Christian Jesch

Renaissance 2.0


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werden als Verrat erachtet und entsprechend geahndet. Wir, das Militär, wollen nur das Beste für das Volk. Unser Ziel ist es die Mittel- und Unterschicht zugunsten eines besseren Lebens abzuschaffen. Alles, was für das Leben wichtig ist, wird ab heute vom Staat geregelt. Das bedeutet Einkommen und Lebensmittelpreise, damit ein jeder sich alles leisten kann, was er benötigt. Gleiches gilt für Kredit- und Anlagezinsen.

      Was jedoch zurzeit unsere größte Sorge sein wird, ist die entstandene Pandemie. Wir werden alles erdenklich in die Wege leiten, um die Menschen zu schützen ohne dabei die Wirtschaft oder die Sozialstrukturen zu gefährden. Vorerst bleibt es dabei, dass ein jeder umgehend nach Verlassen seines Haushaltes eine Mund-Nasen-Schutz tragen wird. Außerdem gilt weiterhin der Mindestabstand. Hinzu kommt die maximale Anzahl von Kunden in den Geschäften, der Gastronomie und des Kulturbereichs. Hier werden noch detailliertere Maßnahmen folgen, die wir in den nächsten Tagen und Wochen festlegen werden. Zudem werden wir die Erforschung des Virus vorantreiben und so schnell wie möglich eine Impfung ermöglichen. Die Grenzen werden bis auf weiteres für Ausländer geschlossen. Das bedeutet, Ausländer dürfen aus-, aber nicht einreisen. Einreisen dürfen nur Personen, die hier geboren wurden und auch hier leben. Dadurch wird die Verbreitung des Virus aus dem Ausland eingeschränkt." Die Ansprache ging noch eine gute halbe Stunde weiter, bis sich dann der neue Regierungschef von der Presse verabschiedete, bevor diese Fragen stellen konnte. Die Kommandantin schaltete den Monitor wieder ab und ein langes Schweigen breitete sich im Raum aus. Jeder der Anwesenden blickte auf die schwarze Fläche an der Wand. Ungläubig versuchten sie das eben Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Militär so offen die Macht an sich reißen würde. Alle waren sie davon ausgegangen, dass sie schon längst hinter den Kulissen die Geschicke des Landes kontrollierten und die Politiker nur ihre Marionetten waren. Doch scheinbar brachte diese Taktik nicht den von ihnen gewünschten Erfolg, weswegen sie die Strohfiguren einfach beseitigten.

      "Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch erleben würde", sprach die Kommandantin als Erste.

      "Das erschwert unsere Arbeit um einiges", kommentierte Tandra. "Gegen Mår-quell vorzugehen war einfach, gegen das Militär hingegen, unmöglich."

      "Es ist nicht das Militär, das hier an der Macht ist", überraschte Kaziir. "Es ist die oberste Geschäftsetage der ProTeq, die das Sagen hat. Sie müssen wir bekämpfen. Das sind zwar weitaus weniger Leute, dafür ist es um so schwieriger, an sie heranzukommen. Im Vergleich zu den Sicherheitsvorkehrungen bei der ProTeq sind die der Regierung und des Senates Kinderkram. Und selbst wenn wir die Führung des Unternehmens in unsere Gewalt bekommen oder wie auch immer aus dem Spiel nehmen, heißt das noch lange nicht, dass wir die Militärregierung damit stürzen. Ich befürchte fast, sollten wir die ProTeq stürzen, wird sich das Militär alle Freiheiten nehmen und das Land nach seinen eigenen Vorstellungen regieren. Und was das bedeutet, kann sich wohl jeder von uns hier ausrechnen. Wir sind in einer unglaublichen Zwangslage, bei der jede Entscheidung nur die falsche sein kann." Erneut trat schweigen ein. Die Anwesenden dachten intensiv über die Worte der neuen Suprimegeneralin nach, nur um ihr schlussendlich zuzustimmen. Das Land war jetzt in einer Situation, die alles für das Volk nur noch schlimmer und schwieriger machte.

      Kapitel 7

      "Sind die Navigatoren gut untergebracht und versorgt?", erkundigte sich Tebeel bei der Hüterin des Antiquar.

      "Ja, sie sind alle in ihrer Räumlichkeiten eingezogen und vom medizinischen Personal untersucht worden. Es geht ihnen gut. Mittlerweile sollten sie ihre Tätigkeiten bereits wieder aufgenommen haben."

      "Haben die Navigatoren auch schon Zugang zu den Nahrungsmitteln und der Muskelstimulation erhalten?"

      "Seien Sie unbesorgt, Tebeel. Wir haben bestens vorgesorgt. Es wird ihnen an nichts fehlen. Die Männer und Frauen sind bereits damit beschäftigt, die fehlenden Informationen der letzten dreiundfünfzig Stunden nachzuholen. Zum Glück ist nicht so viel passiert, dass die Navigatoren schon bald wieder auf dem Stand der Dinge sind. Jetzt berichte Sie mir aber bitte erst einmal über die Zerstörung der Ordensburg. Wie konnte das geschehen?"

