Jede Kategorie hat eigene Symbole, damit die Menschen dieser Untergruppe als deren Mitglieder erkennbar sind. Und es gibt spezifische Richtlinien zur Sozialisation.
Männlichen Babys werden blaue Strampler angezogen, weibliche Babys bekommen Strampler in Rosa oder mit rosa Verzierungen. Die Farben sind geschlechtlich zugeordnet und fungieren als Symbole, die dazu auffordern das männliche Baby nach den Standards für männliche Kleinkinder und das weibliche Baby nach den Standards für weibliche Kleinkinder zu behandeln. Deswegen schenken Onkel und Tanten traditionell dem Jungen z. B. einen Plüschtiger, und das Mädchen bekommt oft eine Stoffpuppe (2).
Kategorien legen ganz spezifische Sozialisationen fest. Sie stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die Entwicklung einer Identität erfolgen darf. So definieren Kategorien die Subgruppen einer Gesellschaft. Das sind die Schubladen, in die die Menschen gesteckt werden. Das geschieht nach den Prinzipien, die sich von den Ideen und Werten philosophischer, ideologischer oder religiöser Grundsätze ableiten und Maximen der Gesellschaft sind.
In einer Kultur als gesellschaftlicher Einheit können Subkulturen entstehen. Sie repräsentieren Bedürfnisse, die nicht oder nur unzureichend von der Mehrheitsgesellschaft berücksichtigt werden. Sie sind deswegen Gegenbewegungen zum Mainstream mit eigenen Ansichten und Normen. Meist haben sie einen bestimmten kulturellen Kristallisationspunkt. Bei den Beatniks der 1960er Jahre war es Literatur. Bei den Punks ist es Musik. Bei den Skateboardern und Surfern ist es Sport (3).
Wegen der Oppositionshaltung von Subkulturen werden sie oft vom Establishment stigmatisiert und ausgegrenzt. Aus Enttäuschung und Frust über die gesellschaftliche Ignoranz ihrer Anliegen ziehen Subkulturen den Graben zwischen sich und der Gesellschaft noch tiefer. Nach dem Motto „jetzt erst recht“ werden in einer Art Trotzreaktion die Symbole der Ausgrenzung extra verstärkt.
Mit unserer Kleidung zeigen wir, wie wir zur Gesellschaft stehen, welchen Rang und Status wir darin einnehmen und welchem Geschlecht wir zuzuordnen sind. Weil Kategorien unser Prestige und unsere Privilegien festlegen, regelte die spätmittelalterliche Ständeordnung des 12.-14. Jahrhunderts bei den damals bei den Männern beliebten kurzen Röcken, wie weit und A-Linien-förmig, d. h. glockenförmig diese sein durften. Vermögende Kaufleute maßten sich trotz ihrer bürgerlichen Herkunft an, A-Linien Röcke mit vielen Falten zu tragen, was prinzipiell dem Adel vorbehalten war. Also wurde schriftlich per Verordnung für jede Standesgruppe genau festgelegt, wie viele Gehren in den Rock genäht werden durften. Gehren waren keilförmige Stoffstücke, die als lange gleichschenkelige Dreiecke - ähnlich heutigen Godets oder Zwickeln - in Einschnitte rechtwinkelig zum Saum genäht wurden. Je mehr Gehren verwendet wurden, umso mehr Falten warf der Rock. Das war beim Reiten sehr praktisch, aber natürlich ging es primär um die optische Wirkung, denn Männer wollten damals noch prächtig wirken, weil das ihre Wichtigkeit, also ihr Prestige unterstrich (4).
Jeden Morgen, wenn wir uns konform anziehen, signalisieren wir damit unsere Zustimmung zu unserer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle. Durch die tägliche Wiederholung schleift sich unser Rollenbewußtsein ein. Wir lernen zu sein, was wir sein sollen. Wir sind, was wir sind, dadurch, dass wir tun, was wir sollen. Das Repetieren konditioniert uns. Irgendwann können wir uns gar nicht mehr anders verhalten.
Als früher europäische Landarbeiterinnen, anders als beispielsweise in China, selbst für die Feldarbeit unbequeme lange Röcke statt Hosen anziehen mussten, hat ihnen das jeden Tag bewusst gemacht, dass sie „nur“ Frauen einer unteren Klasse waren, die in einem Patriarchat lebten, wo andere die Hosen und die Macht hatten. In dem sie nicht rebellierten, sondern jeden Tag aufs Neue brav den Rock als Symbol der Unterordnung anzogen, zeigten sie die Zustimmung zu ihrem Rang in der Gesellschaft. Der Rock war ein Symbol. Ihn anzuziehen war eine Geste der Unterwerfung.
Kleidungsstücke fungieren als Symbole, die für unsere Einstellungen sprechen. Kleidung ist nonverbale Kommunikation. What you see is what you get. So zeigt ein schwarzer Anzug als Uniform der Angestellten in einem Bewerbungsgespräch, dass der Bewerber bereit ist, sich in einem Unternehmen in das Kollektiv der Mitarbeiter ein- und unterzuordnen. Wir leben die Kultur, in der wir leben, indem wir ihre Symbole wahrnehmen und durch Kleidung und Verhalten kopieren bzw. interpretieren (5/6).
