der Kirche über die Ankunft der Ordensritter las und die Anordnung, "angemessene Versorgung der Truppen und Unterbringung der führenden Persönlichkeiten" sicherzustellen. Natürlich waren in diesem Schreiben keine exakten Zahlen genannt - wie so oft schienen diese unbedeutenden Kleinigkeiten dem Klerus zu entfallen. Dennoch musste er sich darum kümmern, alles vorzubereiten.
Seine Laufburschen waren schon unterwegs, um die vorhandenen Übernachtungsmöglichkeiten für die hochrangigen Mitglieder der Rächer in den Gasthäusern der Stadt zu prüfen, und zumindest in dieser Hinsicht erwartete der Richter keine Schwierigkeiten. Die Gasthäuser waren aufgrund der nicht aus dem Kloster zurückgekehrten Pilger und des unfreundlichen Wetters gähnend leer - und auch wenn die Kirche oft knauserig und vergesslich war, was das Entlohnen ihrer weltlichen Versorger anging, so war eine niedrige Entlohnung immerhin besser als der gänzliche Ausfall aller Einkünfte. Der Richter fragte sich immer wieder, welchen Scherz die Geschichte mit ihnen getrieben hatte, indem sie einem tüchtigen, auf Mehrung des Wohlstands und Handel ausgerichteten Volk einen Glauben vorsetzte, der alles Weltliche abwertete und nur die jenseitige Welt als wichtig betrachtete. Nun, so versuchte er sich selbst zu trösten, vermutlich mussten sie immer noch glücklich sein, dass ihre Kirche ihrem Lebenswandel gegenüber nicht so feindselig eingestellt war wie der Glaube des Einen in den südlichen Landen.
Die Versorgung der Truppen machte dem Richter allerdings noch große Sorgen. Die Stadt hatte zwar noch gut gefüllte Vorratslager, die dafür gedacht waren, die Versorgung der zurückkehrenden Pilger sicherzustellen sowie in Notfällen für die Bauern und Viehzüchter in der Stadt und den umliegenden Dörfern einzuspringen - aber eine stehende Mannschaft zu unterhalten, insbesondere über eine längere Zeit, könnte sich möglicherweise als sehr problematisch herausstellen. Wenn es dann auch noch mehrere Hundertschaften werden sollten, dann würden sie möglicherweise das Letzte aus den umliegenden Ortschaften und Höfen pressen müssen. Dieser Gedanke behagte dem Richter ganz und gar nicht. Die Bauern mussten schließlich auch von etwas leben und brauchten Zuchttiere und Saatgut, um die künftige Versorgung sicherzustellen. Zum Glück waren einige Getreidesorten und Gemüsepflanzen bereits in der Erde und fürs Erste dem Zugriff entzogen. Aber einige Sorten wurden erst im späteren Verlauf des Jahres gepflanzt, und diese Bestände sollten bewahrt werden. Um nichts dem Zufall zu überlassen, hatte er auch bereits veranlasst, die vorhandenen Mengen an Lebensmitteln in der Stadt und Umgebung genauestens zu erfassen. Die Stadtherren ließen ihm in dieser Angelegenheit zum Glück freie Hand, und er hatte nicht vor, das Vertrauten der Adligen und wohlhabenden Kaufleute zu enttäuschen. Schließlich war er ihnen Rechenschaft schuldig.
Er fragte sich, ob er ihnen gegenüber durchsickern lassen sollte, dass der Aufenthalt des Ordens des Heiligen Rächers möglicherweise nicht allzu reibungslos verlaufen würde. Er beschloss, sich erst noch mit der obersten Schwester zu dem Thema auszutauschen. Eine hoffentlich weit fortgeschrittene Genesung des dem Kloster entkommenen Verrückten würde ihnen sicherlich das Wohlwollen der Ermittler einbringen und für einen schnelleren Abzug der Ordensritter sorgen. Er sandte einen Boten zur Schwesternschaft aus mit der Anfrage, ob die Oberin möglicherweise Zeit hätte, an diesem oder zumindest am nächsten Tag zu Mittag mit ihm zu speisen und dabei ein paar Dinge zu besprechen. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen war sie schon seit Stunden wach und konnte ihm aber auch rechtzeitig eine Antwort zukommen lassen, selbst wenn sie den Boten erst einmal eine Weile warten lassen würde, wie das ihre Art war. Je nachdem, wie das Gespräch verlaufen würde, konnte er die Lage vielleicht besser einschätzen und den Stadtherren einen besseren Bericht und eine genauere Empfehlung liefern, wie man mit der Situation umgehen sollte.
