Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig


Скачать книгу

Kanzler verkündete: »Ich lasse sogleich einen Trupp nach Fernwelt reisen und nach Mr. Uxbridge sehen. Er ist einer unserer treuesten Mitarbeiter, und das soll belohnt werden – falls er den Angriff des Schattenkönigs überlebt hat.«

      Tom fragte sich, ob Farin seinen vorwurfsvollen Blick bemerkt hatte oder das auch so gesagt hätte. Jedenfalls war er etwas mit dem Zwerg versöhnt.

      Hunter rieb sich die Arme, als ließe allein der Gedanke an den Schattenkönig sie frösteln, und wandte sich an Farin. »Kann dieser Dämon denn nicht durch dasselbe Tor wie wir hierher gelangen? Ihre Männer sollten auf der Hut sein.«

      Der Kanzler bellte ein Lachen. »Junge Dame, ich versichere Euch, dass dies unmöglich ist. Durch die Tore der Illauri vermag nur derjenige zu reisen, der sich im Besitz eines Erlaubnissteins besitzt. Der Zauber, der auf diesen Durchgängen liegt, lässt sich weder täuschen noch umgehen. Ein Erlaubnisstein kann nur von der Person benutzt werden, der er anvertraut wurde. Es würde diesem Schurken also nicht einmal helfen, einen zu stehlen«, versicherte er ihr.

      »Und wie kamen wir dann hindurch? Mr. Uxbridge hat uns keinen Erlaubnisstein gegeben«, hielt sie dagegen.

      »Brauchte er auch nicht. Wir besitzen bereits einen. Tom hat ihn in seinem Geldbeutel«, mischte sich Veyron ein.

      Alle mit Ausnahme Veyrons warfen Tom einen überraschten Blick zu, den er nur ratlos erwidern konnte. Dann dämmerte es ihm, und er klatschte sich die Hand an die Stirn. »Oh Mann! Königin Girian hat ihn mir nach unserem ersten Abenteuer in Elderwelt geschenkt. Ich hab ihn ja immer bei mir. Wie konnte ich das nur vergessen? Na, angesichts dieses Schattenmonsters auch kein Wunder, oder?«, rief er aus und zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Er öffnete es und holte einen kleinen, blauen Kieselstein heraus.

      Farin trat näher und bat darum, sich den Stein genauer ansehen zu dürfen. Tom hatte nichts dagegen.

      Der Zwerg hielt ihn gegen das Licht und rief aus: »Tatsächlich, ein Fluss-Beryll Fabrillians. Eine wahre Kostbarkeit, die Ihr da in Eurer Hosentasche herumtragt, Meister Packard. Ihr müsst bei der Elbenkönigin in hoher Gunst stehen, wenn sie solche Geschenke macht. Hier, da habt Ihr ihn wieder. Verwahrt ihn gut! Er ist mehr wert als halb London, das versichere ich Euch«, sagte Farin und gab ihm den Kiesel zurück.

      Mit ganz neuer Ehrfurcht steckte Tom ihn zurück in seinen Geldbeutel. Die Vorstellung vom Wert dieses winzigen Stücks Steins sprengte den Rahmen seiner Fantasie. Auf einmal wurde ihm heiß und kalt zur gleichen Zeit.

      Farin lachte, als er seine Reaktion bemerkte, sowie die großen Augen, die Danny und Hunter machten.

      Einzig Veyron schien diese Enthüllung vollkommen kalt zu lassen. »Schatzkanzler, wir sind hier, um das Horn des Triton aufzuspüren, und zwar, bevor das dem Schattenkönig gelingt. Ich bin sicher, dass dieser Schurke auf der richtigen Spur ist und uns allein deshalb so hart attackiert hat. Er will um jeden Preis verhindern, dass wir seine Absichten durchkreuzen. Das Horn könnte, wenn es in die falschen Hände gelangte, unermesslichen Schaden anrichten. Aus diesem Grund müssen wir es vor dem Schattenkönig und seinen Handlangern finden. Ich wäre Euch also sehr verbunden, wenn Ihr uns ein weiteres Mal die Silberschwan zur Verfügung stellen würdet. Dieses Flugschiff hat sich bei unseren letzten Abenteuern als ungemein nützlich erwiesen«, bat er den Zwerg.

      Doch Farin schüttelte sofort den Kopf. »Das ist unmöglich. Der König ist mit der Silberschwan zu einem Treffen der Simanui geflogen. Wir erwarten ihn zwar heute Nachmittag zurück, doch danach braucht das Flugschiff erst einmal eine Wartung und muss aufgetankt werden«, lehnte er Veyrons Ersuchen ab.

      In Tom regte sich Protest. Nach allem, was sie inzwischen für das Wohl Elderwelts getan hatten, durfte sie Farin nicht einfach so abkanzeln.

      Doch bevor er seinem Unmut Luft machen konnte, fuhr Farin fort: »Aber ich kann Euch etwas anderes anbieten, und vielleicht können wir uns auf diese Weise gegenseitig helfen. Eine andere Mitfahrgelegenheit nämlich. Wir haben uns dazu entschlossen, das alte Projekt der Binnenmeer-Allianz wiederzubeleben. Palast Nr. 4 wurde speziell zu diesem Zweck in der Werft wieder seetüchtig gemacht. Ein ganzes Jahr haben die Vorbereitungsarbeiten gedauert, jetzt können wir endlich loslegen.«

      Veyron hob interessiert die Augenbrauen, und auch Toms Neugierde war geweckt.

