herzen betraten unsre Freunde die unterste Kammer der Sannah, die eher ein Saal zu nennen war, wie alle ihre Räume. Nun musste es sich bald zeigen, ob eine Erhebung in den unendlichen Raum möglich sei. Und wenn es geschah, — was würden ihrer für Überraschungen, für Gefahren dort warten?

      „Charles“, sagte Mietje zu ihrem Gatten: „Ich will mich in das oberste Stockwerk begeben und