das ist ein möglicher Ansatzpunkt, Toni. Bleib auf jeden Fall an ihm dran. Doch wie steht es mit deinen Ermittlungen in Delaware? Hast du dort schon etwas unternehmen können?«
Toni Scapia schnaufte hörbar.
»Die Adresse dort erbrachte bislang recht wenig. Sie gehört einer sehr großen Kanzlei, die mit Sicherheit zehntausende von Scheinfirmen für ihre Kunden repräsentiert. Dieses Büro zu unterwandern ist in meinen Augen wenig sinnvoll. Es käme einer weiteren Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich.«
»Und was schlägst du stattdessen vor?«
Der Tonfall von Jules Frage verriet, dass er mit einer besseren Strategie seines amerikanischen Freundes rechnete.
»Es gibt eine angesehene, mittelgroße Anwaltskanzlei in Wilmington. Sun, Heuscher & Bush heißt sie und besitzt einige Niederlassungen und Zweigstellen. Sie vertreten immer wieder US-Behörden vor Gericht. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auch für die Gründung von Scheinfirmen hinzugezogen wird.«
»Das ist durchaus möglich. Doch wie willst du das in Erfahrung bringen?«
»Du weißt, ich habe Verbindungen zu einigen eher zwielichtigen Leuten. Einer davon ist ein gewisser Michael Langtry. Er war der Chef-Buchhalter von Enrico Monti. Enrico sitzt wegen mehrfachem Anlagebetrug seit fünf Jahren hinter Gittern und wird dort noch eine lange Zeit schmoren. Dieser Michael Langtry hat sich von mir anheuern lassen. Ihn will ich entweder bei Sun, Heuscher & Bush in Wilmington einschleusen oder noch besser direkt bei einer ihrer kleineren Agenturen. Er kann dort für uns den Maulwurf spielen.«
Jules dachte einen kurzen Moment lang nach.
»Wenn er genügend verlässlich ist und dichthalten kann?«
»Ich hab ihm erzählt, um was es uns geht, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Er kennt das Risiko. Für eine Million Dollar ist er bereit, uns zu helfen.«
»Gut. Deine Entscheidung. Doch wie willst du ihn einschleusen?«
»Oh, dazu müssen wohl erst ein paar Stellen bei denen frei werden.«
»Du denkst dabei doch hoffentlich nicht an Verletzte oder gar Tote?«
»Nein, nein. Ich denke dabei an ein paar freie Stellen in meinen Büros in Miami und New York, die ich unbedingt durch Angestellte von Sun, Heuscher & Bush besetzen will. Die Angebote an die Damen und Herren werden so fabelhaft ausfallen, dass sie ihnen kaum widerstehen werden.«
*
Vicente Carrillo Fuentes hatte vorsorglich seine Los Aztecas ausgeschickt. Sie sollten einige Mitglieder anderer Banden aufspüren und töten, nur um sicher zu gehen, dass eine dem Überfall angemessene Rache verübt wurde, falls doch ein anderes Kartell hinter dem Angriff auf sein Hauptquartier stecken sollte.
Noch in derselben Nacht überfielen drei bekiffte Jugendliche ein Kino und ballerten mit ihren AK-47 wild um sich, schoben ein Magazin nach dem anderen ein, leerten sie auf die in Panik flüchtenden Zuschauer. Die Polizei zählte später acht Tote, dreiundvierzig zum Teil schwer Verletzte und über fünfhundert Einschusslöcher. Am nächsten Tag wurde das Basketball-Turnier einer öffentlichen Schule beschossen. Zwei Jugendliche von fünfzehn Jahren starben, sechs weitere wurden verletzt. An der Kreuzung Morelia und Balcón de la Nube fand die Polizei einen Morgen später vier Männer in einem völlig zerschossenen Mercedes Cabriolet. Sie wurden als Mitglieder der Mexides identifiziert.
Der Krieg der Kartelle schien in eine neue, noch brutalere Phase getreten zu sein und etliche Polizisten quittierten noch am selben Tag ihren Dienst. Bürgermeister José Reyes Ferriz rief den Gouverneur der Provinz an und bat um die Entsendung weiterer Einheiten der Armee. Sein Hilferuf wurde umgehend an den Präsidenten Mexikos weitergeleitet.
Vicente Carrillo Fuentes ließ an diesem Morgen den Vertrauensmann der CIA zu sich rufen. Jeffrey Immels, ein stets glatt rasierter Blondschopf mit markanten Gesichtszügen und maßgeschneiderten Anzügen schien sehr aufgebracht, als er vor den Boss des Juárez Kartells trat.
