Rike Waldmann

Vier gewinnt


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es war auch ziemlich nahe an der Wahrheit. „Nur: Bayerischer Hof? Dann stehen Sie morgen auf jeden Fall in der Zeitung. Und ich bzw. der Verlag gleich mit. Keine gute Idee.“

      „Da haben Sie natürlich recht. Ich bin ein Trottel. Haben Sie einen Vorschlag?“ „Wenn Sie Thai-Essen mögen? Da gibt es in der Nähe meines Hotels ein kleines Lokal. Und das wäre dann für mich recht bequem.“ Marlene grinste. „Es hat den Vorteil, dass heute dort keine Kollegen auftauchen, weil die alle beim Empfang des Börsenvereins sind. Und bezahlbar ist es für unseren klammen Verlag auch. Denn natürlich zahle ich das Essen. Dafür gibt es schließlich Spesen.“

      Marlene übersah geflissentlich Sandras weit aufgerissene Augen, schnappte sich ihren Mantel und verließ den Messestand. Zusammen mit einem sehr attraktiven international bekannten Schauspieler, der ausgerechnet sie als Lektorin für seinen Debütroman wollte.

      Ein attraktives Angebot

      Während sie auf dem Weg zum Taxistand Smalltalk machte (natürlich fuhr ein Promi nicht U-Bahn), überlegte Marlene im Stillen, was genau ‚Andreas‘ seinem Kumpel Stefan wohl vorgeschwärmt haben mochte. Es fiel ihr aber absolut nichts ein, was in der Zusammenarbeit mit ihm besonders aufregend gewesen wäre. Sehr angenehm war es gewesen, er war nicht nur kompetent, sondern konnte auch gut schreiben. Solche Autoren waren für kleine Verbesserungstipps immer echt dankbar, während die weniger souveränen oft um jedes falsche Komma feilschten. Insofern erinnerte sie sich gern an die Zusammenarbeit. Aber spektakulär war da nichts gewesen. Vielleicht reichte es ja heutzutage schon zu etwas Besonderem, wenn man einfach nur seinen Job machte?

      „In die Düsseldorfer Straße, bitte“, instruierte sie den Taxifahrer. Dann wandte sie sich an ihren Begleiter. Es ließ ihr einfach keine Ruhe. „Sagen Sie, was genau hat Ihr Freund Andreas denn so gelobt an mir? Mir will gar nichts Außergewöhnliches einfallen im Zusammenhang mit seinen Projekten.“

      Stefan Sommer schmunzelte. „Nun, er publiziert ja zur Geschichte des Mittelalters. Und er hatte wohl das Gefühl, dass Sie wirklich gelesen und verstanden haben, was er da zusammengeschrieben hat. Das scheint nicht in jedem Verlag selbstverständlich zu sein.“ Aha, alles klar. Marlene entspannte sich.

      „Und genau genommen“, fuhr der Schauspieler fort, „hat er vor allem versucht, mir die Idee komplett auszureden. Weil ich da unter besonderer Beobachtung des gesamten Feuilletons stehen würde. Weil ich mich nur blamieren könnte. Weil: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Weil, weil, weil … Und ich gebe ja zu: Er hat nicht ganz unrecht. Ich weiß ja wirklich nicht, ob ich das hinbekomme.“

      Marlene stutzte: „Ach, das Opus gibt es noch gar nicht?“ „In meinem Kopf schon. Aber auf dem Papier steht noch keine einzige Zeile.“

      Das Taxi hielt. Marlene belastete ihr Spesenkonto, obwohl Stefan Sommer protestierte. Sie würde sich nicht einladen lassen. Das wäre unprofessionell.

      Wenig später saßen sie in einer gemütlichen Ecke, in der wie durch ein Wunder noch ein Tisch für zwei Personen frei war. Die Erkältungswelle, die gerade durch Frankfurt schwappte, hatte auch ihr Gutes. Sie bestellten beide die Spezialität des Hauses, Gai Phad Prig. Das war gewürztes Hähnchenfleisch mit Peperoni, Frühlingszwiebeln, Champignons, Paprika, Knoblauch und Chili in Sojasoße, dazu gab es Jasmin-Reis. Das Ganze für Stefan Sommer scharf, für Marlene sehr scharf. Und ein Bier dazu, um die staubige Luft der Messehallen wegzuspülen.

      „Also“, nahm Marlene den Faden wieder auf, als der freundliche Kellner die Getränke auf den Tisch gestellt hatte, „Sie wollen ein Buch schreiben, es steht noch keine Zeile davon, aber Sie suchen schon einmal einen Verlag und möchten meine Dienste als Lektorin in Anspruch nehmen. Habe ich das richtig verstanden?“ Der Autorennovize nickte. „Dann erzählen Sie mir doch am besten erst mal, worum es gehen wird. Zum Wohl!“ Marlene hob ihr Glas und prostete Stefan Sommer zu.