      »Bitte erklärt das etwas näher, Schatzkanzler«, sagte Veyron.

      Farin nickte und deutete auf die freien Stühle im Balkonzimmer. Er wartete, bis alle Platz genommen hatten, dann schloss er noch schnell die Balkontüren. Offenbar fürchtete er unerwünschte Lauscher. Tom fiel ein, dass Veyron unter Vögeln und Ratten Spione des Schattenkönigs vermutete, und so war das vielleicht gar keine so dumme Maßnahme.

      »Im Jahr 1931 hatte die Piratenaktivität auf dem Binnenmeer Elderwelts zugenommen. Das Piratenvolk, müsst Ihr wissen, neigt zu tollkühnen Unternehmungen, und diese Halunken zögern nicht, mit ihren Booten selbst die größeren und schwerer bewaffneten Schiffe Talassairs anzugreifen. Sie störten nicht nur den Handel, sondern plünderten und brandschatzten zudem Hafenstädte an allen Küsten, wenn auch nicht unseren. Auch wenn Talassair noch nicht die Stärke von heute besaß, wäre es dem Gesindel doch technisch überlegen gewesen. Aber sie wussten, dass es Talassair aufgrund des Vertrages mit den Simanui verboten ist, seine überlegene Technologie im Krieg einzusetzen – außer im Verteidigungsfall, und den provozierten sie nie. Daher brauchten wir eine andere Strategie.

      Unser König Julian kam auf die Idee der Binnenmeer-Allianz, in der sich die Küstenländer zu einem Verteidigungsbund zusammenschließen und gemeinsam gegen das Piratenvolk vorgehen sollten. Julian schickte seinen jüngsten Sohn, Prinz Francis, mit einem schnellen Dampfer aus, um bei den Küstenstaaten für die Allianz zu werben. Doch dann kam es zu einer Katastrophe. Das Schiff sank mit Mann und Maus. Niemand überlebte. Zusammen mit Prinz Francis starb auch die Idee der Binnenmeer-Allianz.

      Durch das Eingreifen Maresias flaute das Piratenproblem ab – bis vor etwa drei Jahren. Seither ist kaum eine Schifffahrtsroute vor Überfällen sicher. Das Imperium Maresium, lange Zeit ein Garant für Frieden auf dem Meer, hat in jüngster Zeit mehr mit sich selbst zu tun. In den Ländern südlich der Piratenküste sind Rebellionen ausgebrochen. Dem Imperium Maresium gegenüber treue Fürsten wurden gestürzt, Bürgerkriege legten die Zentralgewalt dieser Länder in Schutt und Asche. Es gibt also niemanden mehr, der die Piraten vom Hinterland aus in Schach halten kann. Erneut hat sich Gesindel in Scharen an der Piratenküste angesiedelt und die alten Verstecke wieder aufgebaut. Der Abschaum Elderwelts nistet sich erneut an den unzähligen Fjorden der zerklüfteten Küste ein. Es ist schier unmöglich, sie dort zu belagern oder ihnen die Zufahrt zum Meer zu versperren, nicht einmal mit tausend Schiffen wäre das zu schaffen. Es gibt ungezählte Fluchtwege und geheime Kanäle, die hinein- und hinausführen. Das Imperium ist machtlos, und die Piraten werden immer frecher. Inzwischen haben sie sogar wahrhaftige Flotten aufgestellt, gegen die einzelne Patrouillenschiffe Maresias nichts mehr ausrichten können. Nicht wenige ihrer Besatzungen schlossen sich deshalb lieber den Piraten an, als auf verlorenem Posten zu kämpfen. Wir hören auch von Meutereien, in denen sich Mannschaft und Sklaven gegen ihre Kommandanten erheben. Geenterte Schiffe werden in die Piratenflotte integriert und die gefangenen Besatzungen entweder versklavt oder selbst zum Piratentum gezwungen. Es winkt reiche Beute. Viele der neuen Piratenfürsten schwimmen in Gold und Edelsteinen und können immer mehr Söldner und Abenteurer anheuern. Die Piraten sind dabei, eine neue Macht zu werden. Sie plündern, brandschatzen und erpressen, wo sie nur können; Lösegelder fließen in unvorstellbaren Summen. Inzwischen ist der ganze Seehandel auf dem Binnenmeer in Gefahr. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, sind es künftig die Piraten, welche die Handelsrouten auf dem Binnenmeer kontrollieren, nicht mehr das Imperium oder wir.

      Leider sind diese Banditen schlau genug, sich nicht zu nahe an unsere Küsten heranzuwagen, sodass wir unsere Flotte nicht einsetzen dürfen. Seit Taracil Großmeister der Simanui ist, werden die alten Verträge besonders streng ausgelegt. Aus dem Grund habe ich den König überredet, persönlich bei dem Zaubererorden vorstellig zu werden. Er soll für unser Vorhaben werben und zugleich ein paar Lockerungen des Vertrags erreichen. Wir müssen jetzt aktiv werden. Es steht fünf vor zwölf, was die Piratengefahr betrifft«,