Sarah Glicker

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„Sag es mir schon“, fordere ich ihn auf. Dabei lasse ich keinen Zweifel daran, dass ich es wissen will. Wenn er irgendeinen Mist gebaut hat, muss ich es wissen. Sollte es darauf ankommen, möchte ich nicht überrascht sein, sondern wissen, womit wir es zu tun haben.

       „Ich bin anscheinend über mehrere rote Ampeln gefahren und habe die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten, mehrmals“, antwortet Brad schließlich doch und zuckt mit den Schultern, als wäre das nichts.

       Seufzend fahre ich mir über den Nacken.

       Dieser Mann ist eine Naturgewalt, die sich das nimmt und das macht, was sie will. Ihn kann man nur schwer unter Kontrolle bekommen und auch behalten kann. Das war schon immer so und es wird sich auch bestimmt nicht mehr ändern.

       In diesem Punkt bin ich mir sicher.

       Und normalerweise würde ich Brad sofort recht geben, eigentlich ist es keine große Sache. In diesem Moment sieht das aber ganz anders aus. Und eigentlich müsste er das auch wissen.

       „Wir können es uns nicht leisten, dass du auch noch in den Bau musst. Hat Dad dir das nicht klargemacht?“, frage ich ihn streng und lasse ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. „Es reicht schon, dass ich so lange weg war. Du weißt, dass wir nur stark sind, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Manchmal gehört es dazu, dass man sich an die Gesetze hält.“

       „Ja, Papa.“

       An dem Ton, den Brad angeschlagen hat, kann ich erkennen, dass er diese Unterhaltung in der letzten Zeit wahrscheinlich öfters geführt hat.

       Dennoch muss ich es ihm noch einmal sagen. Brad gerät sonst wahrscheinlich völlig außer Kontrolle und das ist das Letzte, was ich in der nächsten Zeit gebrauchen kann.

       Im richtigen Augenblick werde ich ihn aber das machen lassen, was er will. Und das wissen alle. Doch jetzt habe ich andere Dinge im Kopf, sodass ich mir nicht auch noch darüber Gedanken machen kann.

       „Und was hast du in der letzten Zeit getrieben?“, wende ich mich an Taylor, nachdem ich Brad noch einen warnenden Blick zugeworfen habe.

       „Unser Musterjunge hat das Zeug, um Jahrgangsbester zu werden“, platzt es aus Brad heraus.

       „Wirklich?“

       Taylor war schon immer jemand gewesen, der mehr aus seinem Leben machen wollte, beziehungsweise etwas anderes. Das war schon so, als er noch in die Grundschule ging. Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass mein Bruder seinen Weg so eisern verfolgt. Doch ich freue mich darüber.

       Taylor nickt nur, ohne ein Wort darüber zu verlieren und schaut Brad kurz eisig an. Dann dreht er uns den Rücken zu, öffnet die Tür des Wagens und setzt sich auf den Beifahrersitz.

       Ich kenne diese Gespräche zwischen den beiden. In gewisser Weise sind sie wie kleine Kinder, die man ständig voneinander trennen muss, damit sie sich nicht streiten und Ruhe herrscht. Wenn es aber darauf ankommt, sind die beiden ein unschlagbares Team. Dennoch habe ich gehofft, dass sich ihr Verhalten in den letzten Jahren wenigstens etwas geändert hat, natürlich zum positiven. Doch nun muss ich feststellen, dass Wünsche manchmal wirklich nur Wünsche bleiben und sich manche Dinge nicht ändern.

       In gewisser Weise bin ich aber auch froh darüber. So kommt es mir vor, als hätte ich nicht sehr viel verpasst. Als wäre ich nicht so lange weg gewesen, wie ich es eigentlich war.

       „Und was hast du jetzt vor?“, zieht Taylor mich aus meinen Gedanken, nachdem er mich eine Weile stumm betrachtet hat.

       „Ich werde mich für die letzten Jahre rächen. Das hier werde ich nicht aus mir sitzen lassen“, knurre ich. „Wer auch immer dahinter steckt, er wird dafür bezahlen.“

       Mein Bruder nickt und zeigt mir so, dass er mich versteht. An meiner Stelle würde es ihm nicht anders gehen, das weiß ich. Und genauso weiß ich, dass ich mich auf die beiden verlassen kann.

       „Na los“, fordere ich ihn auf und setze mich hinter das Lenkrad.

