ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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in dem großen Hundebett gemeinsam zu kuscheln oder gemütlich durchs Haus zu schlendern, auf der Suche nach interessanten Objekten. Er „beschäftigte“ sich mehr mit ruhigeren Dingen. Den Wäschekorb zum Beispiel bis zur letzten Socke auszusortieren und die Kleidungsstücke dann im Haus zu verteilen. Sogar hinter der Toilette fand ich einmal eine Unterhose oder in der Dusche ein T-Shirt. Erst, wenn der Korb komplett geleert und umgeworfen war, ging es an die Küchenschränke oder auf die Fensterbänke, um nach draußen zu schauen.

      Herrmann hatte einen schlechten Start in seinem bis dahin noch kurzen Leben. Er war bereits drei Wochen alt, als er zu uns kam, aber hatte die Körpergröße und das Gewicht eines frisch geborenen Lammes. Herrmanns Mutter hatte aufgrund mangelhafter Versorgung keine Milch und die Besitzer versuchten Herrmann und das Geschwisterchen mit H-Kuhmilch aus dem Tetrapack aufzuziehen. Sie machten sich hierbei leider nichtmal die Mühe, die Milch wenigstens zu erwärmen. Es versteht sich von selbst, dass dies keine geeignete Lämmeraufzucht ist. Wenn zudem die falsche Milch noch kalt gereicht wird, bekommt das Lämmchen unbeschreibliche Bauchschmerzen. Die Lämmchen kümmerten vor sich hin und waren dem Tod näher als dem Leben. Als am Morgen das Geschwisterchen von Herrmann tot im Stall lag und Herrmann keine Milch mehr annahm, durfte ich das im Sterben liegende Herrmännchen abholen. Der kleine Fratz war eiskalt, nahezu regungslos, als ich ihn auf den Arm nahm. Rasch öffnete ich meine Jacke ein Stück, um ihn darunter mit meiner Körperwärme etwas aufzuwärmen. Er war so klein und so schwach, blinzelte mich aber noch trotz völliger Entkräftung mit seinen halbgeschlossenen Augen unter der Jacke hervor an. Sein dunkelbraunes Gesicht war mit einer breiten, weißen Blässe durchzogen. Seine kleine, rosafarbige Nase war blass, nahezu blau gefroren und von den zwanghaften Fütterungsversuchen der Besitzer mit alten Milchresten verschmiert. So wie Nathalie weiß-schwarz gefleckt war, so war Herrmann dunkelbraun-weiß gefleckt. In dem weißen Rückenfell sah ich ein paar Haarlinge umherkrabbeln, die ihm zusätzlich zu schaffen machten. Bei den Beinen war ich mir noch nicht sicher, ob sie eigentlich weiß waren oder tatsächlich dunkelbraun. Unter dem Schmutz war das nicht zu erkennen.

      Später zeigte sich, dass eigentlich fast der ganze Körper weiß war, nur Hals und Kopf waren braun. Der Rest war abwaschbar.

      Als erstes musste er wieder auf eine gute Körpertemperatur gebracht werden und etwas körperwarme Infusion bekommen. Es brauchte gut sechs Wochen, bis wir Herrmann als wirklich stabil bezeichnen konnten und uns sicher waren, dass wir ihn durchbekommen würden. Unser Leben drehte sich um diese kleinen Tierchen, wie sich vielleicht anderswo das Leben um den eigenen Nachwuchs dreht. Die Tage waren voller Sorgen um das Wohl der Kleinen, aber dennoch von unbeschreiblichen Glücksgefühlen erfüllt, wenn sie wieder einen Tag näher an ein unbeschwertes Leben heranrückten.

      Die Küchenfronten sicherte ich mittels Kindersicherungen und die Blumen rettete ich rechtzeitig von den Fensterbänken.

      Ohne Zweifel war es eine aufregende und auch aufreibende Zeit, aber unter keinen Umständen möchte ich diese außergewöhnlichen Erlebnisse in meinem Leben missen. Sobald das Babyställchen im Wohnzimmer wieder sauber und mit frischem Stroh weich aufgebettet war, war das Schlummerland für Nathalie und Herrmann auch nicht mehr weit entfernt.

      Mit dem Schlaf der Zickelchen kehrte dann auch wieder etwas Ruhe im Haus ein. Den beiden beim Träumen zusehen zu können, war ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück.

      Endlich zogen sich Schnee und Frost zurück, die Zickleins zogen in den Stall um und der Frühling mühte sich damit, endlich warme Tage folgen zu lassen. An einem schönen, sonnigen Tag war es dann soweit: Unsere kleine Ziegengruppe sollte ihre Jahresimpfung und eine Entwurmung bekommen. Der Tierarzt war zum vereinbarten Termin gekommen, und wir wollten nur noch rasch das genaue Vorgehen besprechen, bevor sich der Tierarzt im Stall zeigt und somit die Tiere in Schrecken versetzt.

      Die Ziegen kannten den Tierarzt nun schon genau, denn wer ihnen einmal eine Spritze gibt, wird so rasch nicht vergessen. Obwohl er es mit den Tieren immer gut meinte, hatten die Ziegen eine ganz eigene Meinung von ihm. So musste sich der Übeltäter nur zeigen, allein seine Stimme verriet ihn bereits von Weitem, und die Ziegen wussten sofort, dass wir einfach nichts Gutes im Schilde führen können, wenn dieser Mann mit im Stall auftaucht. Also entschieden wir uns, vorab alles Wichtige nicht im Stall, sondern noch im Garten zu besprechen, um die Ziegen nicht zu beunruhigen.