      "Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich noch keine wirkliche Antwort habe. Die Lage der Ordensburg kann eigentlich nur von jemandem verraten worden sein, der für uns arbeitet. Die ProTeq kann den Ort unmöglich durch einen ihrer Patrouillenflüge ausfindig gemacht haben. Dafür war er zu weit entfernt von ihren Routen. Kaziir meinte auch, dass es sich nur um einen Verrat innerhalb des Ordens handeln kann. Und da gibt es so einige Stellen, an denen wir ansetzen müssen. Die Produktionsfarm und Lieferanten des Rempa Luak, unsere Agenten…"

      "Unsere Agenten", unterbrach die Hüterin entsetzt. "Das kann ich mir nicht vorstellen."

      "Ich auch nicht, aber wir müssen es in Betracht ziehen. Ebenso gut kann es auch jemand aus der Ordensburg selbst gewesen sein. Möglicherweise sogar von hier."

      "Von hier mit Sicherheit nicht. Schließlich wusste außer mir niemand, wo sich die Ordensburg befindet. Und selbst ich hatte nur eine ungefähre Ahnung. Aber sie erwähnten eben die ProTeq. Wie kommen Sie auf die?"

      "Kaziir sagte, dass die Rakete, welche die Ordensburg zerstört hat, eine sogenannte Plasmarakete war, die nur von einer bestimmten Militäreinheit verwendet wird. Und das auch nur auf Anordnung der ProTeq, nicht auf Anordnung der Regierung."

      "Wer ist diese Kaziir, dass sie über solche Dinge Bescheid weiß?", fragte die Hüterin kritisch nach.

      "Kaziir ist die Suprimekommandantin der Renegaten von Nuhåven. Deswegen kennt sie sich mit solchen Dingen aus."

      "Und sie vertrauen ihr?"

      "Und ob ich das tue. Sonst hätte ich sie nicht mit hierher gebracht, damit sie eines unser Fahrzeuge leihen kann, um damit nach Çapitis zu gelangen."

      "Diese Frau war hier, Tebeel?" Die Hüterin schien entsetzt. "Das ist ein enormes Sicherheitsrisiko. Ich hoffe, das ist Ihnen bewusst."

      "Nein. Diese Frau ist alles andere als ein Sicherheitsrisiko. Haben Sie denn noch nie von Kaziir gehört?"

      "Nein, tut mir leid."

      "Ich gehe fest davon aus, dass sie in den Informationen unserer Agenten an die Navigatoren mehrmals erwähnt wurde. Sie können sich ja mal schlaumachen und die alten Datensätze durchforsten."

      "Das werde ich vielleicht sogar, wenn ich die Zeit dazu finde. Jetzt habe ich aber noch eine andere dringliche Frage. Was ist mit den beiden Kindern?"

      "Sie meinen Misuk und Thevog. Was ist mit ihnen?"

      "Sollen sie hier bleiben und wenn ja, wo dürfen sie sich aufhalten?"

      "Misuk ist meine Tochter und einer unserer außergewöhnlichsten Agenten. Sie ist eine Teletempoarierin. Sie kann sowohl im Geist wie auch körperlich durch die Zeit reisen. Thevog ist ein Junge, den sie in Nuhåven kennengelernt hat und der überaus intelligent und belesen ist. Sie vertraut ihm und ich vertraue meiner Tochter. Das heißt, ja, sie bleiben beide hier, wenn sie das wollen und können sich überall frei bewegen."

      "Überall?", hakte die Hüterin ungläubig nach. "Auch im oberen Kreis?"

      "Ich bin der obere Kreis", betonte Tebeel ausdrücklich. "Und somit können sie sich auch dort bewegen. Allerdings nur unter Aufsicht der Wächter." Die Frau nickte verstehend und war erleichtert, dass die Kinder sich nicht ohne Überwachung in ihrem Heiligtum herumtreiben durften. Auch, wenn Tebeel der Oberste des Ordens war und den beiden traute, war immer noch sie, Aroquel, die Hüterin über das Antiquar und somit für alles verantwortlich.

      "Gut", sagte die Frau nach einer kurzen Pause. "Ich werde alle Mitglieder entsprechend instruieren, dass sie ein Auge auf die Kinder haben, diese sich jedoch überall frei bewegen dürfen."

      "Machen Sie das", ermutigte Tebeel die Frau.

      Er wendete sich zum Gehen und verließ den Raum, um sich von der ordentlichen Unterbringung seiner Navigatoren zu überzeugen. Zum ersten Mal nahm er sich etwas Zeit, das Antiquar genauer unter Augenschein zu nehmen. Es war eine Meisterleistung, wenn man es genau bedachte. Vor Jahrzehnten hatte man damit begonnen, in den Berg systematisch Gänge