Frank Pfeifer

Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten


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von einem Waisenhaus habe?«

      »Weil es dort ganz und gar nicht so funktioniert, wie du gesagt hast. Die Govas sind nämlich einmal viel netter und dann machen sie doch mit uns ein Geschäft.«

      »Ein Geschäft? Du meinst, die paar Argits, die die Bauern zahlen, wenn sie ein Kind auf ihren Hof holen?«

      »Nein, doch nicht das. Damit verdienen sie tatsächlich nicht viel. Aber natürlich ist ein Waisenhaus letztendlich ein Geschäftsmodell.«

      Verständnislos starrte Kard dieses dreckige, kleine Kind an, das ihn jetzt frech angrinste. Benji neigte sich vertrauensvoll zu Kard und flüsterte.

      »Die Govas bekommen von jemanden Geld dafür, dass sie uns durchfüttern.«

      »Du meinst die Opfergaben von den Gläubigen?«

      »Nein, das nicht.« Benji schwieg kurz, schien zu überlegen und schaute Kard dann ins Gesicht. »Ich habe es selbst gesehen.«

      »Was hast du gesehen?«

      »Es gibt ein Buch, in dem sie alles hineinschreiben.«

      »Was hineinschreiben?«

      »Also, ich erzähle es euch jetzt. Aber ihr dürft das niemandem weitersagen, einverstanden?«

      Kard und Madad nickten stumm.

      »Ich hatte einmal Putzdienst im Büro der Großgova, der Obersten Gova, der Chefin, ihr wisst schon. Und bin dabei eingeschlafen. Lag unter dem Schreibtisch und träumte davon, wie ich im Sommer im See schwamm. Das Wasser war warm, ich ließ mich treiben und draußen war es doch in Wirklichkeit Winter. Im Traum sprang gerade ein Monster in den See und es machte einen Riesenplatsch und ich wachte auf und dann merkte ich, dass das in Wahrheit das Geräusch der Tür war und die Oberste Gova mit so einer reichen Dame reingekommen war. Dass sie reich war, habe ich an den Schuhen gesehen. Feinstes Tok-Rind-Leder mit Glitzersteinen und innen mit Faols-Fell gefüttert. Vielleicht eine Amazone, dachte ich erst, wegen des Faols-Fells. Ihr wisst bestimmt, dass Amazonen Faols essen?«

      Kard und Madad nickten stumm, ohne zu widersprechen.

      »Aber es war keine Amazone. Die hatte nämlich ein Kind dabei. Ihr wisst ja bestimmt auch, dass Amazonen Kinder essen, oder?«

      Wiederum nickten Kard und Madad still.

      »Eine Amazone konnte es also nicht sein. Wahrscheinlich dann eine Reiche aus der Stadt? Oder eine reiche Bäuerin mit ihren Sonntagsschuhen? Wie auch immer, diese Frau war im Waisenhaus, um ein Kind abzugeben. Das war wie eine Verhandlung! Wie, wenn man bei so einem kreischenden Ichto einen schönen Fisch kaufen will. Erst verlangen die hundert Argits und erzählen dir, was das für ein seltener und leckerer und einmaliger Fisch ist und letztendlich kriegst du ihn für einen halben Argit und es ist nur ein falscher Burla. Genauso war es mit dieser reichen Frau und der Obersten Gova. Dann einigten sie sich auf einen Preis und ich weiß noch genau, wie die Oberste Gova mehrmals betonte, dass die Frau diese Summe jährlich zahlen muss. Immer zum Jahresdadeugende. Wisst ihr wieviel?«

      »100 Argits?«

      »200 Argits?«

      Benji ließ Kard und Madad ein Weile genüßlich zappeln.

      »Tausend Argits. Im Jahr. Jedes Jahr. Immer wieder. Tausend Argits.«

      »So ein Quatsch. Wer zahlt denn tausend Argits dafür, dass die Govas auf das Kind aufpassen?«

      »Weiß ich nicht, ist mir auch egal. Die Oberste Gova hat aber alles in ein Buch geschrieben. Und die reiche Dame musste wohl unterschreiben. Habe ich natürlich nicht gesehen, ich lag ja unter dem Tisch. Aber ich habe das Rascheln von dem Papier gehört und dann, wie die Federn über das Papier kratzten. Und dann ging die Frau und das Kind blieb zurück. Die Oberste Gova hat das Buch wieder in die Bibliothek gebracht und die Kleine dann zu uns in den Schlafsaal. Da dachte ich erst, oh, so ein edles Fräulein, die wird jetzt hier aber bestimmt wie eine kleine Prinzessin behandelt. Aber war nicht. Wurde ganz normal behandelt. Bekam die gleiche dünne Winxsuppe. Ist genauso wie wir anderen. Ein ganz normales Waisenkind.«

      »Ein ganz normales Waisenkind?«

      »Genau. Wir wir alle. Versteht ihr?«

      Kard und Madad schauten sich an. Und zuckten mit den Schultern.

