ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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fand das Kätzchen nicht. Er lockte und rief immer wieder nach dem Kätzchen, doch es kam nicht, maunzte immer leiser. Frederik holte mich rasch dazu, damit ich ihm beim Suchen half. Wir liefen durch den Schnee und tasteten uns immer näher an das kleine Kätzchen heran. Dann fanden wir es: unter einer Schneedecke. Ein kleines, gestreiftes Kätzchen mit einer weißen Nase und weißen Pfoten. Es wurde von den Schneemassen nahezu vergraben, konnte sich kaum noch rühren und war halb erfroren. Die Hinterbeine konnte es nicht mehr bewegen. Mit den steif gefrorenen Vorderbeinen versuchte es sich mit aller Mühe aus dem Schnee zu befreien und hob den Kopf in unsere Richtung. Frederik griff gleich zu und zog das kleine Tier aus dem Schnee. Wir nahmen den Kater sofort unter die Jacke und eilten mit ihm ins Haus und wärmten ihn erstmal auf. Es war ein unbeschreibliches Glück, dass Frederik gerade noch rechtzeitig das schwache Maunzen gehört hatte. Wir pflegten ihn gesund, ließen ihn kastrieren und fanden ein schönes, neues Zuhause für den kleinen Kerl.

      Natürlich blieb unsere Tierhaltung nicht nur bei Hühnern, Katzen und Hunden. Wir hatten ein großes Grundstück mit mehreren Tausend Quadratmetern. Also hatten wir nicht nur viel Platz, sondern auch viel Arbeit damit. Zwischen den alten Kiefern war es schwierig, dem Wildwuchs Einhalt zu bieten. Mit dem Rasenmäher kam man zwischen den Bäumen und dem unebenen Böden nicht richtig durch. Es dauerte daher nicht lange, bis uns die Idee kam, für die nur schwer zugänglichen Stellen im Garten kleine Schafe anzuschaffen, die sämtliche Gräser kurz halten sollten. Mit unserem Kombi fuhren wir von Berlin bis nach Fehmarn an die Küste hoch, um von einer Züchterin sechs Minischafe der alten deutschen Nutztierrasse Skudde zu adoptieren. Einen Pferdeanhänger hatten wir nicht und auch keine Anhängerkupplung am Auto, um einen Anhänger zu leihen. Da diese Schafe kaum größer als ein Hund sind, dachten wir uns, dass sie sicherlich auch in einem Kombi zu transportieren wären. Wir adoptierten eine schwarze Zippe mit zwei bunt gescheckten Lämmchen und einen wunderschönen, roten Bock mit geschwungenen Hörnern, die sich wie bei einem Widder rund um die Ohren zu drehen schienen. Zwei grau gescheckte, junge Schäfchen rundeten die Zahl von sechs gut auf. Und sie passten allesamt ins Auto. Wir klappten die Rücksitzbank um und kleideten die Ablagefläche gut aus. So fuhren wir, frisch gebackene und stolze Besitzer von sechs niedlichen Skudden, wieder zurück in Richtung Berliner Umland. Die anderen Autofahrer staunten sicherlich nicht schlecht, als sie während ihres Überholvorgangs in ein verwundertes Schafsgesicht blickten, welches ihnen beim Blöken die Zunge rausstreckte. Die Schafe zogen gleich neben den Hühnern in den nun dafür hergerichteten, ehemaligen Holzunterstand ein. Sie konnten den ganzen Tag zwischen Stall und Auslauf wählen und bekamen auf Zuteilung die große Wiese vor unserem Haus zum Grasen. Da alle unsere Tiere den Status eines Haustieres haben und auch dementsprechend von uns behandelt werden, dauerte es natürlich nicht lange, bis wir die Schafe gezähmt hatten und sie uns über das Grundstück hinweg überall hin folgten.

      Die Arbeit als Tierpsychologin und Tierverhaltenstherapeutin war von Kindesbeinen an mein Traumberuf. Als ich im Alter von 11 Jahren das erste Mal von diesem Beruf hörte, war mir klar, dass ich genau das später einmal werden möchte. Schon damals begann ich, für dieses selbst zu finanzierende Studium mein Taschengeld zu sparen. Ob Autowaschen, Hunde ausführen, Babysitten oder Zeitung austragen, ich nahm nahezu alle Jugendarbeiten an und sparte eisern jede einzelne Münze. Auch in der Schule war ich von jenem Augenblick an sehr motiviert und wollte gute Noten schreiben. Nach Beendigung der Schulzeit suchte ich mir einen soliden Ausbildungsplatz und entschied mich für einen Kaufmännischen Beruf. Nachdem ich meine Lehre zur Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten absolviert hatte, nahm ich das Studium in Angriff. Mein Leben war auf dieses Ziel ausgerichtet, und nach jahrelangem Fleiß erfüllte sich mein Traum endlich. Durch die stattliche Größe unseres Grundstückes hatte ich nun die Möglichkeit, meine eigene Hundeschule zu eröffnen. Parallel dazu bot ich auch Hausbesuche an, denn meine Schwerpunkte lagen nicht nur in der Hundeerziehung und -haltung, sondern auch bei anderen Haus- und Heimtieren wie Katzen und Pferden. Da ich auch staatlich geprüfte Papageienzüchterin bin, reichte mein Behandlungsspektrum vom Wellensittich bis zum Pferd.

