Frank Pfeifer

Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten


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Mann konnte seinen Satz nicht beenden, denn der Schatten unterbrach ihn wütend.

      »Die Wachen werden ja wohl kaum gegen einen unschuldigen Menschen vorgehen. Es ist das gute Recht eines Menschen, dass er alles Notwendige tut.«

      »Äh, wie, das Notwendige…?«

      »Mann, die Menschen haben Durst. Soll da diese Torak-Kneipe leer stehen. Das wäre doch vollkommen idiotisch.«

      Der Schatten fing an, mit seinem Schoffkrug rhythmisch auf den Tisch zu hämmern, begleitet von Wir-haben-Durst-Rufen. Nach wenigen Augenblicken hatte die Welle die gesamte Kneipe erfasst.

      »Wir haben Durst. Wir haben Durst. Wir haben Durst.«

      Ein Chor durstiger Menschenmänner.

      Dermaßen geeint, brauchte es nur wenig, um die Menge zu weiteren Taten aufzuwiegeln. Der Schatten nahm sich einen Vorschlaghammer, der wie zufällig an der Wand lehnte, was Klaus verwunderte, denn er konnte sich gar nicht daran erinnern, überhaupt einen Vorschlaghammer zu besitzen, und drückte ihn Klaus in die Hand. Der Wirt des ›Rülpsenden Rolands‹ stellte sich auf den Tisch, wobei er sich den Kopf an der Decke stieß, denn hier war ja alles nach Menschenmaß gebaut. Ein weiterer Grund, die nachbarliche Torakkneipe zu übernehmen, die entsprechend den Erfordernissen ihrer Gäste wesentlich geräumiger war. So stand er nun gebückt über der Schar des ihn aufmunternden Chors, den er seinerseits anfeuerte. Ein sich gegenseitig steigernde Geräuschkulisse.

      Einen wilden Schrei ausstoßend stürmte Klaus dann noch vorne, sprang über die Köpfe seiner Trinkkumpanen hinweg und schwang den Hammer gegen die Wand. Dann war die Masse nicht mehr zu halten. Plötzlich hatten alle irgendwas in der Hand, sei es ein mitgebrachter Knüppel oder nur ein Schuh. Alle standen vor der Wand und prügelten wie wild darauf ein. Nach einer halben Stunde, die Ersten waren schon heiser, andere hatten erhebliche Handgelenkprobleme, löste sich der erste Stein.

      Während Klaus wild schreiend die Wand bearbeitet, fiel sein Blick durch ein Fenster und der Wirt hielt in seinem Tun inne. Zwei Wachen näherten sich der Kneipe. Der Lärm, den sie beim Bearbeiten der Wand verursachte, musste wie dumpfe Donnerschläge in der dunklen Gasse widerhallen. Klaus sah die Männer Makrals schon die Schwerter ziehen. Aber der Schatten hatte sie auch bemerkt und war vor die Tür getreten. Er begrüßte die Uniformierten wie alte Freunde, die darauf hin ihre Waffen wieder ins Futteral steckten. Immer gut, wenn man die richtigen Leute kennt, dachte Klaus und schwang erneut den Vorschlaghammer.

      Aufbruch

      »Ihr wollt wirklich mitkommen?«

      Benji schien mehr überrascht als erfreut zu sein.

      »Wir liefern die Ofengriffe aus…«

      Kard zögerte ein wenig, bevor er weitersprach.

      »…und ich würde gerne mal einen Blick in dieses Buch werfen, von dem du erzählt hast.«

      »Echt, wieso?«

      »Na ja, ich war da auch mal.«

      »Wo?«

      »Im Waisenhaus.«

      »Echt, du? Nein, bestimmt nicht, du verschaukelst mich?«

      »Wieso sollte ich dich verschaukeln?«

      »Yo, Mann, wieso sollte Kard kein Waise sein, so wie du?«

      »Die Govas sagen doch immer, dass wir froh sein können, wenn uns irgendein Bauer nimmt, damit wir die Tok-Rind-Ställe ausmisten können. Aber eine Schmied? Sogar eine Schmiedemeister. So was werden wir nicht.«

      »Sagen die Govas?«

      »Yo, Benji, du musst nicht alles glauben, was die alten Hexen sagen.«

      Bei den Worten Madads war Benji erstarrt. Erschrocken schaute er sich in der Schmiede um, als ob eine Gova sie hier belauschen und gleich mit einem Knüppel um die Ecke kommen würde. Aber weder kam eine der Priesterinnen der göttlichen Schwestern aus einem Schrank gesprungen noch tat sich der Himmel auf, um den Frevel zu sühnen, eine Gova als Hexe beschimpft zu haben. Kard kannte dieses Gefühl nur zu gut, er klopfte dem Jungen beruhigend auf die Schulter.

