Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig


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an. Jemand bellte: »Feuer!«, und sie drückten den Abzug durch. Paff, paff, paff! Pulverwolken stoben auf. Die Hornisse raste über ihre Köpfe hinweg.

      »He! Die schießen ja auf uns«, drang König Floyds Stimme aus dem tragbaren Funkgerät des Matrosen, der soeben schnaufend herbeigeeilt kam.

      »Sir, der König … konnte nicht eher … Bitte um Verzeihung, Sir!«

      Haddock riss ihm das Gerät aus den Händen und brüllte: »Majestät, hier spricht Captain Haddock. Können Sie mich hören?«

      »Warum schießen die auf mich? Sehe ich etwa aus wie ein Schrat? Ich bin’s doch nur, euer König!«, erklang Floyds Stimme.

      Das Pfeifen von Querschlägern übersteuerte für einen Moment die Lautsprecher des Funkgeräts. McMaster und Farin waren aus Sorge um ihren Souverän leichenblass, Haddock schüttelte dagegen nur den Kopf.

      Eine andere Stimme drang aus dem Funkgerät. »Bringt unsere Hintern endlich raus aufs Meer, verdammt!« Es war die brummige Stimme von Zwerg Toink, Chefmechaniker des Flugschiffs Silberschwan.

      »Wie redest du denn mit deinem König?«, beschwerte sich Floyd.

      »Ich schmeiß meinen König gleich nach unten, wenn er uns nicht endlich aus der Schusslinie bringt! Lasst mich ans Steuer, sofort!«, antwortete Toink aufgebracht.

      Die Hornisse sauste jetzt im Tiefflug über die Docks und Lagerhallen. Das Tier bockte, warf sich unkontrolliert hin und her. Noch immer feuerten die Zwergenwachen auf das Monster, doch ihre altertümlichen Musketenkugeln konnten den Panzer des Gigantinsekts nicht durchschlagen. Dafür versetzten sie Floyd in helle Panik. »Ein Staatsstreich! Hilfe, Farin! Hilfe, man will mich ermorden!«

      Haddock rief ins Funkgerät, dass Floyd sich beruhigen solle, doch der König wollte – oder konnte – nicht hören. Die Giganthornisse war vollkommen außer Kontrolle.

      Es war wie immer Veyron, der den Grund dafür erkannte. Ohne ein Wort entwand er Haddock das Funkgerät. »Floyd, hier spricht Veyron Swift, bitte antworten Sie.«

      »Veyron! Dich schickt der Himmel! Man will mich …«

      »Nehmen Sie die Hände vom Kopf und greifen Sie der Hornisse in den Nackenpelz, so wie man es Ihnen bei den Simanui gezeigt hat«, befahl Veyron.

      Tom sah, dass der Lenker der Hornisse dem Befehl nachkam. Augenblicklich beruhigte sich das riesige Tier und flog in gerader Linie weiter.

      »Nun drehen Sie vorsichtig nach rechts und befehlen der Hornisse, langsamer zu fliegen. Nähern Sie sich Palast Nr. 4 von achtern. Das ist hinten am Schiff, falls Ihnen das mehr sagt als der Seemannsausdruck.«

      In weitem Bogen drehte die Giganthornisse auf die Olympic zu und näherte sich. Ihre riesigen Flügel verursachten einen Wind, der Tom fast von den Beinen riss und den Offizieren die Schirmmützen vom Kopf blies. An Deck schrien nun die Matrosen auf und flohen in alle Richtungen.

      Haddock wandte sich an McMaster. »Veranlassen Sie die Maßregelung dieser Männer. Feiglinge werden an Bord nicht toleriert«, befahl er grimmig.

      Tom biss sich auf die Lippe. Eine solche Strenge hatte er Haddock zwar zugetraut, doch kam sie angesichts der Umstände ein wenig unerwartet. Dieser Mann war die Disziplin in Person.

      Die Giganthornisse setzte zur Landung an; geschickt navigierte sie zwischen den Tauen des Hauptmasts hindurch und landete auf dem Achterdeck. Die Flügel kamen zum Stillstand und legten sich an den Körper. Gehorsam senkte das gigantische Insekt seinen Leib, und Floyd und Toink schnallten sich los. Der König im kostbar aussehenden perlmuttfarbenen Anzug rutschte vom Sattel und sprang auf das Deck. Er zog Fliegerhaube samt Schutzbrille vom Kopf und warf sie von sich. Dann breitete er feierlich die Arme aus. »He! Euer König ist an Deck!«, rief er den herbeieilenden Mannschaftsmitgliedern zu, unter denen sich auch Tom und die anderen Fernweltler befanden.

      Nun fiel auch Toink stöhnend aus dem Sattel, schlug auf den Planken auf und würgte einige Male deutlich hörbar.

