Stefan Högn

NESTOR


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      IMPRESSUM

      Texte, Umschlaggestaltung, Illustration: © Copyright by Stefan Högn

      NN-Logo, Nunc-Dolce-Nunc-Logo: © Copyright by Stefan Högn

      Verlag:

      Stefan Högn

      Bocklsedde 19

      42283 Wuppertal

      [email protected]

      Mehr über Nestor:

      www.nigglepot.com

      www.facebook.com/SeldomHouse

      www.violet-reality.com

NUNC.tif

      I

      Fünf Minuten

      Die einzige Tür des Raums schlug donnernd zu. Straßengeräusche klangen dumpf durch das geschlossene Fenster und einer der beiden Männer hatte Angst.

      »Dieses Mal, mein lieber Nigglepot, wirst du mir nicht mehr entkommen!«

      Das bleiche Gesicht des Halbvampirs nahm beinahe einen Hauch rosiger Farbe an – vor Freude!

      »Da wäre ich mir nicht so sicher, Grafula!«

      Es fiel Nestor Nigglepot tatsächlich schwer, diesen Satz einigermaßen flüssig zu sprechen. Ihm blieb fast die Luft weg … und es war heiß. Seine sonst so leicht vorgetragene Überheblichkeit wirkte nicht so recht.

      »Du schwitzt! Ja … du schwitzt! Und ganz sicher nicht nur vor Erschöpfung. Nein, mein Freund, du hast Angst!«

      Wie viele Jahre hatte Grafula auf diesen Moment gewartet? Unzählige Male standen sich die beiden schon gegenüber – der eine unsterblich, der andere unausstehlich.

      »Angst? Im Leben nicht!« Nestor Nigglepot machte sich beinahe in die Hose und es handelte sich hierbei keineswegs um eine gewöhnliche Hose. Dieses Beinkleid bestand aus einem unglaublich widerstandsfähigen Mischgewebe aus Schurwolle und Wildseide, war wunderbar leicht zu tragen, im Winter warm, im Sommer luftig, sündhaft teuer und entstammte der aktuellen Kollektion des englischen Modestars Debile. In so eine Hose machte man nicht!

      »Reiß dich zusammen, Nestor!«, sagte Nestor.

      »Leise denken, war noch nie deine Stärke, Nigglepot!«, entgegnete Grafula. »Du hast Angst!«

      »Hab’ ich nicht!«

      »Hast du wohl!«

      »Nein!«

      »Doch!«

      »Im Leben nicht!«

      »Nigglepot! Hör auf!«, schrie der blasse Mann aus Transsylvanien. »Du machst dir doch bald in die Hose!«

      »Hallo? In diese Hose? Ich meine, guck mal bitte, weißt du überhaupt, was das hier für eine Hose ist?«, Nestor Nigglepot war völlig entsetzt. »Die ist so teuer, so etwas Wertvolles hast du in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«

      »Ich bin unsterblich …«, antwortete Grafula matt.

      »Gut … vielleicht hast du schon mal so etwas Teures gesehen, aber bestimmt nicht als Hose.«

      »Schluss, Nigglepot! Damit ist jetzt Schluss! Ich werde dich der örtlichen Polizei übergeben und dann habe ich endlich meine Ruhe!«

      Hätte Grafula einen funktionierenden Kreislauf gehabt, hätte ihm sein Blut jetzt vor Aufregung in den Schläfen gepocht.

      Bummbumm, bummbumm, klopfte Nestor Nigglepot unauffällig an die Wand hinter ihm.

      »Was war das?«, fragte Grafula und drehte den Kopf schlagartig zur Tür.

      Blitzartig fuchtelte Nestor an seinem linken Handgelenk herum und den Desorientator hervor, der aussah wie eine protzige Golduhr mit viel zu vielen Funktionen und Edelsteinen. Dieser geniale kleine Apparat machte alle Menschen im Umkreis von zehn Metern, die keinen solchen hatten, völlig orientierungslos. Er drückte den blauen Knopf. Fünf Minuten völlige Leere im Kopf von Grafula müssten reichen, um sich aus dem Staub zu machen.

      Pluff!

