Ernst Friedrich Wilhelm Mader

Wunderwelten


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die Himmelskörper einhalten; so erkläre ich mir auch, dass die flüchtigen Stoffe der Kometen bei der Annäherung an die Sonne bis zu einem gewissen Punkt angezogen, von da ab aber abgestoßen werden und so die Kometenschweife bilden.

      Für uns aber ist die Hauptsache, dass der Strom, der in der Sannah kreist, die Anziehungskraft überhaupt aufhebt und nur die Fliehkraft wirken lässt, so dass kein Weltkörper uns in seinen Bannkreis zwingen kann, solange der Strom geschlossen bleibt.“

      „Das ist in der Tat richtig“, gab Schultze zu. „Aber hören Sie, noch eins erscheint mir rätselhaft: Wir befinden uns jedenfalls schon längst im leeren Raum, außerhalb der irdischen Atmosphäre, deren Höhe auf etwa 180 Kilometer geschätzt wird ...“

      „Erlauben Sie, dass ich Sie hier unterbreche“, bat Flitmore: „Wie stellen Sie sich unsere irdische Lufthülle überhaupt vor?“

      „Nun“, erwiderte der Professor: „Man ist der Ansicht, als ob es eine scharfe Abgrenzung der Atmosphäre gegen den Raum überhaupt nicht gebe, sondern bloß einen allmählichen Übergang durch stets zunehmende Verdünnung der Luft.“

      „Ganz richtig!“, sagte der Lord: „Aber die Astronomen oder Astrophysiker, die diese schöne Theorie aufstellen, vergessen offenbar, dass die Erde bei ihrem Dahinsausen durch den Raum ihre Lufthülle mit sich nimmt. Wie wollen wir uns das erklären, wenn diese Hülle gar keine feste Grenze hat?“

      „Das stimmt!“, meinte Heinz: „Es ist klar, dass die Anziehungskraft der Erde auf die obersten, dünnsten Luftschichten am schwächsten wirkt; in einer bestimmten Höhe muss die Attraktion nicht mehr genügen, um die in den leeren Raum übergehende unendlich verdünnte Luft festzuhalten und somit muss sie alles zurücklassen, was über diese Grenze hinausgeht; wäre also die Atmosphäre ursprünglich ohne bestimmte Grenze gewesen, so müsste sie doch alsbald durch die Fortbewegung der Erde zu einer scharfen Abgrenzung gelangt sein.“

      „Ganz meine Ansicht“, bestätigte Flitmore: „Ich gehe noch weiter; es wäre anzunehmen, dass die Erde immer mehr von ihrer Atmosphäre an den leeren Raum verlöre und die Masse derselben beständig abnehmen müsste.“

      „Das leuchtet mir ein“, meinte Schultze: „Jedenfalls muss die Lufthülle der Erde gegen den Raum scharf abgegrenzt sein, da sie mit der Erde durch die Leere saust.“

      „Doch nicht!“, widersprach der Lord.

      „Oho!“, rief Schultze verwundert: „Wie wollen Sie dann aus der Klemme kommen?“

      „Sehr einfach“, erklärte der Engländer: „Die Lufthülle der Erde ist nie und nirgends vom raumerfüllenden Stoff scharf unterschieden, weil eben dieser Stoff, der den Raum erfüllt, und den man Äther nennt, nichts anderes ist als Luft.“

      „Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!“, lachte der Professor. „Damit werden Sie in der wissenschaftlichen Welt schwerlich durchdringen.“

      „Möglich! Aber das ist meine Überzeugung. Ein ganz allmählicher Übergang der Atmosphäre in den umgebenden Raum ist nur dann möglich, wenn der Raum eben die gleichen Stoffe enthält, wie die Luft, freilich in äußerst dünner Verteilung. So mag die Erde einerseits beständig etwas von ihren obersten dünnsten Luftschichten an den Raum verlieren, sie wird aber andererseits auch beständig aus dem durcheilten Raum wieder Ersatz anziehen.“

      „Bravo!“, rief Heinz: „Diese Theorie allein scheint mir genügend zu erklären, wieso die Erde ihre Lufthülle durch die Jahrtausende in gleicher Dichte und stets erneuerter Reinheit bewahren kann.“

      „So ist es“, bestätigte der Lord: „Und weiter folgt daraus, dass jeder Weltkörper entsprechend seiner Masse und Anziehungskraft, sowie seiner Rotations- und Umlaufgeschwindigkeit sich aus dem Raum eine Atmosphäre angezogen haben muss, die eben durch seine Attraktion verdichtet und an seiner Oberfläche am dichtesten geworden ist.“

      „Das hieße also: kein Weltkörper ohne Lufthülle?“, fragte Schultze.

