Rike Waldmann

Vier gewinnt


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ich nach und nach umräumen.“ Stefan stöhnte leise. „Das ist ja alles relativ kostbar. Man kann es nicht einfach zum Sperrmüll bringen. Aber bis auf ein paar Erinnerungsstücke werde ich nicht viel behalten. Das ist irgendwie so gar nicht mein Stil.“ Er ging ihr voraus und betrat einen großen Raum, dessen gesamte Rückwand verglast war und einen Blick in den Garten gestattete. In der Mitte befand sich eine moderne Kochinsel, auf der rechten Seite waren Schränke mit Töpfen, Pfannen, Tellern und Tassen untergebracht. Und links stand eine gemütliche Eckbank mit einem Eichentisch. Hier konnte man es aushalten.

      „Was wäre denn dein Stil, wenn Biedermeiersesselchen dir zu zierlich sind? Lass mich raten: schwarze Ledersofas.“ Das war ein bisschen gemein. Alle Kerle liebten ja offenbar schwarze Ledersofas. Es hatte Marlene viel Mühe gekostet, Lukas zumindest auf sandfarbene umzupolen, weil sie ihre Abende nicht in derart dunkler, kühler Umgebung verbringen wollte. Dunkle Kissen musste sie schließlich zugestehen, aber damit konnte sie leben.

      Stefan schaute ein wenig ertappt drein. „Daran hatte ich gedacht, ja. Ist das nicht gut?“ – „Na ja, mein Geschmack wäre es nicht. Also für ein Büro oder einen Konferenzraum: Okay. Aber für den Feierabend? Das zieht einen doch runter. Es gibt ja Leder heute in allen Farben. Da würd ich eher nach meerblau oder sonnenuntergangsgelb schauen. Oder so. Aber ich bin ja nicht deine Innenarchitektin.“

      „Oh, aber es wäre toll, wenn du es werden könntest. Meerblau. So karibiktürkis. Das gefällt mir ganz ausgezeichnet. Wäre ich nie drauf gekommen. Aber da würde sich dann jeder Feierabend ein bisschen wie Urlaub anfühlen. Das ist es. Danke.“

      Stefan war ganz begeistert. „Komm, ich zeig dir das Haus. Vielleicht hast du noch mehr meerblaue Ideen.“ Marlene fühlte sich geschmeichelt, musste aber ablehnen. „Tut mir leid, aber in neunzig Minuten fährt mein Zug. Und wenn ich Lukas heute auch wieder versetze, dann verlässt er mich“, scherzte sie. „Also, ich könnte damit leben“, traute sich Stefan zu erwidern. Aber dann wurde er ernst. „Nein, das war natürlich ein schlechter Scherz. Hausbesichtigung machen wir beim nächsten Mal, wenn ich mit dem ersten Durchgang fertig bin und wir uns treffen, um deine Lektoratswünsche zu besprechen.“

      Mit diesen Worten drückte er ihr ein in weinrotes Leder eingebundenes, nicht allzu dickes Buch in die Hand, das mit einer silbernen Schnalle verschlossen war. „Das ist es, Mathildes Tagebuch.“

      „Guter Titel“, sagte Marlene spontan. „Den sollten wir uns gleich mal merken. Vorsichtig schlug sie das Buch auf. Die Tinte war sepiabraun und kaum verblasst, die Schrift steil und gleichmäßig. „Heute Abend ist Friedrich erst gegen Mitternacht gegangen“, fing sie an zu lesen. „Wie überaus unschicklich. Oh, ich liebe ihn so sehr.“

      Stefan blieb der Mund offen stehen. „Du kannst das einfach so lesen? Wahnsinn. Einfach der Wahnsinn.“ „Für irgend etwas muss mein Germanistikstudium ja gut sein“, schmunzelte Marlene. „Nein, im Ernst. Ich hatte eine Patentante, die sich dieser Schrift hartnäckig bediente. Und die schrieb mir ziemlich oft. Da bleibt was hängen.“

      „Aber dann“, Stefans graue Zellen kamen sichtlich in Bewegung, „dann könntest du die Sache ja enorm beschleunigen. Wenn du mir eine lesbare Version anfertigst und ich nicht Monate auf das Entziffern verwenden muss, dann bringt uns das mächtig voran. Einem Fremden hätte ich das Tagebuch nicht anvertrauen wollen. Aber meiner Lektorin – jederzeit.“

      Und so vereinbarten sie es schließlich. Marlene nahm das Tagebuch an sich und versprach, gleich am nächsten Tag den Vertrag und in ca. zwei Wochen die Abschrift zu schicken. Und dann würde es losgehen.

      Unter Freunden

      Als Marlene nach Hause kam, war Lukas bereits beim Fußballtraining. Er hatte ihr einen Schokomuffin vom Bäcker mitgebracht und ihn liebevoll mit ein paar Trauben auf einem Tellerchen arrangiert. Daneben lag ein Zettel: „Hab dich lieb.“ Süß. Marlene war gerührt und griff zu. Im Zug hatte sie nichts essen wollen und das Frühstück war lange her. So würde sie wenigstens nicht völlig ausgehungert bei Alex ankommen.

