Iris Antonia Kogler

Von Menschen


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wischt sich die Hände ab, geht zu Andrea und gibt ihr die Medikamente. Andrea füllt ein Glas am Wasserhahn und geht hinaus zum Alten. Als sie zurückkommt, sagt sie: „Ich weiß, sie werden ihm nicht mehr helfen, aber es beruhigt mich irgendwie, dass er sie noch einfach so nimmt.“

      „Die sollen auch nicht mehr helfen, Mama, nur noch erleichtern.“

      Am Abend bringen sie den Alten ins Haus. Als Andrea ihm die Strickjacke ausziehen will, öffnet er die Hand nicht.

      „Was hast du da Schönes in deiner Hand, Papa?“, fragt sie und lächelt. Da öffnet der Alte die Hand. Die Klarheit seiner Stimme erschreckt sie, als er sagt: „Eine Kastanie.“

      „Papa, wo bist du den ganzen Tag, wenn du da draußen sitzt?“

      „Hier, ich bin hier.“

      4.

      Am nächsten Morgen geht Martin zum Hof. Gestern Abend war er müde, und weil man ihm ein Bett angeboten hatte und er schon lange nicht mehr so satt gewesen war, war er geblieben.

      Der Hof liegt am Ende des Dorfes in Richtung Stadt. Sein Vater war Soldat gewesen wie er, aber seine Mutter wurde nicht vom Krieg geholt, sondern von einer Krankheit, die sich durch sie hindurch gefressen hatte. Der Hof steht seit drei Jahren leer, der Schlüssel ist unter einer Wurzel des Kastanienbaumes versteckt. Er betritt das Haus, und nicht nur der Staub dreier Jahre legt sich auf sein Gesicht, sondern auch der Staub des Krieges. Plötzlich ist er unendlich müde und weiß nicht, wohin mit sich. Er kann nicht in die Zukunft sehen, obwohl er das doch wollte, und in der Vergangenheit ist der Krieg. Er prüft, ob noch Wasser aus den Leitungen kommt, füllt eine Schüssel, weil er kein Glas findet, und setzt sich auf einen Stuhl an den Küchentisch. Er überlegt, ob er sich eine Kugel in den Kopf jagen soll und bewegt sich nicht, als er das Knurren hinter sich hört. Er denkt auch nicht daran, an sein Gewehr zu gelangen, das er an den Türrahmen gelehnt hat. „Pass auf den schwarzen Köter auf, der sich da eingenistet hat, der ist bissig bis aufs Blut“, war er heute Morgen noch gewarnt worden. Deswegen hatte sich niemand auf den leer stehenden Hof gewagt. Der Köter kommt in sein Blickfeld, Staub tanzt um sein Fell. Hässliches Vieh, denkt Martin und zieht an seinem Pullover, so dass seine Kehle frei liegt.

      „Hier, bring mein Leben zu Ende“, sagt er, doch als das riesige Tier ihn einfach nur weiter ansieht, greift er langsam nach der Schüssel. Er stellt sie neben sich auf den Boden und bleibt sitzen. „Das ist mein Hof, aber du kannst bleiben.“

      Weil er nun nicht mehr alleine ist, beginnt er mit dem Aufräumen. Er findet eine Bank und stellt sie vor das Haus. Es gibt nicht viel in dieser Zeit, aber das Wenige, das er organisieren kann, reicht ihm und dem Köter. Er hört, was in der Welt geschieht und in Deutschland, wenn abends das Radio läuft, während er in der Küche kleine Kartoffeln schält. Er hört zu, um zu wissen, von was er sich fernhält. Eines Morgens im März fliegen die Nachrichten aus einem Flugzeug vom Himmel mitten in seinen Hof, mit einer schönen Frau auf der dritten Seite, die er sich in die Küche hängt.

      Es ist Herbst, als er den alten Traktor zum Laufen bringt, der Motor ist laut und so hört er nicht das Knurren des Köters, sondern sieht ihn nur, wie er die Zähne zeigt und in Position geht. Drei britische Wagen halten im Hof, acht Soldaten steigen aus und schauen sich um. Martin sieht den Köter an und plötzlich sieht er nicht das hässliche Vieh in ihm, sondern einen Freund. „Sitz“, sagt er und der Hund gehorcht. Einer der britischen Soldaten kommt auf ihn zu. Sein Gesicht ist freundlich, aber da steht hinter ihm ein anderer, dessen Grinsen gefällt Martin nicht. Er beobachtet ihn, ohne weiter hinzusehen, und aus dem Augenwinkel sieht er, wie der Soldat auf den Hund schaut und seine Waffe zieht, als dieser die Zähne zeigt. Der vordere Soldat will wissen, ob er hier alleine lebe und was er mache. Martin sieht auf das Auto des Soldaten und sagt: „Klingt nicht gut, der Motor. Ich repariere das.“