Der Tag verging wie im Flug und zum Abend ließ der Regen tatsächlich nach. Als der Richter mit dem Einsetzen der Abenddämmerung seine Arbeitsstätte verließ, schwand das wohlige Gefühl eines produktiven Tages schnell und machte einem nagenden Zweifel in seinem Hinterkopf Platz. Es würde mindestens noch einen weiteren Tag dauern, bis er Nachricht von Feli erhalten würde. Er hoffte aber, dass die Ordensritter der Stadt noch nicht so nahe waren, und sie ihm erst in zwei oder drei Tagen berichten würde. Vielleicht würde er dann einen, zwei oder mit sehr viel Glück sogar drei Tage Vorsprung haben, um auf alles vorbereitet zu sein. Wenn die Götter ihnen gewogen waren, dann wäre bis dahin der Dämonenjäger mit einem Erfolgsbericht zurück, so dass die Ordensritter nicht allzu lange in der Stadt verweilen mussten. Er hoffte sehr, dass Nat erfolgreich zurückkehren würde. Dieser Dämonenjäger hatte sich bereits vor vielen Jahren einen Namen gemacht. Er galt als der Beste seiner Zunft, und er hatte in der kurzen Zeit ihrer ersten Begegnung einen bleibenden Eindruck beim Richter hinterlassen. Wenn dieser außergewöhnliche Mann jedoch scheitern würde, dann stand zu befürchten, dass die Geschichte eine noch dunklere und blutigere Wendung nehmen würde.
„Herr Richter!“, hörte er dann einen der Botenjungen, der atemlos auf ihn zugerannt kam. Es war der Bursche, den er zur Oberin der Schwesternschaft gesandt hatte.
Karl zog eine Augenbraue hoch und musste sich Mühe geben, nicht all zu ungehalten zu klingen: „Was hat so lange gedauert? Was sagt die Oberin?“
Der Junge war knallrot angelaufen und atmete schwer bei seiner Antwort: „Vergebt mir, doch ich habe Stunden ausharren müssen. Die Oberin wird Euch morgen zur Mittagszeit empfangen. Sie hatte heute dringende Geschäfte zu erledigen.“
Der Richter schüttelte den Kopf und drückte dem Boten ein paar Kupfermünzen in die Hand. Er merkte sich vor, nächstes Mal einen anderen mit einem Anliegen zur Oberin zu schicken. Wenn man nach Anzahl der erledigten Botengänge bezahlt wurde, dann war es nur gerecht, solch unnötig zeitfressenden Angelegenheiten nicht immer ein und demselben Boten aufzuhalsen. Der Bursche verbeugte sich knapp und entschwand nach Hause. Immerhin war das geklärt.
Wenige Augenblicke später kehrten Karls Gedanken erneut zum Störenfried seiner Ruhe zurück, zur Erinnerung an seinen schlechten Traum. Da kam ihm der Zweigesichtige in den Sinn, und das Vorhaben, in der Stadt nach ihm zu suchen – also beschloss er, tatsächlich einen ausgedehnten Spaziergang zu machen. Das Wetter spielte wenigstens mit, also ließ er sich durch die Straßen der Stadt treiben.
Der Himmel färbte sich dunkel und auf den Straßen herrschte ein reges Treiben. Offensichtlich waren auch viele andere froh, trockenen Kopfes unter dem freien Himmel herumlaufen zu können. Die Luft war noch vergleichsweise frisch, auch wenn die Gerüche der Stadt sie langsam wieder in Besitz nahmen. Die Menschen eilten durch die Straßen. Vielleicht vertrauten sie nicht auf die Beständigkeit des Wetters, vielleicht wollten Sie aber auch ihre Vorhaben erledigen, bevor die Dunkelheit über sie hereinbrach. Die Nacht war die Zeit der zwielichtigen Gestalten und die Patrouillen der Nachtwachen prüften alles und jeden gnadenlos, den sie auf den Straßen erwischten. Karl hatte zwar wenig zu befürchten, schließlich kannte ihn ausnahmslos jeder Mann der Stadtwache, doch er erinnerte sich noch sehr gut an die Zeit vor seiner Ernennung. Man musste jung oder ziemlich betrunken oder beides sein, um ohne ein kriminelles Vorhaben nachts rauszugehen. Damit war aber auch klar, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, um den Mann aus seinem Traum zu finden.
Doch ob es nun ein glücklicher Zufall oder eine Vorsehung war, genau das gelang ihm, als die Zahl der Menschen auf den Straßen bereits abzunehmen begann und die Zahl der erleuchteten Fenster und geschlossenen Fensterläden immer mehr wurde. Er sah den Mann auf der Straße stehen, verwickelt in ein Gespräch mit einem anderen. Beide trugen die Uniform der Stadtwache und machten sich nach einer Einkehr im „Lustigen Bären“ offensichtlich auf den Heimweg. Karl blieb wie angewurzelt stehen und traute seinen Augen nicht. Dass er den Mann vor einem Wirtshaus treffen würde, passte im Nachhinein hervorragend zum Auftritt des Zweigesichtigen. Aber er hätte einen Tunichtgut erwartet, nicht einen respektablen Mann mit Verantwortung für die Ruhe und Gesetzestreue in der Stadt, schon gar nicht den älteren der beiden Wachen. Verunsichert blieb er stehen und beobachtete, wie die beiden Männer sich an einer Straßenkreuzung verabschiedeten und getrennte Wege gingen. Er überlegte erst kurz, dem Mann zu folgen, entschied sich dann aber im letzten Augenblick dafür, lieber ins Gasthaus einzukehren und erst einmal den Namen des Wachmanns herauszufinden.
Noch hatte die einsetzende Dunkelheit nicht alle Gäste aus dem „Lustigen Bären“ vertrieben, und die dort anwesenden waren offensichtlich nicht betrunken genug, um ihn nicht zu erkennen, da sie dem Richter zumindest mit einer leichten Verbeugung ihren Respekt zollten. Dieser antwortete