Bernd Oei

Franz Kafka


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und sein Grauen vor ihm, seine heilig monogame Verehrung und Verklärung der Ehe und sein völliges Unvermögen, es darin auszuhalten.“13

      Entzweit einsam. Schon die Titel eine Verheißung nach Untergang, dem Inferno aller Geschichten des Ehestandes. „Im ersten Jahr wurden natürlich eine Menge von Illusionen über die Ehe als einen Zustand absoluter Seligkeit zu Grabe getragen; im nächsten Jahr kam das Kind, und nun lies ihnen die Mühsal des Lebens nicht mehr viel Zeit zu Grübeleien übrig.“

      Felicitas, mit herb männlichen Zügen und energischem Gesicht Dame passt nicht zum viel zu ernsten Kind, das Franz nun einmal ist. Die Vermittlungs- und Schlichtungsversuche der Freunde vermögen den gordischen Knoten nicht zu lösen. Wie gotische Kathedralen stehen sie sich gegenüber, schweigend, aber nicht schweigsam genug. Sieht sie nicht, dass alles, was er ihr zu sagen hat, in den Briefen bereits gesagt ist? Hier hat er die Zeit, exakt zu formulieren, bis das Gefühl sich entschwindelt hat. „Wir müssen neu anfangen“ lautet seine Botschaft, die er an

      Felice sendet. Seine Liebe gleicht dünn gestreichelten Umrissen, übervorsichtigem Annähern und leisem Verteidigen der jüngst eroberten Stelle. Sie nur in Briefen zu umarmen ist auf Dauer unmöglich, aber nichts kann schöner sein als das erste Verlangen. Durch das als Verhör empfundene Gespräch im Askanischen Hof ist der Unschuld letzter Zeuge bloß gestellt. Er wird es lebenslang seine Inquisition heißen und das Urteil seinem Prozess einverleiben. Er ist zu müde, um alles einzusehen.

      In jenem Berliner Hotel, am 12. Juli 1914, fügt sich seinen traumatisierten „Forschungen eines Hundes“14 ein weiteres Mosaik seines Zögerns hinzu. Kindlich böse Worte verlassen dort ihren zärtlich der Unschuld beraubten Mund. Vorwürfe, so lange versteckt und heimlich unter ihrem Herzen genährt, genug gewachsen, um ihn zu prügeln. Sie schien das Ver-trauen oder die Geduld in seine künstlerische Existenz verloren zu haben. Das feste Unverrückbare zwischen ihnen ward schwankend geworden. Eine Seite in seinem Tagebuch fehlt seither, da er es nicht erträgt, das Geschriebene bei sich zu er-halten. Erst nach mehrfachem Erbrechen sendet er ihr folgende Zeilen. „So wenig ich sein mag, niemand ist hier, der Verständnis für mich im Ganzen hat. Einen haben, der dieses Verständnis hat, etwa eine Frau, das hieße Halt und auf allen Seiten haben, Gott haben.“15

      Gott zu finden ist schwer, der Ausbruch des Krieges fällt da schon leichter. Er fühlt nur die Last in der Lust nach dem der flüchtig einander suchenden und fliehenden Geschlechter. Da er nicht eingezogen, sondern für untauglich befunden wird, fühlt sich Franz um das Recht der Selbstbehauptung betrogen. Er formuliert eine Petition an die Geschäftsleitung, doch er gilt als unverzichtbarer Bestandteil des Unternehmens, einer zu Fleisch gewordenen Akte. Sein Vater glaubt, vom Krieg profitieren zu können und erwirbt eine Fabrik. Für einen wie ihn erscheint das schlimmer als Krieg, denn dessen Logik ist klar und bedarf keiner Entscheidungen. Er fällt in Depression, will der Versicherungsanstalt kündigen, tagelang liegt er nur im Bett, eine Verwandlung greift in ihm ein und durch.

      Er will ausziehen, sich endlich von der Familie lösen, er hasst die ihn nährende und zugleich fesselnde Sicherheit. Die Versicherungsanstalt ködert ihren Angestellten mit Beförderung. Er fühlt sich schuldig, wagt nicht, seine Kündigung abzugeben. Der Krieg macht ohnehin all seine Pläne zunichte. In den Tod darf er nicht, er ist zum Leben verurteilt. Seiner Entlobung folgt der drohender Bankrott des Vaters, Eruption der blutigsten Schlachten, köstliche Katastrophen für den Liebhaber des Untergangs und Tragödiendichter. Verzweifeltes Verlangen nach intimen Momenten, Inseln des Glücks, Wonnen der Behaglichkeit staut sich, findet kein Echo, verliert sich im Raum.

      Gespenster regieren Prag, Gespenster und Beamte, die bleiben dürfen am behaglichen Herd. Er fühlt sich wie ein Käfer, zertreten und nutzlos, am Boden kriechend, zornig und doch noch immer um Vorsicht und Rücksichtnahme bemüht. Getrennt von der Gewöhnlichkeit und dem unentbehrlichen Ritual, mit Freunden im Kaffee die geheiligte Poesie zu besprechen. Sie alle dienen nun an der Front: Werfel und Weiß sogar mit ihn beängstigender Begeisterung. Alle sind weit weg entschwunden, räumlich und gedanklich.

