ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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an seltsamen Gestalten auch dieser Gestalt schon gekonnt und höflich auszuweichen wissen, wenn es doch zu nervig würde. Das dachte ich mir so. Doch auf dem Land ist es halt anders. Zwille kam nun täglich und war mit seiner einfachen Art auch immer irgendwie sympathisch, zwar etwas nervig und aufdringlich, aber doch irgendwie auch nett. Frederik und ich fragten uns immer wieder, warum er so nett zu uns sei und dachten beschwichtigend, das ist wohl hier auf dem Land einfach so. Zwille brachte uns häufig frisches Obst oder Gemüse aus seinem Garten mit. Er erklärte, er habe viel zu viel angebaut und seine Frau könne das ganze Zeug nicht mehr sehen. Wenn ich nicht zu Hause war, hing er es irgendwann sogar körbeweise an den Zaun oder stellte es vor die Tür. Wenn ich beiläufig in den zahlreichen Gesprächen erwähnte, dass ich Himbeeren besonders gerne mag, hingen am nächsten Tag Himbeeren am Zaun und sogar einige Himbeerpflanzen für den Garten dazu. Wenn Frederik am Sonntag eine Bohrmaschine brauchte, so brachte Zwille uns diese noch am gleichen Tag vorbei und zeigte sich immer hilfsbereit. Wir waren überwältigt und fühlten uns schon schlecht, weil wir seine nette Art so oft hinterfragten und so viel Hilfsbereitschaft nicht kannten.

      Nach und nach lernten wir dann auch den einen oder anderen Nachbarn im Dorf über den Gartenzaun hinweg kennen. So kam eines Tages ein Hinzugezogener, wie wir es waren, mit seiner Ponykutsche, die von zwei schwarzbraunen Ponys gezogen wurde, vorbeigefahren, und wir kamen über unsere Tiere mit ihm ins Gespräch. Über den neuen Kontakt freuten wir uns natürlich, war dieser Kontakt doch anders als der mit Zwille. Mit diesem Nachbarn kamen durchaus interessantere Gespräche zustande, hatte man doch immerhin durch die Tiere ein gemeinsames Thema. Zwille konnte mit Tieren nicht so gut und ich hatte bei ihm wenig zu erzählen. Es folgten wechselseitige Einladungen zu gemeinsamen Grillabenden. Der Kutscher war ehemals ein Lehrer, der aufgrund von Rückenproblemen nun in Frühpension lebte. Dass er mit seinen Rückenproblemen allerdings mit der Kutsche über die holprigen Felder hetzte wunderte mich schon, wie das ging. Er kaufte sich im Dorf ein altes Haus, in dem er mit seiner Frau lebte, und erfüllte sich so seinen Traum von zwei Kutschponys am Haus. Frühpension? Wo sind wir hier hingezogen? Sind hier alle in vorzeitiger Rente unterwegs? Es stellte sich heraus, dass auch der Kutscher Zwille kannte. Dies war unter anderem dem Umstand geschuldet, dass Zwilles Mutter gleich zwei Häuser weiter neben dem Kutscher wohnte. Es war spät am Abend und vielleicht war schon ein Bier mehr oder weniger dabei, als der Kutscher etwas angepiekst meinte, dass wir uns bloß von Zwille fernhalten sollten. „Der ist nicht ganz sauber“, meinte er. „Passt bei dem bloß auf, der ist nicht ganz normal!“ Der Kutscher berichtete von einem Vorfall, bei dem Zwille wohl über den Zaun des Kutschers gestiegen sei und ungefragt eine Leiter vom Kutscher „geborgt“ habe.

      Wir lachten über die Geschichte der „geborgten“ Leiter und wussten nicht ganz einzuordnen, ob es am Bierchen lag oder nicht. Es war ein heiterer Abend, doch diese Geschichte von Zwille begleitete uns ungewollt mit nach Hause. Den mahnenden Rat hatten wir noch lange im Ohr. „Lasst euch nicht mit dem ein!“ Doch was tun, wenn Zwille immer wieder zu uns kommt? Zudem ist Zwille zu uns doch immer nur nett. Vielleicht war es einfach ein Streit zwischen zwei alten, gelangweilten Frührentnern, die einfach zu viel Zeit hatten und zu unterschiedliche Lebensweisen? Uns war jedenfalls klar, dass da zwei unterschiedliche Welten aufeinander prallten.

      Die Zeit zog ins Land, und der Winter kam uns auf dem Land noch viel kälter vor, als wir ihn aus der Großstadt gewohnt waren. Umso ärgerlicher waren die oftmals nervigen Besuche von Zwille. Täglich kam er angefahren, obwohl im Winter die Felder im Winterschlaf liegen und keiner Pflege bedürfen. Es nervte mich schon, bei Schnee und Minusgraden am Zaun zu frieren und das mittlerweile oft sogar über Stunden. Dass Zwille über drei Stunden Durchhaltevermögen hatte, musste ich bitterkalt erfahren. Landvolk, frieren die nicht? Während ich von der Hüfte abwärts scheinbar taub gefroren war, hampelte er noch fröhlich und munter vor dem Gartentor umher und erzählte schier unaufhörlich von sich und seiner Welt. Manchmal ließ ich von meinem Handy aus, welches ich in meiner Jackentasche heimlich betätigte, das Telefon im Haus klingeln, um dann rasch ins Haus entschwinden zu können. Doch wer nun meint, ich sei Zwille damit losgeworden, der irrt. „Ach, is keen Problem, ick komm später wieder.“ Ach-Herrje! Tatsächlich war es kein Problem für ihn, später erneut aufzutauchen. Egal ob ich ihm erklärte, dass ich noch arbeiten oder die Tiere nun versorgen müsste oder oder oder. Sein Auftreten war irgendwann vereinnahmend frech und in meinen Augen unhöflich, einfach nur noch nervig. Mit Höflichkeiten kam ich hier scheinbar nicht weiter, und ich musste schon mal klarere Worte finden. Einmal sagte ich ihm, dass ich mir einfach nicht so viel Zeit für ihn nehmen könnte, wenn dafür alles andere liegen bleibt. Ich würde ja schließlich selbst mit meiner besten Freundin nicht so oft und schon gar nicht so lange plaudern wie mit ihm, das geht einfach nicht. Doch ich bin mir nicht sicher, ob er sich damit nicht sogar noch geschmeichelt fühlte, weil er scheinbar mehr Zeit und Aufmerksamkeit von mir erhielt, als meine beste Freundin. Es spitzte sich immer weiter zu, und ich kam weder mit höflichen noch mit deutlichen Worten weiter, dass seine Besuche in diesen Ausmaßen weder angebracht noch erwünscht waren. Das prallte irgendwie einfach an ihm ab.