»Sind Sie wahnsinnig geworden, Vicente? Sie können doch nicht die Hölle entfachen und haufenweise Unschuldige umbringen, nur weil irgendjemand Ihr Hauptquartier abgefackelt hat.«
Carrillo hob beschwichtigend seine Arme, zeigte seinem Besucher die offenen Handflächen.
»Das sind bloß ein paar kleine Denkzettel, Jeffrey, die längst schon fällig waren. Kein Grund zur Beunruhigung. Die anderen Kartelle werden meine Wut verstehen und ihre eigenen Jungs zurückhalten.«
»Und warum haben Sie mich zu sich gerufen?«
»Es gibt da ein Problem. Ich suche nämlich zwei Gringos, die hinter dem Überfall auf mein Hauptquartier stecken. Ich denke, sie sind von auswärts eingeflogen worden. Ich möchte von Ihnen darum die Passagierlisten sämtlicher angekommenen und abgeflogenen Maschinen in El Paso seit dem achten Februar. Bis wann können Sie sie mir liefern?«
Jeffrey Immels biss sich auf die Unterlippe. Er wusste, dass sein Gegenüber keinen Spaß verstand, wenn er eine solche Forderung stellte. Trotzdem versuchte er einen Einwand.
»Vicente, ich verstehe ja Ihren Zorn. Doch die Passagierlisten sind geheim. Die kann ich Ihnen nicht kopieren.«
»Unsinn. Die CIA hat bestimmt Zugriff auf die Daten.«
Immels nickte.
»Das stimmt schon. Doch auf den Listen finden sich auch viele unserer eigenen Männer und die CIA hat etwas dagegen, wenn Außenstehende von möglichen Operationen der Agency Wind bekommen.«
»Sagen Sie mir nicht, die CIA wäre für den Überfall auf mich verantwortlich.«
Die Stimme Carrillo hatte einen gefährlichen Unterton angenommen und Jeffrey Immels zuckte unwillkürlich zusammen.
»Nein, selbstverständlich nicht. Davon hätte ich längst erfahren.«
»Dann gibt es auch keinen Grund, mir die Namen zu verweigern. Ihr könnt eure Leute vorher von den Listen streichen.«
Immels nickte diesmal zögerlich.
»Okay. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«
»Danke, Jeffrey, das wäre auch schon alles«, meinte Carrillo nun wieder freundlich lächelnd, ließ sogar seine blendend weißen Zähne blitzen. Doch Immels kam es vor, als blickte er auf das fletschende Gebiss eines gereizten Pumas.
März 2010
»Das ist völlig unmöglich«, die aparte Frau von Mitte zwanzig schleuderte mit einer unwilligen Kopfbewegung ihr langes, dunkelbraunes Haar über die linke Schulter zurück und starrte Detective Dasher kampflustig an, »mein Bruder war der liebste Mensch auf Erden. Und mit Sicherheit hatte er nichts mit Drogen zu tun. Völlig ausgeschlossen. Sein bester Freund starb vor sechs Jahren an einer Überdosis. Danach hat Hank sogar das Rauchen aufgegeben.«
Dasher saß bequem zurückgelehnt in seinem Bürostuhl und musterte die junge Frau mit sichtlichem Wohlbehagen. Sie war mit einem Anwalt angerückt, um bei ihm noch mehr Eindruck zu schinden. Der Mann saß allerdings recht still neben seiner Mandantin und überließ ihr das Reden.
Der Anblick der Frau war allerdings mehr als erfreulich, wie sich Dasher eingestand. Mit leicht geröteten Wangen und wütend geschürzten Lippen saß sie vor ihm und giftete ihn an. Sie hatte sich ihm als Lena Publobsky vorgestellt, die jüngere Schwester des Ermordeten. Sie lebte nach ihrer eigenen Aussage in Paris und hätte erst vor wenigen Tagen vom Tod des Bruders erfahren. Dass die Polizei den Fall nach einer kurzen Untersuchung ad acta gelegt hatte, wollte Lena Publobsky keinesfalls akzeptieren. Darum versuchte Detective Dasher sie mit eindringlichen Worten zu besänftigen.
»Miss Publobsky. Es entspricht den Tatsachen, dass Ihr Bruder mit einem vorbestraften Drogendealer eine Zeit lang zusammenlebte. Dieser Dealer wurde auch in der Wohnung Ihres Bruders verhaftet. Und am nächsten Morgen fanden wir Ihren Bruder tot in einer Gasse, mit einem Päckchen Amphetamine in der Jackentasche.