      Floyd warf seinem Chefmechaniker einen angewiderten Blick zu. »Also, das ist ziemlich widerlich! Toink, schäm dich was! Verhält sich so ein ausgewachsener Zwerg, der Gorgonen, Kobolden, Schraten und Monsterpanzern gegenüberstand?«

      »Wahnsinn, echter Wahnsinn«, rief Tom begeistert und umrundete die Giganthornisse einmal, ehe er vor Floyd stehen blieb und dem König Talassairs die Hand schüttelte. »Wo haben Sie denn eine Giganthornisse her?«

      Der König fuhr herum. »Tolle Sache, was? Eine Leihgabe der Simanui, von Großmeister Taracil persönlich. Als Dank für unser Engagement gegen das Piratenvolk. Außerdem habe ich um einen Flug mit diesem Tier gebeten. Ich war ja damals schon richtig neidisch auf dich und Veyron. Drum wollte ich die Gelegenheit beim Schopf packen. Taracil ist ein wirklich netter Mensch«, plapperte Floyd drauflos, noch immer sichtlich vom Adrenalin berauscht.

      »Dieser Großmeister hat wohl eher gehofft, dass wir uns dabei den Hals brechen!«, schimpfte Toink hinter dem König. Der rotbärtige Zwerg hatte sich wieder aufgerafft und strich sich über seinen Bart und den grauen Mechanikerkittel. Auf seinem Rücken trug er ein portables Funkgerät, von dem er sich jetzt ächzend befreite.

      »Nicht auszuschließen«, stimmte Veyron dem Zwerg zu.

      Tom erinnerte sich sofort wieder daran, wie merkwürdig sich der Großmeister der Simanui während ihres letzten Abenteuers in Elderwelt verhalten hatte. Taracil durfte man nicht einfach vertrauen.

      Floyd verdrehte die Augen und winkte ab. »Ach was! Ist doch gleichgültig. Was für ein rasanter Ritt! Das will ich unbedingt bald wieder machen. Außerdem konnte ich auf diese Weise schneller hierher zurückkehren. Captain, was machen die Vorbereitungen zum Auslaufen?«

      »Die Kessel sind heiß, der Druck stimmt. Wir warten auf Ihren Befehl, um die Leinen zu lösen«, antwortete Haddock.

      Floyd rieb sich zufrieden die Hände. »Feine Sache. Sind auch alle an Bord?«

      Farin drängt es sich an Haddock und den anderen vorbei, um seinem Herrn zu antworten. »Ja, Sire. Euer Hofstaat ebenso wie die Begleiter, Berater und Unterhändler der Regierung.«

      Floyd nickte und warf dann einen nachdenklichen Blick auf Veyron, Danny und Hunter. Erst jetzt schien ihm ihre Anwesenheit wirklich bewusst zu werden. »Moment mal! Veyron, ich hatte dich gar nicht eingeladen. Na so was! Was führt dich also hierher?«

      »Eine heikle Mission, mein guter Floyd. Wir sind dabei, das Horn des Triton aufzuspüren, und hoffen, es zu finden, bevor dies dem Schattenkönig gelingt. Farin war so frei, uns diese Reisemöglichkeit anzubieten«, erklärte Veyron.

      Floyd grinste breit. »Ein hervorragender Plan, und es klingt auch viel spannender als diese langweilige diplomatische Mission zu den Küstenländern des Binnenmeers. Farin, wir machen die Suche nach dem Horn des Triton sofort zu unserer obersten Priorität! Ach, und wer sind die beiden da?«

      »Danny Darrow. Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Ramer. Also, für einen Toten machen Sie einen ziemlich lebendigen Eindruck«, sagte Danny. Er spielte dabei auf den inszenierten Tod Floyds vor zehn Jahren an. Das musste Floyd tun, um hier in Elderwelt den Königsthron zu besteigen. Tom erinnerte sich an die Schlagzeilen von damals: Selbstmord des Ramer-Milliardenerben. Natürlich wusste er schon seit geraumer Zeit um die Wahrheit, aber für Danny und Hunter war das alles neu.

      Floyd blickte verunsichert zu Farin, dann brachte er ein leicht verlegenes Lächeln zustande. Er zuckte mit den Schultern. »Tja, so läuft das hier auf Talassair. Tod in Langweilwelt und in Elderwelt quicklebendig. Genau wie mein Palast hier. Und wer sind Sie, meine Dame?«

      »Gwen Hunter«, stellte sich die Agentin steif vor.

      Floyd nahm ihre Rechte und deutete einen Handkuss an. »Ich bin entzückt, Gwen. Willkommen auf Palast Nr. 4.«

      »Sie ist vom MI-6«, fügte Tom an. Das war vielleicht ein wenig gemein, aber er wollte, dass Floyd und die anderen Bescheid wussten, mit wem sie es hier zu tun hatten.

      Floyd zeigte jedoch