      Die stille und treue Ottla, die geliebte Schwester, wandelt zum ersten Mal und unverhofft für den älteren Bruder auf Amors Wegen, zerreißt den heilige Bund zweier einsamer Seelen. Ein Fremder hat sich auf die Schwelle gestellt. Tscheche, Beamter, in Zahlen aufgehende Rechenmaschine und damit kein wirklicher Mensch, kein Nachbar, an dessen Tür er klopfen will. Er versteht es wohl, sie sucht einen mächtigeren Bündnispartner für ihre Rebellion, die er selbst oft versucht, aber nie erprobt hat. Der Bankbeamte flößt selbst dem autoritären Vater Respekt ein, jeder Zorn prallt an der Rechenmaschine ab, Ottla zieht aus. Widerspenstigkeit und bewusster Wille haben die entschlossene Tat gezeitigt, zu der er sich nie hat aufraffen können. Er bleibt zurück, allein und seiner mächtigsten Waffe beraubt, dem Entrinnen zu ihr, der zärtlich gehüteten Schwester. Sie ist dem „hei-matlichen Rudel“ entlaufen und auf das Land gezogen, von wo aus sie die Familie mit Milch, Obst und Gemüse versorgt. Was bleibt, ist das stumpf-sinnige Nebeneinander von stummen Schreien auf nächtlichem Flur. Franz vermisst Ottla, ihr wissendes Lächeln, ihre heimlichen Botschaften, das verständige Zuhören. Ein fremder Verführer hat das einst misstrauische Mädchen abgelenkt vom geschwisterlichen Weg.

      Sein Leiden wird fruchtbar für das Schreiben. August1914, wie die Massen hysterisch aufschreien, Blut mit Eisen und Dampf fordern und die heilig ernüchterte Schläfe unter blass-blauen Schatten der Lider zuckt. Wenig später sieht er sich Ott-la, seiner Auserwählten treuesten Zuhörerin, vielleicht der Ein-zigen, die zwischen den Zeilen zu lesen versteht, beraubt. Die Erzählung „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Land“ entsteht. Es hätte die seine werden sollen, doch die ihre ist es geworden. Der unentschlossene, weil unglückliche Bräutigam Raban flüchtet vor traurigem Regen in Tagträume und die tröstliche Vorstellung, die schwere Zeit im Winterschlaf als großes Insekt zu verbringen. Er schickt seinen abgelösten Körper auf die Reise zur Braut, aufs Land, auf dem Ottla nun wohnt. Geschichten des Verkriechens und Eingrabens gibt es viele bei Kafka. „Ich suche mir ein gutes Versteck und belauere den Eingang meines Hauses.“16 Neunmal wechselt er die Wohnung im selben Quartier.

      Täglich steigt in sein Haus hinab mit verwelkenden Gesten wie in ein Grab. Allnächtlich verliert sich in den Gassen Prags

      die dem anthroposophischen Labyrinth eines weit verzweigten Höhlenbaus gleichen. Der Mensch als zoologischer Garten. In-sekt, Hund, Schakal, Affe, Dachs. Wer ist er wirklich oder doch alles zugleich? Er will sein Haus nicht mehr verlassen, wie ein toter, wie Jäger Gracchus, der zur Unzeit heimgetragen wird und nicht begreifen mag, dass er schon lange an seiner Angst gestorben ist. Der Jäger hat sich auf das Lauern eingerichtet, das verendende Tier, seine Beute, seinen Tod. Er möchte sein „Leben in der Beobachtung des Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen zu halten und darin mein Glück zu finden, wie fest mich der Bau, wäre ich darin, zu sichern imstande wäre.“

      Er vergräbt sich, seine Wut und seine vertagte Lebenslust. Inzwischen hat er sich daran gewöhnt, sein Leben im Konjunktiv zu führen. Ist es überhaupt noch seine Existenz oder nicht schon längst die eines anderen, den er zu beobachten einfach nicht zu unterlassen vermag?

      1 I. 3. Fieberträume oder die Agonie des Verstummens

      Kierling, Klosterneuburg, Niederösterreich. Die andere Seite des Mondes. Zerstörtes Gewebe, wohin man auch blickt. Süßlicher Geruch des Todes beim Ausatmen. Fortwährender Durst, ins Unerträgliche gesteigert, wenn andere trinken. Ein Glas Wasser vor seinen Augen, unerreichbar von eigener Hand zu trinken und höllische Schmerzen, es Tropfen für Tropfen zu leeren. Es geht alles langsam, rückwärts, sprachlos. „Ich kämpfe, niemand weiß es …ich erfülle meine täglichen Pflichten. ... Natürlich kämpft jeder, aber ich kämpfe mehr als andere. Etwas ist allerdings anders…ich rede vom Freigelassen-sein, es ist nur ein Erklärungsversuch aus Not.“17

      Max sitzt an einem Ende des Bettes, Dora an dem anderen. Die letzten Zeugen eines unwürdigen Zuckens. Die Lungentuberkulose, der Kehlkopf geschwollen, zum hässlichen Pfeifen und Röcheln verdammt, ein lebendig Begrabener, ein spindeldürrer Verwesender. Max repräsentiert die dem Patienten verschlossene Welt des praktischen Tuns, des Erfolgs und des Glücks, das sich mit beiden Händen packen lässt. Er hat geschafft, wozu Franz nie in der Lage gewesen