      »Wirst du schon noch lernen, Benji. Die Govas machen viel Geschrei, aber im Endeffekt ist nichts dahinter.«

      Benji schien sich langsam zu entspannen. Er nickte sprachlos.

      »Aber das Buch werden sie nicht herausrücken.«

      »Dann klauen wir es eben.« Madad grinste siegessicher.

      Benji schüttelte heftig mit dem Kopf.

      »Das geht nicht. Wenn sie das herausbekommen, dann…« Benji fehlten die Worte. Sich gegen die Govas aufzulehnen war für ihn offensichtlich ein neuer Gedanke.

      »Und wolltest du noch nie…?« Kard wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte.

      Jetzt war es Benji, der Kard etwas mitleidig ansah.

      »Ja glaubst du, wir anderen Waisen wollen nicht wissen, wer unsere Eltern sind? Natürlich habe ich schon daran gedacht.«

      Kard fühlte sich ertappt. Er hatte geglaubt, es würde ausreichen, Benji zu erzählen, dass er die Ofengriffe ausliefern wolle. Aber natürlich hatte der Waisenjungen gleich mitbekommen, um was es Kard eigentlich ging.

      »Na ja, ich weiß ja, wer meine Eltern waren. Aber gibt genug andere im Waisenhaus, die das nicht wissen. Als ich das mit dem Buch erzählt habe, war das natürlich die erste Idee. Aber die Priesterinnen haben das recht schnell mitbekommen. Es muss irgendwo im Trakt der Govas sein, dort, wo wir Kinder nie hinkommen.«

      »Super, ich liebe Geheimnisse. Und Suchen. Und Schnüffeln. Ganz mein Ding.«

      »Und wieso weißt du, wer deine Eltern waren?«

      »Ich war zwar noch ziemlich klein damals, als Mama gestorben ist, aber an ein paar Sachen kann ich mich noch gut erinnern. Ich weiß noch, dass viele Leute um Mama herumstanden und dann kam dieser reiche Herr. Der hatte tolle Kleider an, ganz anders als die anderen, ganz bunt und glitzernd. Und er roch gut. Nicht nach Schweiß. Oder Schwein. Oder Tok-Rind. Heute weiß ich, dass es so eine Art Duftwasser war, wie es die Govas manchmal benutzen. Und dann hat er etwas gesagt und alle anderen waren ganz still. Und dann hat mich jemand hier ins Waisenhaus gebracht.«

      Benji schwieg eine Weile und hing seinen Erinnerungen nach.

      »Ich glaube, es war ein Prinz. Vielleicht sogar der Drachenkönig.«

      »Der Drachenkönig?«

      »Ja, wer denn sonst?«

      »Aber ist der nicht schon ein Weile tot…«

      »Nein! Mama hat immer gesagt, der ist nur verschwunden und kommt eines Tages wieder. Mit den Drachen. Um uns alle zu retten.«

      »Mit den Drachen?«

      »Ja, Mama hat ziemlich oft davon gesprochen. Und immer, wenn wir mal nichts zu essen hatten, hat sie gesagt, dass er bald kommt.«

      Kard nickte. War es nicht genau das, was er auch wissen wollte? Ob er ein Sohn des Drachenkönigs war? Oder wenigstens, ob es da eine Verbindung gab. Zwischen seiner Freundschaft zum Feuer und diesem Drachenkrieger-Märchen? Vielleicht war er einfach nur so wie Benji? So ein Drachenkrieger-Vater war irgendwie ein tolle Sache. Aber im Endeffekt war das natürlich alles Unsinn. Wahrscheinlich hatte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun. Aber wenn er es schwarz auf weiß sehen würde, wenn er in dieses Buch hineinschauen könnte, und dort geschrieben steht, wer seine Eltern waren, dann war das schon einmal ein Anfang. Und diesen Anfang suchte er. Gleichgültig ob Drachenkrieger oder einfacher Bauer, aber diese Leere in ihm, dieses Nicht-Wissen, machte ihn ganz krank.

      »Yo, worauf warten wir noch?«

      Madad hatte recht. Kard nahm das Schwert, das er sich in den letzten Tagen geschmiedet hatte, und steckte es in sein Bündel. Natürlich war es kein Minas-Schwert, aber es hatte eine gute und scharfe Klinge.