Ernst Friedrich Wilhelm Mader

Wunderwelten


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den Ringkratern leuchteten häufig kleinere oder größere Seen; Wasserfälle und Bäche stürzten die steilen Bergwände herab, größere Flussläufe und Meere waren jedoch nicht zu sehen: Die Bäche ergossen sich in kleine Binnenseen oder versandeten in der Ebene; vielfach schienen auch Sümpfe die Niederungen zu bedecken.

      Von lebenden Wesen war nichts zu entdecken und Schultze sprach die Vermutung aus, dass eine Tier- und Vogelwelt jedenfalls vorhanden sein dürfte, allein wahrscheinlich nur in einer geringen Anzahl von Exemplaren von bescheidenster Größe, so dass auf solche Entfernung nichts davon zu erkennen sei.

      Wolkenbildungen schienen auch auf dieser Seite des Mondes überhaupt nicht vorzukommen, was bei dem Mangel an bedeutenderen Wasserflächen nicht gerade verwunderlich war. Dagegen stiegen da und dort Nebelschleier auf, die dazu dienen mochten, das Land zu befeuchten und die Quellen zu speisen.

      Leider war der größte Teil der Mondscheibe auf dieser Seite in Nacht gehüllt, so dass es unbekannt blieb, ob nicht noch unbekannte Wunder, vielleicht gar Spuren menschenähnlicher Geschöpfe in den verborgenen Gegenden zu schauen gewesen wären.

      „Einen langen Tag und eine lange Nacht haben die etwaigen Mondbewohner“, sagte Schultze. „Sie währen 14¾ unsrer Erdentage; um so kürzer ist ihr Jahr, denn es dauert eben nur einen Tag und eine Nacht, im ganzen 29½ Erdentage.

      Auf dieser Seite des Mondes wird die Erde niemals geschaut, während sie auf der andern, jedenfalls unbelebten und unbewohnbaren Seite des Mondes unbeweglich am Himmel steht, ohne jemals auf- oder unterzugehen oder ihre Lage zu verändern. Sie erscheint dreizehnmal größer als uns auf Erden der Mond erscheint und macht innerhalb 24 Stunden alle Mondphasen durch. Welch herrlichen Anblick und welch strahlendes Licht gewährt sie dort, wo wahrscheinlich niemand sie zu bewundern vermag!“

      Lord Flitmore beschloss, von nun ab die Fahrt in die Welträume aufs äußerste zu beschleunigen und stellte den vollen Zentrifugalstrom ein; dann wurde eine Mahlzeit eingenommen, die John als Allerweltskünstler inzwischen bereitet hatte.

      Da die Weltallreisenden dringendes Ruhebedürfnis verspürten, wurde beschlossen, dass sich nun jeder in sein eigenes Schlafgemach zurückziehen solle, um einige Stunden des Schlafes zu pflegen.

      Bei den zahlreichen Räumen, die Lord Flitmores Sannah enthielt, hatte nämlich jeder ein besonderes und sehr geräumiges Schlafzimmer zur Verfügung.

      Zuvor aber wurde der Wachdienst geregelt.

      Es wurde allgemein anerkannt, dass eine ständige Wache unerlässlich sei, einmal weil bei einer Fahrt von solch rasender Geschwindigkeit, wie sie jetzt ausgeführt wurde, unbekannte Gefahren jederzeit drohten; sodann, weil besonders interessante Erscheinungen sich bieten konnten, die sich niemand gerne hätte entgehen lassen mögen.

      Die Schlafzeit wurde auf 8 Stunden festgesetzt, und da Mietje darauf bestand, ihren Wachdienst gleich den Männern zu versehen, wurde jede „Nacht“, wenn man die Zeit des Schlafes so nennen wollte, in drei Wachen eingeteilt, so dass auf jeden alle 48 Stunden eine Wache von etwa 2¾ Stunden kam; gewiss keine übermäßige Leistung, da er hernach schlafen konnte, solange es ihm behagte.

      Der jeweilige Wachhabende hatte die Runde durch alle Beobachtungszimmer zwei- oder dreimal zu machen, um alle Himmelsrichtungen zu beobachten. Sah er eine Gefahr oder etwas besonders Merkwürdiges, so war er verpflichtet, das elektrische Läutwerk erklingen zu lassen, das in allen Gemächern zugleich ertönte und von jedem Zimmer aus durch den Druck auf einen Knopf in Tätigkeit gesetzt werden konnte.

      7. Eine ernste Gefahr.

      Lord Flitmore übernahm die erste Wache.

      Mit ungeheurer Geschwindigkeit stürzte die Sannah ins Leere.

      An der Abnahme der scheinbaren Größe des Mondes berechnete der Lord, dass sie etwa 100 Kilometer in der Sekunde zurücklegte.