      4 Minuten, 59 Sekunden.

      »Wo bin ich?«, fragte der Untote.

      »Kann ich ihnen vielleicht irgendwie helfen?«, spielte Nestor Nigglepot sehr hilfsbereit.

      »Wem?«, erkundigte sich Grafula.

      »Na, ihnen.«

      »Mir? Warum?«

      »Nicht so wichtig. Aber sie lassen mich doch bestimmt mal eben zur Tür raus, oder?«, biederte sich Nestor an.

      »Sehr gerne!«, antwortete der blasse Mann vom Balkan, öffnete die Tür und wünschte: »Einen schönen Tag noch!«

      »Danke!«, hallte es im Laufschritt durch den langen düsteren Korridor.

      4 Minuten, 40 Sekunden.

      Als Nestor Nigglepot aus dem Bürogebäude der Hong Kong Tea Company trat, konnte er nicht mehr rennen, denn sonst wäre er mit seinen schicken Schuhen sofort ausgerutscht. Die Straßen waren schlammig und während der Regenzeit selbst für Automobile kaum passierbar. Sein Weg führte ihn nicht zu einem Hotel, sondern in ein ungenutztes Lagerhaus, das ein paar Straßen weiter weg lag. Nur dort gab es eine frei zugängliche Stromleitung, die genug Energie für die notwendige Ausrüstung bot.

      Hätte er seine Ausrüstung in einem Hotel unterbringen wollen, hätte er auch gleich zu Hause bleiben können. Aber ihm war der Tee ausgegangen, also wollte er neuen besorgen. Natürlich hätte er auch Rául, seinen Butler, schicken können, aber der hätte ja doch nur wieder irgendeinen First Flush Darjeeling- Tee gekauft. Allerdings wusste jeder Mensch mit einem kleinen bisschen Stil genau: Der beste Tee aller Zeiten war chinesischer gelber Tee der Marke Yin Zhen, Jahrgang 1921, den die Hong Kong Tea Company vertrieben hatte. Und Nestor Nigglepot hatte jede Menge Stil, aber keinen Tee mehr.

      Er schaute auf den Desorientator. In weniger als drei Minuten würde sich Grafula wieder an alles erinnern. »Was für ein feines Stückchen Hochtechnologie!«, dachte er bei sich und musste lachen, weil er sich erinnerte, dass ihm das Ding einmal – ganz aus Versehen – mitten in London auf der Oxford-Street, losging und es nicht mal jemand gemerkt hatte, weil dort alle meist völlig orientierungslos durch die Gegend irrten. Nestor beeilte sich jetzt wieder.

      Es war dem Halbvampir gelungen, ihn hier unter 625.166 Chinesen und Briten, bei diesem Wetter, in dieser Stadt und in dieser Zeit zu finden.

      »Grafula ist besser geworden. Ich muss mich mehr in Acht nehmen«, dachte Nigglepot.

      Kurz darauf erreichte er das Lagerhaus, schaute sich kurz um, und öffnete vorsichtig die Tür. Noch knapp eine Minute.

      »Was ist denn das hier für eine komische Maschine?«, fragte ein etwa neun Jahre altes chinesisches Mädchen in einem billigen Kung-Fu-Anzug, der ein bisschen zu groß war.

      Nestor Nigglepot zuckte kurz, fasste sich aber schnell.

      »Wie kommst du denn hier rein?«

      »Durch die Türe vielleicht?«, sagte das Mädchen frech.

      »Ja, aber warum denn?«, fragte Nestor erstaunt zurück.

      »Vielleicht, weil es draußen regnet wie aus Kübeln!«

      Das Mädchen war ihm erheblich zu kess, soviel stand fest.

      »Und was ist das jetzt nun für eine Maschine? Kann man damit etwa durch die Zeit reisen?«

      »Ach, du meine Güte!«, sagte Nestor.

      »Wie, bitte?«, fragte das Mädchen verblüfft.

      »Herrje! Ich hab' schon wieder laut gedacht.«

      »Ja. Und jetzt schon wieder«, sagte die Chinesin.

      »Ähm, ja, äh ja … aber, schau doch mal was ich hier Tolles habe …«, Nestor Nigglepot zeigte dem Mädchen den Desorientator,