      Schnell schlüpfte sie unter die Dusche, zog ihr bequemes Lieblingsstrickkleid und passende Stiefeletten an und musste auch schon los. Die Zeit raste. Marlene griff sich eine Flasche Rotwein, die sie gestern schon als Mitbringsel bereitgestellt hatte und stand beinahe pünktlich um kurz nach sieben bei Alex vor der Tür.

      Alle anderen waren schon da. Zwei Pärchen – Nina, Max, Jessica und Mike – die sie nur vom Hörensagen kannte, die aber nett zu sein schienen. Und Tim. Freudestrahlend stellte Alex ihn vor. Man sah ihr an, wie begeistert sie von ihm war. Marlenes erster Eindruck war: Versteh ich nicht. Tim war groß, blond, offensichtlich gut im Training und sah nicht schlecht aus. Aber sein Blick war irgendwie unstet, er sah ihr nicht in die Augen und nuschelte statt einer herzlichen Begrüßung nur ein schwer verständliches ‚Hallo‘, als er ihr die Hand reichte. Schlaffer Händedruck, wenig Präsenz – Marlene war irritiert. Das genügte den hohen Ansprüchen ihrer Lieblingsfreundin? Wie sie im Laufe des Abends noch merkte, wurde Alex von Tim bei Weitem nicht so liebevoll behandelt und beachtet, wie das umgekehrt der Fall war. Das sollte bei einem Frischverliebten doch eigentlich anders sein. Da war ja Stefan aufmerksamer. Und der war nicht verliebt.

      Aber wie auch immer: Das Essen war gut, der Wein auch. Es wurde ein gemütlicher Abend. „Zu schade, dass Lukas nicht hier sein kann“, sagte Alex zwei Stunden später, als alle satt und faul um den abgeräumten Tisch saßen. „Na, sein Training ist ihm heilig, das weißt du ja“, entgegnete Marlene. „Und schuld bin schließlich ich mit meiner blöden Dienstreise. Vielen Dank noch mal an alle, dass ihr der Verlegung auf heute zugestimmt habt.“

      „Wie war es denn nun eigentlich in Köln? Muss ja ein wichtiger Autor sein, wenn du sogar deinen Samstag für ihn opferst.“ Das kam von Nina, die den Beruf der Lektorin offenbar für weniger strapaziös gehalten und dabei mehr an gemütliches Lesen und schicke Empfänge gedacht hatte. Natürlich konnte Marlene zu diesem Zeitpunkt weder Konkretes zum Buch verraten noch gar den Namen ihres prominenten Autors preisgeben. Vielleicht wurde es ja schlussendlich doch nichts. Es wäre nicht das erste viel versprechende Projekt, das mit großem Enthusiasmus startete und sich dann still und leise verabschiedete. Nicht dass sie Grund zu der Befürchtung gehabt hätte, aber da war sie ein wenig abergläubisch.

      Tim interessierte sich offenbar weniger für Bücher. Oder überhaupt für etwas anderes als sich selbst. Er begann, lang und breit von einem Wettkampf zu berichten, den er am kommenden Wochenende bestreiten wollte. Nein, kein schnöder Marathon. Sowas machte ja heutzutage jeder. Es handelte sich um einen Iron-Man-Wettbewerb. „Aber alles nur halbe Strecke, so zum Eingewöhnen“, warf er lässig in den Raum. „Ich werde das systematisch aufbauen. Und Alex übernimmt die Orga und die Verpflegung an der Strecke, nicht wahr, Baby? Diesen offiziellen Energy-Krempel plus Banane kannst du dir ja nicht antun.“

      Hoppla. Baby? Baby??? Marlene glaubte sich verhört zu haben. Ihre toughe Freundin Alex, Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei und bestens vernetzt in der örtlichen Kunstszene, sollte ab jetzt ihre Wochenenden damit verbringen, an zugigen Landstraßen darauf zu warten, dass der Liebste keuchend herantrabte? Um ihm dann eine Banane zu reichen? Oder nee, eine Banane ja grade nicht. Na, das würde nicht lange gutgehen. Noch sah es aber nicht nach Trennung aus. Alex himmelte den Typen förmlich an. Der musste irgendwelche verborgenen Qualitäten haben. Ersichtlich waren sie jedenfalls nicht.

      Jessica schien das auch so zu sehen. Mit zweifelnd zusammengezogenen Augenbrauen wandte sie sich an Alex: „Na, dann kann ich unsere gemütlichen Joggingrunden am Samstagvormittag wohl künftig vergessen? Dafür wirst du dann ja keine Zeit mehr haben. Oder?“ „Aber natürlich“, Alex widersprach heftig. „Nur am nächsten Samstag halt nicht. Oder eventuell müssten wir vielleicht mal etwas früher aufstehen. Ich will ja auch in Form bleiben. Und mit Tim kann ich natürlich nicht mithalten.“ „Äh, nee. 4:18 im Schnitt“, warf der lässig in den Raum. Alle schwiegen beeindruckt. Auch Marlene. Das war bestimmt sehr großartig.

      Danach kam irgendwie kein Gespräch mehr in Gang. Max und Nina waren die Ersten, die sich unauffällig zunickten und dann zum Aufbruch bliesen. „Wir müssen, unser Babysitter muss pünktlich