      „Das wäre allerdings die notwendige Folge meiner Annahme.“

      „Lassen wir das dahingestellt“, fuhr der Professor kopfschüttelnd fort: „Das Rätsel, von dem ich reden wollte, ist dies: Da wir uns im leeren Raum, oder, wie Sie wollen, in äußerst verdünnter ätherischer Luft befinden, muss in unserer Umgebung eine Temperatur herrschen, die dem absoluten Nullpunkt nahekommt, das heißt 273 Grad unter Null. Nun mag die Schutzhülle unserer Sannah noch so vorzüglich sein, ebenso Ihr Heizungssystem; wir müssten dennoch den Einfluss einer so ungeheuren Kälte spüren. Ich aber spüre nichts Derartiges, vielmehr ist es stets gleichmäßig behaglich warm.“

      „Über die Temperaturverhältnisse des Raumes sind wir völlig im unklaren“, entgegnete der Engländer: „Die beständige Abnahme der Temperatur ist schon innerhalb der Erdatmosphäre widerlegt, in welcher bekanntlich die große Inversion stattfindet: Die unterste Luftschicht ist 3 bis 4 Kilometer hoch und befindet sich in steter Unruhe und Bewegung; über ihr befindet sich eine ruhigere, trockene, kalte Luftschicht, in der die Temperatur bis zu 85 Grad unter Null abnimmt. In einer Höhe von 10 Kilometern aber beginnt die dritte, sehr gleichmäßige, ruhige und trockene Schicht, die wieder wärmer ist und bei 14 Kilometer Höhe 52 bis 57 Grad unter Null aufweist. Die Theorie der ‚Strahlung‘ von Licht und Wärme halte ich für eine völlig verfehlte: Sie müsste zu ganz unmöglichen Folgerungen führen. Bedenkt man, mit welcher Geschwindigkeit die Erde durch den Raum eilt, so dass in jedem Augenblick neue, zuvor im Raum verlorene Sonnenstrahlen sie treffen, so müsste man annehmen, dass sie überhaupt kein Licht und keine Wärme von der Sonne empfangen könnte, falls nicht der Raum, den sie durchwandert, erleuchtet und erwärmt wäre. Meiner Ansicht nach pflanzen sich Licht und Wärme in der Weise fort, dass die erleuchteten und erwärmten Stoffteile des Raumes sie einander durch Berührung weitergeben, meinetwegen als Schwingungen. Je dünner die Materie ist, desto rascher gibt sie die Schwingungen weiter und desto weniger speichert sie an Licht und Wärme auf; je dichter sie ist, desto mehr absorbiert oder verschluckt sie, speichert davon in sich auf oder wirft die Strahlen zurück, wobei es auf die Art des Stoffes ebenfalls ankommt, auf seine Leitungsfähigkeit, Färbung und so weiter.“

      „Sie haben recht, Lord“, mischte sich nun Kapitän Münchhausen in das Gespräch: „Auf den höchsten Berggipfeln, die infolge der mangelnden Erdwärme ewig in Eis und Schnee starren, brennt die Sonne viel heißer als unten in der dichten Atmosphäre. Warum? Die dünne Luft gibt ihre Wärme rascher ab, wobei sie sich selber weniger durch Aufspeicherung erwärmt; der Raum, durch den wir fliegen, ist jedenfalls weit kälter als die Bergluft, aber durchaus nicht so bodenlos kalt, wie man annimmt, und bei Tag werden wir es erfahren, dass die Sonnenstrahlen uns tüchtiger einheizen als irgendwo auf der Erde.“

      „Und da eine Hälfte unserer Sannah stets Sonnenlicht genießen wird“, fügte Heinz bei, „so denke ich, werden wir nie unter zu starker Abkühlung zu leiden haben.“

      „Damit rechne auch ich“, schloss Flitmore: „Ich glaube, wir werden, solange wir uns im Bereiche der Sonnenwärme befinden, überhaupt keiner Heizung mehr bedürfen; im Gegenteil, die Schutzhülle meines Weltschiffs wird uns vor unerträglicher Hitze bewahren müssen.“

      6. Am Mond vorbei.

      Unsere Freunde richteten nun ihr Augenmerk wieder auf den Mond, der sein weißes Licht aufs Neue durch das große Deckenfenster sandte; denn Sannah hatte inzwischen eine zweite Umdrehung vollendet.

      Er erschien nun als eine ungeheure Kugel, so nah, wie er durch das stärkste irdische Fernrohr nicht gesehen werden kann.

      „Wir stürzen geradewegs auf ihn zu!“, rief Lady Flitmore nicht ohne Besorgnis.

      „Beruhige dich, Mietje“, tröstete ihr Gatte: „Die Fliehkraft gestattet nicht, dass wir an seiner Oberfläche zerschellen, er muss uns abstoßen, ehe wir ihm nahekommen. Wenn wir übrigens wollten, könnten wir ihm einen Besuch abstatten: Ich brauchte nur den Strom abzustellen.“

      „Ich stimme nicht dafür“, erklärte Münchhausen: „Er sieht durchaus nicht einladend aus, dieser Sehnsuchtstraum der Poeten.“

      „Und