      Ein halbes Jahr später hat er eine Werkstatt eröffnet. Er macht gute Geschäfte, legal und illegal, er kommt mit den Besatzern zurecht. Nur der eine Soldat, der gefällt ihm immer noch nicht. Die Bewohner der Dörfer sind zurückgekommen, nach und nach, meistens zu Fuß, weil das ganze Land still steht. Eines Abends geht er in ein Lokal und als er auf dem Heimweg ist, hört er ein Geräusch, dem er nachgeht. Der grinsende Soldat knöpft sich seine Hose zu und entdeckt Martin. „Du machst gute Geschäfte mit uns. Hoffen wir, dass es so bleibt“, sagt er und geht. Martin hilft der Frau beim Aufstehen und schaut zur Seite, als sie sich die Kleider richtet. Er fühlt einen Schmerz in sich, und das verwirrt ihn, fühlt er doch schon lange nichts mehr. Und da ist diese Hitze, die sich in seinem Magen bildet. „Ich kann mich um ihn kümmern“, sagt er in seiner schroffen Art. Die Frau legt den Finger auf ihre Lippen und verschwindet verletzt in die Nacht. Als Martin nach Hause kommt, erzählt er dem Hund, er habe eine Frau kennengelernt. In der Nacht hört er einen Schuss und findet ihn im Hof. Ob Hund oder Kamerad, er hat Übung darin, Blut zu stoppen, legt seinen Freund auf den Küchentisch und holt die Kugel aus ihm heraus.

      Martin weiß, dass es die Soldaten öfter tun. Es vergehen wenige Wochen, da klopft es am späten Abend an seiner Türe. Die Frau steht da und sieht ihn an. „Ich brauche einen Ehemann.“

      Es ist eine stille Hochzeit. Sie kommt von einem Hof und bringt ein wenig Vieh mit in die Ehe. Luise ist eine gute Frau, denn seit er sie hat, ist er nicht mehr so schweigsam und schwierig. Die Erinnerungen an den Krieg werden leiser und er hat angefangen, etwas aufzubauen. Sie verlieren nie ein Wort über das Geschehene, weil sie es so will.

      Eines Tages ist er im Haus und ruft nach ihr, doch sie antwortet nicht, und so geht er nachsehen. Der Soldat mit seinem Grinsen steht vor dem Haus und will, dass er einen Fotoapparat repariert. Er blickt an Martin vorbei und sieht das Kind, das eine Kinderrassel bekommen hat, und Luise, die auf der Bank sitzt und Kastanien schält. Er nimmt eine und schiebt sie sich in den Mund. „Hübsches Kind“, sagt er.

      Luise weiß sofort Bescheid und springt mit dem Kind vom Tisch weg. Martin schlägt dem Briten die gusseiserne Pfanne über den Schädel und bindet ihm, während er noch ohnmächtig ist, einen Strick um den Hals. Er schleift ihn unter die Kastanie, wirft den Strick über den Ast und holt einen Stuhl, auf den er den Soldaten zieht. Dann geht er in das Haus, holt einen weiteren Stuhl, setzt sich vor den Soldaten und macht sich an die Reparatur des Fotoapparats, denn er repariert alles, was man ihm gibt. Der Hund beobachtet ruhig, was geschieht. Er trägt die Rassel im Maul, die er unter dem Tisch gefunden hat.

      „Funktioniert wieder“, sagt Martin, als der Brite erwacht, und drückt auf den Auslöser, im Visier den vor dem Hauseingang liegenden Hund.

      „Du wirst sterben, Deutscher! Deine Frau war übrigens die Beste. Drei Frauen hab ich erwischt, deine hat am meisten Spaß gemacht.“

      „Drei? Drei Frauen, und du hast auf meinen Hund geschossen.“ Martin geht zum Haus und holt vier Kastanien, die er dem Soldaten in den Mund presst. Dann beginnt er, das Seil weiter über den Ast zu ziehen, bis nur noch die Fußspitzen des Briten den Stuhl berühren und die Luft knapp wird. Er holt ein zweites Seil, bindet es an den Stuhl und ruft den Hund, dem er ein Halsband anlegt.

      Luise kommt mit dem Kind aus dem Haus. Sie haben sich hübsch gemacht.

      „Unser Kind wird heute getauft“, sagt Martin und sie verlassen den Hof.

      Es wird eine halbe Stunde dauern. Eine halbe Stunde lang wird der Hund den Soldaten anschauen, ruhig und dunkel, wie es seine Art ist. Dann wird er aufstehen und gehen, den Stuhl mit sich ziehen und am Eingang des Hofes auf Martin warten, der in der Nacht im Wald ein Loch graben wird.

      5.

      Kate sieht aus dem Fenster hinüber zu ihrem Großvater. Heute scheint es ihm gut zu gehen. Andrea setzt sich zu ihm und folgt seinem Blick zum Kastanienbaum.

      „Geht es dir gut, Papa?“

      Der Alte nickt. „Ja, es geht mir gut.“

      „Kate will eine Schaukel für die Kleine an die Kastanie hängen. Kannst du dich erinnern, dass sie als Kind eine Schaukel da hängen hatte?“

      Da plötzlich lächelt der Alte. „Ist ein guter Baum. Hing schon viel dran.“

      „Daran kannst du