      Eines Tages entschloss ich mich, nicht mehr an den Zaun zu gehen. Ich hatte aber auch wirklich ohnehin genug an diesem Tag zu tun und war zudem auch in schlechter Stimmung, sodass ich für Zwilles Welt an diesem Tag wirklich keinen Nerv mehr hatte. An dem Tag konnte ich mich einfach nicht dazu durchringen, brav dem Gequake von Zwille zu lauschen und meine Zeit dafür zu opfern. Ich ging also nicht nach vorne, als er auftauchte. Zwille kam einmal, er kam noch ein zweites Mal, ein drittes Mal und auch ein viertes Mal. Er klingelte am Tor und hupte sogar aus seinem Auto heraus. Dann fuhr er mit einem wilden Start rasant davon. Als er weg war, dachte mir nur „na endlich!“ Doch Zwille war so wütend über meinen Entzug, dass er nun bei Frederik auf der Arbeit anrief und ihn beschimpfte, wie unmöglich ich wäre, wie frech das von mir sei, er käme den weiten Weg zu uns gefahren und ich würde ihn einfach stehen lassen und ignorieren! Frederik war nachvollziehbar völlig überrumpelt und wunderte sich, warum ich mich so verhielt, wo Zwille doch immer so nett zu uns ist. Frederik rief mich an und redete auf mich ein, dass ich sowas doch nicht machen könne, wir würden es uns doch nicht mit denen aus dem Dorf verscherzen wollen. Es kann doch nicht so schlimm sein, wenn ich wenigstens mal „Hallo“ zu Zwille sage, wenn er mal „kurz“ vorbeikommt. „Kurz“? In mir brodelte es, wie frech es von Zwille war, einfach bei Frederik anzurufen und sich bei ihm zu beschweren, dass ich keine Zeit für ihn hätte. Als wenn Frederik auf seiner Arbeit nichts Besseres zu tun hätte. Aber viel schlimmer fand ich eigentlich die Sichtweise von Frederik. Er musste schließlich nicht „kurz“ das Gespräch mit Zwille führen und zu jeder Temperatur „kurz, für etwa drei Stunden“ draußen stehen. Aber er hatte ja irgendwie trotzdem auch Recht. Hier auf dem Land ist es halt vielleicht einfach so, da muss man sich vielleicht einfach anpassen? So war ich also wieder brav und ging zu Zwille nach vorne ans Tor und lauschte wieder den täglich gleichen Klängen. Egal wie bitterkalt es auch war, ich hatte stets lieber draußen gefroren, als Zwille ins Haus einzuladen.

      Ein paar Tage später kam Frederik mit schlechter Laune nach Hause, irgendwie war es wohl ein stressiger Arbeitstag. Einen stressigen Tag hatte ich allerdings auch, ich war mal wieder steif gefroren und konnte kaum die Finger beugen vor Kälte. Der Haushalt kam an dem Tag auch etwas „kurz“. Frederik war muffelig, als er sah, dass ich die Wäsche noch nicht erledigt hatte und fragte mich zynisch, was ich denn den lieben langen Tag so machen würde. Tick Tick Tick – Boom! Da platze mir die Hutschnur inklusive Geduldsfaden und ich konterte ebenso zynisch zurück, dass ich mich, wie er es von mir immerhin verlangte, brav die ganze Zeit mit Zwille unterhalten hatte! Zack – Ruhe!

      Mit der Zeit konnte ich sogar schon das Motorengeräusch von Zwilles Wagen von dem Geräusch anderer Autos gut unterscheiden. Bereits von Weitem erkannte ich es und nutzte, sofern es mir möglich war, den Vorsprung, um ins Haus zu verschwinden oder einfach das Weite zu suchen. Manchmal sprang ich schnell ins Auto und tat so, als würde ich gerade zufällig jetzt wegfahren müssen. Wenn ich dann zurückkam hing wieder etwas am Zaun, mal kleine Pflanzen, mal Obst oder Gemüse. Dann hatte ich schon wieder ein schlechtes Gewissen, dass ich mich eigentlich so mies gegenüber Zwille verhielt. Doch das schlechte Gewissen musste mich nicht lange quälen, denn kaum war ich zurück, kam Zwille ja schon wieder angefahren. Diese Zufälle kamen mir ab und an schon gruselig vor. Beobachtete er mich etwa? Ich wischte diesen Gedanken rasch weg. Solch ein Unsinn, das ginge ja