ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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vor Schreck aus. „Das ist ja ein Schaf“, begann sie zu lachen und wollte sogleich Dolly streicheln.

      Im Laufe der Zeit fanden wir glücklicherweise auch die passenden Tierärzte auf dem Land, welche auf Hoftiere spezialisiert waren und auch zu uns nach Hause kamen. Auch Schafe und Ziegen benötigen regelmäßige Impfungen, Wurmkuren und tierärztliche Kontrolluntersuchungen. Warum ich Ziegen aufzähle? Nun, weil unsere kleine Familie stetig wuchs und wir auch ein paar Ziegen bei uns aufnahmen. Die Ziegen konnten wir vor der Schlachtung bewahren und aus einer schlimmen Haltung herausholen. So bekamen wir zwei erwachsene Milchziegen und immerhin sieben kleine Flaschenlämmchen, die noch mit der Flasche aufgezogen werden mussten. Die kleinen Flaschenlämmchen bekamen mehrfach am Tag ihre warme Milchflasche. Die Mütter der Lämmchen wurden für kommerzielle Ziegenmilchproduktion gehalten, und die Lämmer sind für die meisten Produzenten einfach nur ein Abfallprodukt, welches sich schlecht vermarkten lässt. Sie sollten auf den Transport für die Resteverwertung geschickt werden. Im letzten Moment konnte ich zumindest sieben von über vierhundert dieser kleinen Zicklein abkaufen und zu mir nehmen. Die beiden großen Milchziegen hatte ich aus einer richtig schlechten Haltung abgekauft. Beide Ziegen standen hochtragend, also schwanger, in einem völlig verdreckten Verschlag. Die Ziegen versanken bis zu den Knien im eigenen Dreck. Der Pferch, in dem sie beide standen, hatte gerade mal die Größe von einem Meter Breite mal zwei Meter Länge. Eine Fläche so groß wie ein Einzelbett wurde für zwei dickbäuchige, schwangere Ziegen genutzt. Wie so oft wurden die Tiere in einem Nebengebäude gehalten. Ohne Tageslicht, dunkel und nasskalt war es da drinnen und die Luft war stickig und ätzend. Die Ziegen standen im eigenen, von Urin durchnässten und matschigen, Kot. Mir trieb es die Tränen in die Augen. Dort fristeten die beiden Ziegen dicht gedrängt nebeneinander ihr Dasein. Die Geburten ihrer Lämmchen standen kurz bevor und die dementsprechend dicken Bäuche wölbten sich weit zu beiden Seiten. Die zwei konnten sich kaum drehen geschweige denn sauber ablegen, um ihre Lämmer auf die Welt zu bringen. Nach ein paar Verhandlungen mit den Besitzern war ich um zwei hochschwangere Milchziegen reicher. Der Tierarzt hatte an uns also einen guten Kunden gefunden.

      Wenn ich morgens nun meine Stallrunde startete, blickten mich ab sofort zusätzlich mehrere Ziegenäuglein erwartungsvoll an. Einige in Erwartung von warmer Milch und andere in Erwartung, dass vielleicht gleich etwas Schreckliches geschehen könnte. Immerhin sind Menschen diesen Tieren nicht immer freundlich und gutherzig gegenüber gewesen. Mit einem Namen für jede Ziege sollte nun auch ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Sie waren keine Nummern mehr, die ihnen mit einer Plastikmarke betäubungslos in die Ohren gestanzt wurden. Sie waren, wie es die Namen verrieten, geschätzte, kleine Persönlichkeiten, die ab sofort zu uns gehörten. Es dauerte eine Weile, bis die trächtige braune Alma sich auch nur annähernd angstfrei in unserer Nähe wieder zu atmen traute. Immer wieder stand sie mit angsterfüllten, weit aufgerissenen Augen in der Ecke und gab schnaufende Grunzgeräusche von sich. Bei Ziegen ist dies ein Zeichen von Unwohlsein und Unsicherheit. Zu Alma bekam ich erst einen annähernden Kontakt, als ich ihr Geburtshilfe bei ihren Lämmchen leisten musste. Sie blieb zwar noch über Monate zurückhaltend und skeptisch, aber wir konnten uns zumindest mit Leckereien im Stall blicken lassen, ohne dass sie vor lauter Angst das Atmen einstellte. Die cremeweiße Ziege nannten wir Emma. Mit den passenden Leckereien war sie für Bestechungen wesentlich empfänglicher als Alma und schneller zugänglich. Ihre Lämmchen kamen nur wenige Tage vor Almas Lämmchen auf die Welt und für die Geburtshilfe schien Emma sehr dankbar zu sein.

      Es war ein wunderbares Erlebnis, die Geburten der Lämmer zu begleiten. Wenn sich die kleinen Lämmchen mit großen Kulleraugen in einer großen, weiten Welt plötzlich wiederfinden und mit großen Kulleraugen um sich blicken, wackelig und zitternd die ersten Stehversuche unternehmen.

      Wenn so kleine freche Ziegen ihre Welt erkunden, ist Spaß vorprogrammiert. Frederik begann den Ziegenstall umzubauen. Es machte uns richtig Spaß einen Stall zu konstruieren, der selbst bei schlechtem Wetter den Ziegen ausreichend Platz und Spielspaß bieten würde. Da wir die Grundfläche nicht erweitern konnten, baute Frederik kurzerhand eine zweite Etage mit Treppenpodesten und einem Dreietagenturm mit Ausguckfenster für die Ziegen. Einer Galerie, von der sie in den unteren Stall hinuntergucken konnten und Schlafboxen in verschiedenen Stallabteilungen, sodass die Ziegen auch ihre Rückzugsplätze fanden, wenn sie ihre Ruhe haben wollten.