Kleidung ist Kommunikation. Wer die Bekleidungsregeln verletzt, kann bestraft werden. Es gibt Fälle, wo die falsche Kleidung bei einem Gerichtstermin vom Richter als Missachtung des Gerichts geahndet wurde. Die Betroffenen mögen widersprochen haben, weil sie doch gar nichts Abfälliges gesagt hätten. „Richtig“, mag darauf der Richter erwidert haben: „Mit Worten haben sie nichts Abfälliges gesagt, aber durch die Symbole ihres Auftretens. Die sprechen für sich (7).“
Menschen fühlen sich durchaus genötigt, Normen zu befolgen. Die optische Zustimmung durch Kleidung ist dann nur vorgeschoben. Manche äußere Erscheinung ist eine Mogelpackung. Auch Trickbetrüger und Bauernfänger nutzen gerne die Symbolik eines formalen und seriös wirkenden Outfits für unseriöse Absichten. Diese Diskrepanz zwischen innerem Sein und äußerem Schein bringt die Hauptrolle des Transvestiten Frank-N-Furter in der Travestie-Komödie „The Rocky Horror Picture Show“ wunderbar auf den Punkt, wenn er über sich sagt: „Don’t judge a book by its cover“.
Statistisch gesehen stimmt aber das innere Bild mit dem äußeren Bild häufig überein. In diesen Fällen ist die Symbolsprache der korrekten Kleidung so wichtig, weil sie den ersten Eindruck bei einer Begegnung bestimmt. Das heißt, unser Gegenüber hat bereits einen Eindruck von uns, noch bevor er uns näher kennenlernt. Dieser Macht der Kleider sollten wir uns immer bewusst sein. Wir wirken immer, ob wir es wollen oder nicht, durch unsere Kleidung auf andere (8). Kleider machen Leute. Bei einem Urteil über andere werden unsere Überlegungen immer beeinflusst durch eine automatische Bewertung unseres Unterbewusstseins. Je flüchtiger ein Kontakt ist, desto höher ist der Anteil unseres Unterbewusstseins an einer Bewertung.
Das automatische Taxieren nach optischen Eindrücken ist uns angeboren. Es konnte in der Frühzeit der Menschheit gefährlich sein, mit einer Entscheidung, ob sich da Freund oder Feind näherte, zu warten, bis sich weitere Eindrücke ergaben. Also hat man sich, auch auf die Gefahr hin, unzureichend informiert zu sein, ganz präventiv vorzeitig festgelegt. In solchen Situationen war der Mensch mit einem Vorurteil statistisch auf der sicheren Seite.
Sozialisation prägt normatives Verhalten
Kinder lernen das Regelwerk, in dem sie Erwachsene imitieren. Sie spielen mit Autos oder Puppen. Sie kopieren Verhaltensweisen, wenn sie Vater-Mutter-Kind spielen. Die Erwachsenen dienen als Vorbilder. Beim Federballspiel stellten sich in meiner Jugend die Jungs vor, sie seien Boris Becker und die Mädchen taten, als seien sie Steffi Graf. Durch Imitation übten wir unsere zukünftige Rolle.
Mit begleitenden erzieherischen Maßnahmen lernen Heranwachsende, sich gruppenkonform zu verhalten. Richtiges Verhalten wird belohnt. Falsches Verhalten wird sanktioniert. Wenn ich als Kind auf dem Dachboden in die alten Kleider meiner Oma schlüpfte und dazu die Pumps meiner Mutter anzog, dann durfte ich so nicht auf die Straße gehen, denn ich verhielt mich für einen Jungen, auch wenn das Ganze nur ein Spaß war, nicht normgerecht. Die Mädchen hingegen durften sich dazu auch noch die Fingernägel lackieren. Als ich es einmal tat, setzte es Hiebe.
So wird normatives Verhalten antrainiert, um sich gemäß den gesellschaftlichen Normen zu sozialisieren. Wir lernen unsere Rollen, so wie ein Schauspieler eine Theater- oder Filmrolle lernt. Der große Unterschied liegt darin, dass wir unsere Rolle ein Leben lang spielen sollen. Wir lernen unsere Rolle so gut, weil unser Gehirn im Gegensatz zu dem im ersten Kapitel beschriebenen Gazellenkitz noch weitgehend unbeschrieben ist. Wir können uns leicht an jede vorgegebene Kultur anpassen. Dass die Anpassungen sich neuronal manifestieren, macht die gelernte Rolle so prägend. Bei Kindern funktioniert das besonders gut. Sie wissen noch nichts und müssen sehr viel lernen. Sie nehmen alles unkritisch auf, was Erwachsene ihnen bei-bringen. Durch die permanente Wiederholung verbunden mit Lob und Tadel schleifen sich die gelernten Verhaltensmuster ein und bilden eine, der Kultur, in der sie leben, entsprechende Identität (9).
Die