Marianne Christmann

Nichts ist vergessen


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wurde entfernt und durch höher dosiertes Insulin ersetzt. Der Tote hat sich offensichtlich am Morgen eine Spritze gegeben und als er feststellte, dass sie nicht wirklich wirkte, hat er sich, bevor er vor der Buchhandlung ausgestiegen ist, eine weitere Spritze gegeben. Die beiden leeren Spritzen sind hier.“

      Sie hielt sie hoch.

      „Was bedeutet das genau?“, fragte Jutta nach.

      „Eine zu hohe Dosis Insulin führt bei einem Diabetiker zu Unterzuckerung, er kann ins Koma fallen und sterben. Und in diesen Spritzen war Insulin in einer sehr hohen Konzentration. Bei einem Menschen, der völlig gesund ist, kann das Spritzen von Insulin zum Tod führen.“

      „Das heißt also, das Insulin wurde in der Konzentration erhöht, um Markus Rieder zu töten. Dann handelt es sich also um Mord?“

      „Das denke ich auch.“

      „Der Todeszeitpunkt ist ja bekannt aber können Sie etwas dazu sagen, wann der Inhalt ausgetauscht worden sein könnte?“

      „Das ist schwer zu sagen, das kann durchaus schon ein paar Tage her sein. Allerdings hat der Tote immer ein Notfallmäppchen bei sich gehabt, indem sich insgesamt vier Spritzen befinden. Zwei davon sind leer, die hat er verbraucht. Die anderen beiden sind unbenutzt. Ich habe den Inhalt untersucht, auch dieser wurde ausgetauscht. Da wollte jemand auf Nummer sicher gehen.“

      „Danke, Frau Wilhelmi, Sie haben mir sehr geholfen. Sollte sich noch etwas Neues ergeben, dann geben Sie mir bitte umgehend Bescheid.“

      „Ja, das mache ich.“

      Nachdenklich verließ Jutta Hansen die Pathologie und steuerte ihr Büro an, um die Neuigkeiten Jan mitzuteilen. Außerdem musste sie nachdenken.

      Sie betrat ihr Büro und berichtete Jan, was sie soeben erfahren hatte. Dieser war genauso überrascht wie zuvor Jutta.

      „Dann handelt es sich also um Mord“, meinte er, „dann müssen wir jetzt in einer Mordsache ermitteln.“

      „So ist es“, antwortete ihm Jutta, „dafür haben wir bisher aber noch recht wenig. Wir müssen im Umfeld des Toten ermitteln, Familie, Freunde, ob er Feinde hatte etc. Am besten, wir fahren noch einmal zu seinen Eltern und befragen diese. Auch seinen Bruder. Vielleicht weiß der etwas. Vorher sehen wir uns aber seine Wohnung an. Möglicherweise finden wir dort etwas, das uns weiterhilft. Hast du die Adresse?“

      „Habe ich“, antwortete Jan.

      „Dann los“, sagte Jutta und stand auf.

      Kapitel 5

      Die Wohnung von Markus Rieder befand sich im zweiten Stock eines Apartmenthauses und bestand aus drei Zimmern, einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einem Arbeitszimmer sowie einer Küche und einem Bad. Alles sah sauber und aufgeräumt aus.

      Die Kripobeamten sahen sich um. Jan ging ins Bad und öffnete den Schrank, der über dem Waschbecken hing.

      „Jutta, hier ist etwas.“

      Er hielt eine Packung mit weiteren Insulinspritzen hoch.

      „Die nehmen wir mit und lassen sie untersuchen. Ich will wissen, ob auch hier die Flüssigkeit ausgetauscht wurde.“

      Jan fischte eine Plastiktüte aus seiner Jackentasche und steckte die Packung hinein. Dann verschloss er die Tüte und steckte sie ein.

      In der Küche war nichts Besonderes zu finden, auch nicht im Schlafzimmer und im Wohnzimmer. Jutta ging ins Arbeitszimmer und sah sich hier um. Der Schreibtisch war aufgeräumt, nur einige Fotografien standen darauf.

      Eine zeigte Markus mit seinen Eltern und seinem Bruder, eins die beiden Brüder allein. Auf der dritten waren fünf junge Männer zu sehen, die sich untergehakt hatten und offenbar gerade etwas feierten. Der mittlere war Markus.