      Ziegen sind ebenso wie Menschen soziale Lebewesen und brauchen ihre Rückzugsmöglichkeiten und sogar etwas Privatsphäre. An die Eingänge der Schlafboxen hingen wir deshalb jeweils noch eine Decke davor. Somit waren die Schlafboxen nicht nur ein Stück weit separiert, sondern sie waren zudem besonders im Winter kuschelig warm. Auf den Boxen fanden die Ziegen eine schöne, begehbare Aussichtsplattform, von der sie entweder aus eines der Fenster hinausgucken oder sich einen besseren Überblick über die benachbarte Stallbox verschaffen konnten. Unser Ziegenstall verfügte natürlich auch über eine separate Krankenbox, falls eine Ziege Rotlicht oder besondere Ruhe benötigte. Aber meist standen alle Türen offen, sodass die Ziegen sich im kompletten Stall frei bewegen konnten. Wie es der kleinen Ziegenseele gerade beliebte, konnte sie entweder im Stall umhertoben oder durch die Ziegenklappe in den Ziegenauslauf einen Ausflug starten. Dass der freizügige Ziegenauslauf über einen eigenen Spielplatz verfügte, muss ich wohl kaum erwähnen. Frederik fand richtig Gefallen daran, sich an den neuen Ideen für das Ziegenparadies baumeisterlich auszutoben und die Ziegen fanden einen großen Spaß daran, diese Bauwerke in Benutzung zu nehmen. Von Wackelbrettern, Balancierbalken, einem Hochhaus mit Aussichtsplattform, einer Hängebrücke oder einfach nur den begehrten Sonnenbänken. Es gab Ruhezonen und Erlebnisbereiche. Ich denke, das hatte den Ziegen wirklich gut gefallen.

      Eines der kleinen Flaschenlämmchen erhielt den Namen Nathalie. Eigentlich suchte sie sich den Namen selbst aus. Während ich einige Namen vor mir her sprach, reagierte sie plötzlich auf Nathalie. Sie mochte scheinbar den Klang des Namens und antwortete bei jedem Nathalie mit einem aufgeweckten „mh mh mh“. Schon am ersten Tag hatte sie begriffen, dass ich für ihre Milch zuständig war und begrüßte mich immer stürmisch und gierig suchend, wo ich wohl die heißersehnte Milchflasche versteckt haben könnte. Auf ihrem schwarzen Kopf wölbten sich bereits oberhalb des kleinen weißen Sterns auf ihrer Stirn ihre kleinen Hörnchen, welche zu wachsen begannen. Ihre seitlich vom Kopf abstehenden, weißen Ohren waren an den Enden etwas deformiert. Liebevoll habe ich sie immer mein kleines „Knopelöhrchen“ genannt. Als die kleinen Lämmchen zu mir kamen, war es zum Jahresanfang noch winterlich kalt. Es war sogar einer der Winter, der die Landschaft mit Schnee und Frost überzog.

      Dort, von wo ich Nathalie abholte, stand sie mit vielen anderen, von der Mutter bereits getrennten Lämmchen, in einer Box zusammen. Vermutlich war eines der anderen Lämmchen auf der Suche nach Milch und bekam immer wieder einen Ohrzipfel eines anderen Lämmchens in die Schnute. Es saugte und nuckelte vergeblich an den Ohrzipfeln, aber es kam einfach keine Milch heraus. Da die nass genuckelten Ohrspitzen nun in der winterlichen Kälte gefroren, musste Nathalie durch diese Erfrierungen ihre Ohrspitzen einbüßen. Die Ohren knickten am Ende wie ein Schlappohr ab und durch die Erfrierungen vernarbte ihr rechtes Ohr so sehr, dass die Spitze sogar komplett verloren ging. Die Sorge, dass Nathalie ihre Ohren bei den starken Minustemperaturen vielleicht sogar ganz verlieren könnte, wenn der Frost weiter in die verletzten Ohren eindringen würde, war nicht unbegründet. So entschloss ich mich, im Haus einen extra hergerichteten Kinderlaufstall aufzubauen und Nathalie mit einem weiteren desolaten Flaschenlamm solange im Haus unterzubringen, bis die starken Minustemperaturen vorüber waren. Die Hunde waren von den außergewöhnlichen Besuchern sehr angetan. Bei jeder Flaschenfütterung standen sie alle rings um die Lämmer herum und schleckten die verschüttete Milch von den Lämmerschnuten.

      Nathalie und Herrmann, das zweite Flaschenlämmchen, blieben selbstverständlich nicht die ganze Zeit über nur in dem kleinen Babystall. Sie brauchten Bewegung und ich musste täglich den kleinen Laufstall säubern können. Die Holztreppe in die erste Etage hinauf war ein Spielparadies für die kleinen, lebensfrohen Lämmchen. Nathalie hopste die Treppe hoch und wieder runter, und das Trappeln ihrer kleinen Füße hallte durchs ganze Haus. Treppe hoch und wieder runter, und wenn sie unten an den letzten drei Stufen angekommen war, wurde sie immer übermütiger und übte den Weitsprung. Mit einem gekonnten Satz sprang sie auf den Läufer, der zu ihrem Vergnügen noch ein Stück weit mit ihr darauf den Flur entlang rutschte. Herrmann war da etwas