      „Die Geschwindigkeit wird sich mit der Zeit noch verdoppeln, vielleicht verdreifachen“, murmelte er; „aber damit wird sie auch ihre höchste Eile erreicht haben. Im gegenwärtigen Tempo würden wir in neun Tagen die Marsbahn kreuzen, mit 300 Kilometern in der Sekunde in drei Tagen; dann würden wir drei Wochen benötigen, um die Jupiterbahn zu erreichen, weitere 25 Tage, um nach dem Saturn zu gelangen, dann 55 Tage bis zum Uranus und etwa 62 Tage bis zum Neptun, im ganzen fünfeinhalb Monate. Das würde elf Monate ausmachen, bis wir wieder zur Erde zurückgelangten, und so lange kann ich wohl hoffen, dass unsere Luftvorräte ausreichen, ganz abgesehen von der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, sie auf irgendeinem Planeten erneuern zu können, wodurch wir in Stand gesetzt würden, noch unbestimmte Zeit auf die Besichtigung und Erforschung der Planeten zu verwenden, deren Natur unserer Konstitution einen Aufenthalt auf ihrer Oberfläche gestatten würde. So könnten wir also ohne besonderes Risiko bis an die Grenzen unseres Sonnensystems reisen.“

      „Prächtig!“, rief eine Stimme.

      „Oho, Sie sind’s, Professor?“, sagte der Lord, sich umwendend. „Sie sind zu früh dran; erst in einer halben Stunde kommt die Wache an Sie.“

      „Na! Ich habe die zwei Stunden famos geschlafen und fühle mich ganz munter; so wollte ich Ihnen die letzte Zeit Ihrer Wache Gesellschaft leisten; aber Sie werden müde sein; legen Sie sich nur gleich, wenn Sie wollen, ich bin ja auf dem Posten.“

      „Ich fühle nichts von Müdigkeit; ich bin es gewohnt, lange zu wachen.“

      „Also bis zum Neptun können wir reisen, wenn ich Sie recht verstand? Das ist ja famos!“

      „Für mich bedeutet es vielmehr eine Enttäuschung: Ich wünschte die Welträume jenseits unsres Sonnensystems zu erforschen; aber das scheint nun ausgeschlossen, denn wir würden bei einer Geschwindigkeit von nur 300 Kilometern in der Sekunde so beiläufig 4500 Jahre brauchen, um den nächsten Fixstern Alpha Centauri zu erreichen.“

      „Na, wissen Sie, Lord, wenn wir uns hier in der Unendlichkeit bewegen, außerhalb des Bereichs irdischer Naturgesetze, so ist es ja wohl gar nicht ausgeschlossen, dass wir einige tausend Jahre alt werden“, scherzte Schultze.

      „Und auf leibliche Nahrung und Atmung in gesunder Luft dabei verzichten können“, ergänzte Flitmore. „Kann sein! Denn was ein Professor für möglich hält, muss sein können. Aber ich fürchte, wir würden an Langerweile zu Grunde gehen, wenn wir viereinhalb Tausend Jährlein durch den leeren Raum reisen wollten.“

      „Hören Sie, Lord“, sagte Schultze unvermittelt: „Die Sonne wird merkwürdig klein!“

      Er hatte einen Blick zum Fenster hinausgeworfen und zu seiner Verblüffung bemerkt, dass die Sonnenscheibe kaum noch halb so groß erschien, wie gewöhnlich und auch an Glanz in ähnlichem Verhältnis abgenommen hatte.

      Bei einer Geschwindigkeit von 360000 Kilometern in der Stunde war diese Erscheinung ein Rätsel: Vier bis fünf Tage von 24 Stunden hätte normalerweise die Fahrt währen müssen, bis die Sonne in solcher Entfernung sich zeigte.

      Flitmore wunderte sich zunächst nicht weiter über des Professors Bemerkung: „Ja“, sagte er, „wir entfernen uns immer mehr von unserm Zentralgestirn.“

      Dabei blickte auch er zum Fenster empor.

      „Halloh!“, rief er nun aber ganz verblüfft: „Was soll das bedeuten?“

      Er griff sich an die Stirn, als zweifle er, ob er wache oder träume.

      „Lord, die Sannah macht nicht 300, sondern 15000 Kilometer in der Sekunde“, rief Schultze aus: „Auf diese Weise erreichen wir Alpha Centauri bereits in 90 Jahren; wenn übrigens die Geschwindigkeit Ihres wunderbaren Weltschiffes im gleichen Tempo noch weiter zunimmt, wie anzunehmen ist, so können auch 90 Tage daraus werden.“

      „Ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen!“, sagte nun Flitmore ruhig und bestimmt, ging hin und unterbrach den Zentrifugalstrom.

      „Was machen Sie da?“, fragte der Professor.

      „Es war die höchste Zeit, dass wir die Sachlage entdeckten“, erklärte der Lord: „Wir müssen bereits über die Marsbahn hinausgekommen