      »Dieses Kind, das Buch, dieses Geschacher. Das machen die Govas bei allen. Versteht ihr? Jemand bezahlt die Govas dafür, dass sie uns durchfüttern und auf uns aufpassen. Nicht nur bei der kleinen Prinzessin. Das war die Mona übrigens, ist jetzt eine gute Freundin von mir. Ich meine, unsere Eltern hätten uns doch auch einfach auf die Straße setzen können. Gibt doch sogar hier in Truk ein paar von diesen Straßenkindern, oder? In der Alten Stadt soll es ganz viele davon geben. Und in Conchar sollen sie ganze Stadtviertel kontrollieren, hat mal einer erzählt. Oder man verkauft die Mädchen an eine Goiba-Priesterin zum Opfern, versteht ihr?Aber es gibt auch genug Mädchen bei uns im Waisenhaus. Hätte man gut verkaufen können. Goiba hätte sich gefreut. Aber nein, man gibt sie in ein Waisenhaus. Das von Govas geführt wird. Statt sie Goiba zu opfern. Ist doch alles irgendwie seltsam, findet ihr nicht?«

      Kard nickte. Jemand bezahlt dafür, dass die Kinder überleben, nicht umkommen, nicht geopfert werden? Diese Information sickerte ganz leise und langsam in die große Leere, die in ihm wartete. Jemand, wahrscheinlich die Eltern, sorgte dafür, dass das Kind überlebte. In seiner tiefen Dunkelheit erglomm plötzlich ein kleine Flamme, ganz winzig, kaum zu spüren.

      »Ist ja interessant, Benji. Aber jetzt gehen wir mal schlafen. Ist schon spät.«

      »Oh, darf ich hier bleiben. Super. Ist so schön warm hier.«

      »Ja, bleib mal da.«

      »Bist du denn noch nicht fertig mit den Ofengriffen?«

      »Doch. Nein. Muss ich mir morgen nochmal anschauen.«

      »Gut, ich bleibe gerne hier.«

      Madad war bei den Worten des Jungen ganz still geworden. Was gar nicht seine Art war. Kard spürte den Blick seines Freundes, seine Neugier, seine Abenteuerlust. Er nickte ihm zu. Erstmal die Nacht abwarten. Denn er musste über die Dinge, die Benji gerade erzählt hatte, einmal gründlich nachdenken.

      *

      Die Sonne war inzwischen untergegangen und die Bürger Conchars hatten sich in ihre Hütten und Häuser zurückgezogen. Auch Tsarr, Oberste Priesterin von Goiba, hatte sich in ihre privaten Gemächer innerhalb der Schwarzen Burg zurückgezogen und bereitete sich auf die bevorstehende Aufgabe vor.

      Flanakan mochte die Schergen haben, die ihm Informationen aus dem letzten Winkel seines Reiches zutrugen, Tsarr hatte ihre Obsidiankugel. Und damit eine direkte Verbindung zu allen Govas ihrer Sippe! Und das waren nicht wenige! Tsarr hatte in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass in allen wichtigen Goiba-Tempeln des Reiches ihre Nichten und Großnichten als Oberste Priesterinnen ihren Dienst versahen. Selbst auf Amazonien und in Ichtien waren die Priesterinnen, was gerade bei den Halbkiemenatmern doch irgendwie wunderlich war, über mehrere Seitenlinien mit ihr verwandt. Die Anbetung und damit die Macht Goibas war fest in der Hand ihrer Familie. Leider war ihre einzige Enkeltochter vor einigen Jahren aus dem Leben geschieden, nachdem sich schon deren Mutter vorzeitig aus dem Staub gemacht hatte. Ärgerlich schluckte Tsarr die Erinnerung daran hinunter.

      Tsarr stand vor einem Spiegel und blies sich eine störrige Locke, die ihr immer wieder über das Auge fiel, zum hundertsten Mal aus dem Gesicht. Gleich würde die magische Versammlung beginnen, da wollte sie einen guten Eindruck machen. Obwohl es ihr im Endeffekt natürlich gleichgültig war, was ihre Priesterinnen von ihr hielten. Sie war die Oberste Gova des Reiches, für Tsarr zählte nur Gehorsam. Aber diesen Gehorsam konnte sie natürlich nur einfordern, solange ihr der Respekt der anderen sicher war. Und dazu gehörte natürlich ein gewisses Aussehen. Niemand sah ihr an, dass sie dank der dunklen Magie von Goiba bereits über hundert Menschenjahre zählte, obwohl dass natürlich alle wussten. Sie war die Erste der Ersten und niemand sollte daran jemals zweifeln.

      Der einzige, dem sie selbst Respekt entgegen brachte, war der Herrscher. Und das obwohl er