      Eines Tages kam ein Havaneserzüchter zu mir, um meine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er hatte einen kleinen, jungen Rüden, der sich auf Ausstellungen einfach nicht auf dem Richtertisch präsentieren wollte. Der kleine Hund war ein vielversprechender Nachzuchtrüde, doch aufgrund seiner Angst und Unsicherheit bekam er nie die für die Zucht nötigen Wertnoten. Als er meine Schäfchen im Garten grasen sah, fragte er mich plötzlich, ob ich nicht noch ein kleines Pony haben wollte. Er besaß ein kleines Pony, aber wusste nicht, wohin damit. Niemand würde es haben wollen. Als Minishetty sei es als Reitpony ungeeignet, und zwischen den kleinen Schafen würde das Pony doch gar nicht auffallen. Zunächst musste ich lachen, da dieser Gedanke so lustig erschien. Als ich aber merkte, dass er es wirklich ernst meinte, besprach ich diese Idee am Abend mit Frederik: „Wir können es uns ja mal anschauen…“ Und so kam es, dass bald ein kleines, bunt geschecktes Minipony mit dem klangvollen Namen Donatella zwischen den Schafen stand. Donatella wechselte grad ihr Fohlenfell und war völlig verfilzt. Der Halter war sichtlich mit der Haltung des Ponys überfordert. Es brauchte einige Tage, bis ich sie in mühsamer Kleinarbeit mit einer Nagelschere von den starken Verfilzungen befreit hatte.

      Für mich war es schon immer wichtig, dass jedes Tier artgerecht und glücklich gehalten wird. Uns war von Anfang an klar, dass ein Pony nicht alleine zwischen Schafen gehalten werden sollte. Wir sahen uns also nach einem passenden zweiten Pony um, damit Donatella nicht alleine leben musste. Es dauerte zwar leider ein paar Wochen, aber dann fanden wir an der Nordseeküste eine Miniponyzüchterin. Kurz darauf zog der kleine Tim bei uns ein. Timmys Umzug zu uns war ebenso abenteuerlich wie der Umzug der Schafe, denn wir hatten nach wie vor keinen Pferdeanhänger. Donatella wurde uns von ihrem Besitzer gebracht, aber wie sollten wir den kleinen Tim zu uns holen? Wir überlegten, dass wir ihn ebenfalls mit dem Kombi abholen könnten, denn schließlich war das Pony nicht größer als ein Schäferhund und auch nicht größer als ein Schaf. Den Kombi verkleideten wir innen mit festen Brettern, bauten eine Art stabile Box in das Auto hinein und legten alles ordentlich mit rutschfesten, wasserfesten Matten aus. Wir polsterten alles noch mit Stroh und Heu. Was unser Kombi in seinem Leben schon alles transportiert hatte, könnte sicherlich ein eigenes, amüsantes Kapitel füllen.

      Unser Alltag auf dem Hof wurde nach und nach teils zufällig gewollt, wie die Ponys, und teils zufällig ungewollt mit neuem Leben gefüllt. Unser vorheriges Stadtleben wandelte sich mit jedem Tier, das bei uns einzog. Unser Lebenswandel änderte auch unsere Sichtweisen und Prioritäten.

      Selbst heute erinnere ich mich noch gut an den Anruf, als Frederik und ich gerade beim Einkauf waren. Der benachbarte Tierschutzverein, mit dem wir bereits öfter bezüglich der Kitten zusammenarbeiteten, war am Telefon. Die Mitarbeiterin war verzweifelt und meinte, wir wären ihre letzte Hoffnung. Ein kleines Rehkitz wurde gefunden und sie würden dringend eine Pflegestelle benötigen. Wir wussten noch gar nicht so recht, was da auf uns zukommen würde, doch wir sagten selbstverständlich sofort zu, das Kitz zu übernehmen. Wir ließen alles stehen und liegen und fuhren gleich zum vereinbarten Treffpunkt. Von nun an waren wir Eltern eines verlassenen Rehkitzes. Die passenden Informationen zur Aufzucht von Rehkitzen zu erhalten, stellten wir uns wirklich einfacher vor. Es war mühsam, im Internet etwas anderes als Rezepte für Rehbraten zu finden. Angebliche Ansprechpartner gaben lieber Auskunft über saftige Strafen und Belehrungen über Wilderei, als dass sie einen nützlichen Rat für uns hatten. So mussten wir uns alles Wissen und die Handhabung selbst aneignen, um diesem und anschließend noch zwei weiteren Kitzen in diesem Jahr, eine gute Pflegefamilie sein zu können. Uns war klar, dass es wie uns, auch tausend anderen Menschen jedes Jahr gehen muss, die mit einem wilden Findelkind konfrontiert und mit den daraus resultierenden Problemen allein gelassen werden. Diesen Umstand fanden wir mehr als bedauerlich. Aus dieser Not heraus entwickelten wir unsere Rehkitzrettung. Über eine Internetseite und eine Notrufnummer konnte man uns fortan kontaktieren, um Rat und Informationen zu erhalten, ohne böse Vorwürfe oder Drohungen befürchten zu müssen.

      Ich bin der Ansicht, dass richtiges Handeln und richtiges Verhalten durch richtiges Wissen entsteht. Natürlich sterben immer noch viele Tiere aufgrund der „Das-habe-ich-nicht-gewusst-Krankheit“. Doch genau aus diesem Grund ist Aufklärung so wichtig. Viele Menschen sammeln ein scheinbar verlassenes Rehkitz oder auch ein Feldhäschen ein, weil sie glauben, dass die Mutter es verlassen hat. Der Nachwuchs von Reh und Hase wird jedoch in den