       Ich will keine Zeit verlieren, damit ich mich endlich um das kümmern kann, was für mich an erster Stelle steht!

      2

      Rachel

      Mir ist schlecht.

      So schlecht, dass ich am liebsten im Bett bleiben und mich unter meiner Decke verkriechen würde.

      Schon den ganzen Tag habe ich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, welches ich einfach nicht loswerde. Wundern tut es mich aber nicht.

       Mich würde es eher wundern, wenn es nicht so wäre.

      In einer Stunde muss ich zum Abendessen bei meinen Eltern sein. Allerdings werde ich nicht alleine dort sein.

      Nein, mein Bruder wird auch anwesend sein.

      Alleine der Gedanke daran, dass er da sein wird, sorgt dafür, dass sich mein Magen schmerzhaft zusammenzieht und ich mich gerne übergeben würde. Doch es hilft alles nichts. Ich kann das Essen bei meinen Eltern nicht verschieden, oder irgendeine Ausrede vorbringen, warum ich nicht kommen konnte. Ich kann nur hoffen, dass ich ihm irgendwie aus dem Weg gehen kann. Denn leider kann ich den beiden nicht ewig ausweichen, auch wenn es in den letzten Wochen funktioniert hat.

      Nur leider habe ich es so nicht geschafft, auch ihm aus dem Weg zu gehen, denke ich zähneknirschend, während ich mich fertig mache.

       Als ich mir die Schuhe anziehe, verziehe ich bei jeder Bewegung das Gesicht vor Schmerzen. Es ist jetzt eine Woche her, dass ich mir diese Verletzungen zugezogen habe – keine Ahnung, wie ich es sonst bezeichnen soll. Doch sie schmerzen noch immer, als wäre es erst gestern gewesen. Vor allem der blaue Fleck, der sich auf meiner Hüfte befindet, springt mir jedes Mal sofort ins Auge, wenn ich mich ausziehe und einen Blick in den Spiegel werfe. Er ist riesig und besteht aus so leuchtenden Farben, dass ich froh darüber bin, dass man ihn an dieser Stelle nicht sehen kann.

       Seufzend bleibe ich auf meinem Sofa sitzen und warte darauf, dass die Schmerztabletten, die ich vorhin genommen habe, endlich wirken. Auf diese Weise will ich verhindern, dass meine Eltern etwas mitbekommen, da ich mich kaum bewegen kann. Ich wüsste nämlich nicht, wie ich ihnen das erklären sollte.

       Nach einigen Minuten stehe ich schließlich auf, greife nach meiner Tasche und den Schlüsseln und verlasse meine Wohnung.

       Ich habe es nicht eilig, zu meinen Eltern zu kommen. Daher bin ich über jede rote Ampel froh, die sich auf meinem Weg befindet. Ich fahre sogar einen kleinen Umweg, um noch etwas Zeit zu bekommen. Dennoch kommt es mir so vor, als würde ihr Haus viel zu schnell vor mir erscheinen.

       Ich habe mich immer darüber gefreut, hier zu sein. In den letzten Jahren ist diese Freude allerdings immer mehr verschwunden und ich bin ihnen aus dem Weg gegangen.

       Einen Moment bleibe ich noch in meinem Wagen sitzen und betrachte es. Ich habe eine wunderbare Kindheit hier verbracht. Damals war noch alles in Ordnung und es gibt Zeiten da wünsche ich mir, dass es noch immer so ist.

       Während ich versuche mich wieder ein wenig zu beruhigen, überlege ich mir schon eine Ausrede, wieso ich nicht lange bleiben kann. Auf diese Weise will ich verhindern, dass mein Bruder doch noch die Chance dazu bekommt, mit mir zu reden. Auf ein Gespräch mit ihm kann ich nämlich sehr gut verzichten.

       Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich mich endlich dazu aufraffe, das Auto zu verlassen. Als ich durch den Vorgarten auf die Haustür zugehe, höre ich noch einmal in mich herein. Dabei stelle ich fest, dass die Tabletten endlich wirken und ich mich wieder so bewegen kann, als wäre nichts geschehen.

       Und darüber bin ich froh. So muss ich mir keine Geschichte einfallen lassen. Ich will nicht, dass sie die Wahrheit erfahren.

       Das dürfen sie niemals erfahren!

       „Mein Kind“, begrüßt mich meine Mutter mit guter Laune und kommt mit großen Schritten auf mich zu, nachdem ich das Haus betreten habe.