      „Das hier ist Markus Rieder“, sagte Jutta und zeigte auf den Mann in der Mitte, „aber wer sind die anderen? Das müssen wir herausfinden. Das Bild nehmen wir mit und fragen mal seine Eltern und seinen Bruder, ob sie die anderen jungen Männer kennen und deren Namen wissen.“

      Sie steckte das Bild in ihre Tasche. Dann verließen sie die Wohnung und fuhren noch einmal zu Markus Rieders Eltern.

      Dieses Mal wurde die Tür von einem Mann Mitte sechzig geöffnet. Er trug Freizeitkleidung und hatte Ringe unter den Augen, so als wenn er einige Zeit nicht geschlafen hätte.

      „Herr Rieder?“, fragte Jutta Hansen.

      „Ja, der bin ich. Wenn Sie von der Presse sind, können Sie gleich wieder gehen. Wir geben keine Interviews.“

      „Mein Name ist Hansen, das ist mein Kollege, Herr Römer, wir sind von der Kripo. Dürfen wir hereinkommen?“

      Der Mann in der Tür musterte sie von Kopf bis Fuß. Dann öffnete er die Tür weit, um sie eintreten zu lassen. Er geleitete sie ins Wohnzimmer und bat sie, Platz zu nehmen.

      „Ich bin Hubertus Rieder, meine Frau hat mir bereits erzählt, dass Markus tot ist. Gibt es etwas Neues?“

      „Herr Rieder, wir wissen inzwischen, dass Ihr Sohn nicht einfach so tot umgefallen ist, sondern er ermordet wurde.“

      „Ermordet? Aber es war doch niemand bei ihm.“

      „Das Insulin aus den Spritzen in seinem Notfallmäppchen wurde gegen ein sehr viel höher dosiertes Insulin ausgetauscht. Wir lassen auch die Spritzen untersuchen, die wir in seiner Wohnung gefunden haben. Wer hatte denn Zugriff auf seine Spritzen?“

      Inzwischen waren auch Frau Rieder und ihr Sohn Dominik dazugekommen. Sie hatten die Erklärung von Jutta gehört.

      „Das ist ja schrecklich“, sagte Frau Rieder, „jeder wusste, dass er seine Spritzen im Schrank über dem Waschbecken im Bad aufbewahrte.“

      „Wer ist jeder?“

      „Wir halt, seine Familie und auch ein paar seiner Freunde“, antwortete Dominik.

      „Und wer wusste alles von seinem Notfallmäppchen?“

      „Die gleichen Personen.“

      Jutta holte das Foto aus der Tasche, welches sie von Markus‘ Schreibtisch genommen hatte. Sie reichte es Herrn Rieder.

      „Der mittlere ist Ihr Sohn. Aber wer sind die anderen vier?“, wollte sie wissen.

      „Ganz links, das ist Veit Gronig, der daneben Jonas Gabelberg und die anderen beiden sind Moritz Sonntag und Volker Grundmann. Die fünf kennen sich schon seit der Grundschule und ziehen oft zusammen um die Häuser. Hier feiern sie gerade den geglückten Abschluss ihres Studiums.“

      „Das sind also Freunde Ihres Sohnes?“

      „Ja.“

      „Wissen sie von seiner Zuckerkrankheit und auch, wo Markus seine Spritzen aufbewahrte und von dem Notfallmäppchen?“

      „Ich denke schon“, antwortete Dominik und seine Eltern nickten.

      „Dann brauche ich die Anschrift der anderen vier“, meinte Jutta.

      Herr Rieder schrieb die Adressen auf und reichte den Zettel dann Jutta.

      „Finden Sie den, der das getan hat, Frau Hansen. Sie haben jede Unterstützung von mir, die Sie brauchen.“

      Jutta sah ihn aufmerksam an.

      „Gut zu wissen“, meinte sie dann.

      Sie wandten sich zum Gehen.

      „Ich bringe Sie hinaus“, sagte Dominik und begleitete die beiden zur Tür.

      Er öffnete sie und ließ die beiden Beamten hinaus. Jutta sah Dominik an.

      „Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?“, fragte sie ihn.

      Dominik sah sich kurz um, dann sagte er leise: „Markus und seine Freunde sind gern um die Häuser gezogen, haben Billard gespielt und Darts. Manchmal haben sie auch ein wenig zu viel