      Wir standen vor dem Küchenfenster und unterhielten uns, als unser Gespräch durch das Klingeln meines Telefons unterbrochen wurde. Als ich es ans Ohr nahm, ertönte umgehend lauthals und zornig Zwilles krächzende Stimme: „Wat ist dit denn für ein Typ, der da neben dir steht“, krawallte er mir entgegen. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah und sah mich verdutzt um, ohne auch nur etwas aus Verwunderung äußern zu können. Der Tierarzt und ich befanden uns vor dem Küchenfenster des Hauses, an einer Position auf dem Grundstück, welche von allen Seiten her von außen nicht einsehbar war. Von der Straße aus hätte uns niemand dort stehen sehen können, da das Haus die Sicht auf unseren Standort verdeckte. Ringsum war zudem kein öffentlicher Zugang, welcher einen Blick auf unseren Garten erlaubt hätte. Nach hinten vom Grundstück weg, also rückseits des Hauses, befand sich nur unser eigenes Grundstück. Es war für mich also völlig unerklärlich, wie Zwille „den Typen“ überhaupt neben mir hätte stehen sehen können. Ich sah mich immer noch verstört um, als Zwille nachlegte und weiter schimpfte: „Du brauchst jar nich lügen, ick sehe dir und den Typen janz jenau!“ Er brüllte so laut ins Telefon, dass der neben mir stehende Tierarzt problemlos alles mithören konnte. Er schien in dem Moment wohl darüber nachzudenken, in welche Situation er nun hineingeraten sein könnte. Das ging so nicht und ich fragte Zwille, was ihm einfallen würde und wo er jetzt gerade sei. Zwille prahlte damit, dass er sich auf unserem Grundstück hinterm Haus befinden würde, natürlich rein zufällig. Da stand er nun auf einem kleinen Hügel, zufällig mit dem Fernglas in der Hand, um besser sehen zu können. Das war doch kaum zu fassen, und ganz ehrlich, das ging mir auch wirklich zu weit. Während es sich anfühlte, als wenn ich vor dem Tierarzt gleich vor Scham im Boden versinken würde, zog ich einen ernsten Ton bei Zwille an. Ich gab ihm höfliche, aber deutliche Worte mit auf den Weg, dass ich das definitiv nicht gut finde. Dass, wenn mein Freund Frederik sowas machen würde, ich schon die Ohren anlegen würde, aber was würde Bitteschön IHM einfallen, auf unserem Grundstück zu stehen und mir nachzustellen? Zwischen Empörung und Anflug von Wut war ich wirklich hin- und hergerissen und sagte zu Zwille, dass es ihn doch gar nichts angehe, wer hier zu Besuch kommt und er solle sich nicht ungefragt auf unserem Grundstück rumtreiben! Nun wurde Zwille etwas kleinlauter, und seine Stimme wurde deutlich zurückhaltender: „Na, ick wollt ja nur auf dir aufpassen…“, stammelte er. „Nein, aufpassen kann ich sehr gut auf mich alleine“, motzte ich zurück. Trotzdem fühlte ich mich irgendwie dazu genötigt, ihm zu erklären, dass er beruhigt sein könne. Mein Besucher sei der Tierarzt, und er sei hier, um die Ziegen zu impfen, also kann er sich nun von unserem Grundstück entfernen. Mit ernstem Ton sagte ich noch, dass sowas zukünftig nie wieder vorkommen sollte! Danach legte ich einfach auf, ohne ein weiteres Wort von Zwille abzuwarten. Warum hatte ich mich gerade dafür gerechtfertigt, wer hier jetzt bei mir war? Sofort ärgerte ich mich über mich selbst. Warum hatte ich mich ihm gegenüber überhaupt erklärt? Aber viel Zeit blieb nicht, die Ziegen sollten behandelt werden und ich wollte den Tierarzt und auch mich aus dieser blöden Situation so rasch wie möglich herausnehmen und zur Tagesordnung übergehen.

      Es war das erste Mal, dass ich doch etwas ernsthafter darüber nachdachte, dass Zwilles Verhalten so nicht normal sein kann. Landleben hin oder her, aber diese Aggression und Wut darüber, dass ich auf meinem Grundstück mit einem für ihn fremden Mann eine Unterhaltung führe, das war in meinen Augen völlig daneben. Was hatte er überhaupt auf unserem Grundstück zu suchen, und warum beobachtete Zwille mich, und dann noch mit dem Fernglas? Obwohl es mich doch sehr ärgerte, verdrängte ich diesen Gedanken und dachte, dass ich mich am Telefon wohl so unmissverständlich ausgedrückt hatte, dass es nun sogar Zwille verstanden haben sollte, dass er übers Ziel hinausgeschossen war. Es vergingen ein paar Tage, und für Zwille schien alles wie gehabt. In den weiteren Kontakten thematisierte ich diesen Vorfall nicht weiter, aber es lag mir noch deutlich im Magen. Zwille hingegen hing mir weiter seine Radieschen an den Zaun, brachte wieder Obst und Gemüse, wann immer er konnte. Ich nahm an, dass er es aus einem schlechten Gewissen heraus tat und dies seine Art der Entschuldigung war. Also