      Der lächelte sie über sein Bier hinweg freundlich an, nahm einen großen Schluck und seufzte zufrieden. „Also, ehrlich gesagt: Dass ich heute sozusagen öffentlich darüber rede und zugebe, seit einiger Zeit diese fixe Idee nicht mehr loszuwerden, setzt mich natürlich unter Zugzwang. Ich möchte ja nicht in ein paar Monaten in der Klatschpresse lesen, es gebe da ein Gerücht, Stefan Sommer schreibe einen Liebesroman. Aber er habe den Mund wohl zu voll genommen und die Sache sei im Sande verlaufen.“

      „Einen Liebesroman?“ Marlene schaute entgeistert. „Also, da sind Sie bei uns nun wirklich nicht an der richtigen Adresse.“ „Nein, na ja – es ist so …“, ihr Gegenüber holte tief Luft. „Es geht um die Geschichte von Mathilde Jäger. Die lebte im neunzehnten Jahrhundert und starb kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Unverheiratet. Denn als Leiterin einer höheren Mädchenschule in Berlin konnte sie natürlich nicht die liebende Gattin eines Rechtsanwalts sein. Oder die Gattin von überhaupt irgendjemand. Und das machte meinen Urgroßvater Friedrich Sommer eine Zeitlang sehr unglücklich. Er war nämlich dieser Rechtsanwalt. Nach dem Tod seiner Mathilde hat er im reifen Alter von dreiundfünfzig Johanna, eine junge Frau von zweiundzwanzig Jahren, geheiratet und ‚meinen‘ Zweig der Familie begründet. Aber zu seinem Sohn aus erster Ehe soll er ein herzliches Verhältnis gehabt haben. Die Geschichte wird in unserer Familie immer zu hohen Feiertagen erzählt, und vom Leben der beiden war ich schon als kleiner Junge fasziniert. Sie fanden dann nämlich doch einen Weg, um zusammen zu sein.“

      „Als historische Arbeit wird schon eher ein Buch daraus, das in unser Programm passt“, Marlene dachte laut. „Aber eine wissenschaftliche Abhandlung wollen Sie ja offenbar gerade nicht schreiben?“ Sie schaute ihr Gegenüber fragend an.

      Der antwortete nicht gleich, sondern schaute erst einmal erfreut dem Kellner entgegen, der sich mit zwei appetitlich aussehenden riesigen Tellern ihrem Tisch näherte. „Mann, hab ich einen Hunger. Seit dem Frühstück war irgendwie keine Zeit zum Essen. Das sieht verdammt gut aus.“ Stefan Sommer brauchte jetzt offenbar erst mal ein paar Gabeln voll Soulfood. Und Marlene ging es nicht anders, auch bei ihr hatte es über Mittag nur zu einem Schokoriegel gereicht.

      In einträchtigem Schweigen fielen die beiden über ihr Abendessen her. Es war köstlich. Nach einigen Minuten seufzte Marlene genüsslich. Jetzt war sie wieder zu weiteren Überlegungen bereit. „Wir verlegen natürlich auch Sachbücher mit historischem Hintergrund. Da könnten Sie schon durchaus reinpassen.“

      „Es freut mich, dass Sie das auch so sehen. Genau das hat Andreas nämlich auch gesagt, als ich ihm von meinem Fund berichtet habe.“ – „Ein Fund?“ Jetzt war Marlene ganz Ohr. „Was haben Sie denn gefunden?“

      „Meine Großmutter ist im Frühjahr verstorben.“ „Das tut mir sehr leid“, Marlenes Mitgefühl war nicht gespielt. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie sie vor zwei Jahren um ihre eigene Großmutter getrauert hatte, mit der sie wunderbare Kindheitserinnerungen verbanden.

      „Ja, es war schwer für mich. Sie hat mich praktisch großgezogen, weil meine Eltern den ganzen Tag im Geschäft waren. Sie betreiben einen kleinen Schuhladen mit edlen italienischen Marken. Und hatten nie Zeit für mich. Zum Glück bin ich ein Einzelkind geblieben, schon damit waren sie überfordert.“ Hmm, besonders unglücklich sah Stefan Sommer eigentlich nicht aus.

      Er schien Marlenes Gedanken zu lesen, denn er fuhr rasch fort. „Sie sind schon irgendwie großartig. Aber sie waren halt immer unterwegs: im Laden, auf Messen, in Italien, um die neuesten Trends aufzuspüren. Als ich älter war, haben sie mich manchmal mitgenommen. Das war toll. Dann hatte ich den ganzen Tag für mich und machte Florenz, Lucca oder Rom unsicher. Hab ganz ordentlich Italienisch gelernt in der Zeit.“ Stefan Sommer schob noch einen Bissen Huhn auf die Gabel. „Wenn wir mal zusammen waren, war es super, wie gesagt. Und für die ganze restliche Zeit hatte ich halt Oma. Die sorgte dafür, dass ich ordentlich ernährt wurde, dass meine Hemden sauber waren und dass ich wenigstens ab und zu mal Hausaufgaben machte. Wir haben uns geliebt.“

      Er seufzte: „Als ich nach dem Abi auf die Schauspielschule wollte, hat sie für mich bei meinen Eltern ein gutes Wort eingelegt. Na ja, inzwischen haben die sich auch damit abgefunden, dass ich ihren