ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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woher auch. Natürlich ist es für die Mutter schrecklich, wenn der wilde Nachwuchs „entführt“ wird, weil die Menschen es in diesem Moment nicht besser wissen. Aber auch in solchen Fällen besteht die Möglichkeit, die Babys den Müttern zurückzubringen, wenn man den menschlichen Geruch durch Einreiben mit frischer Erde überdeckt. In 80% der Fälle ist dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt. Man darf nicht vergessen, dass die meisten Menschen aus einem Gefühl der Fürsorge und Tierliebe handeln und sich bemühen, Hilfe und Informationen zu erhalten. Ich rechne es jedem hoch an, wenn er sich kümmert, selbst wenn man dabei vielleicht zunächst etwas falsch macht. Unsere Tätigkeit habe ich immer auch dahingehend verstanden, dass unsere Hilfe am Tier auch eine Hilfe am Menschen ist, genau wie umgekehrt.

      Plötzlich führten wir mit unseren Tieren ein Leben, das wir so nicht geplant hatten. Es entwickelte sich von selbst. Wenn uns jemand fünf Jahre vorher gesagt hätte, dass wir eine Tierrettungsorganisation gründen, ich meine tierpsychologische Hundeschule auf meinem privaten Grundstück führen und wir eine Zuflucht für verstoßene und verwaiste Tiere in Not aufbauen würden, so hätten wir sicherlich Angst vor all diesen Aufgaben bekommen. Doch tatsächlich wächst man mit seinen Aufgaben. All diese Tiere wollen jedoch nicht nur geliebt werden, sondern benötigen auch Futter. Die handelsüblichen Kleinpackungen an Heu und Stroh aus dem Zoofachhandel waren mit steigender Tieranzahl weder praktisch noch finanzierbar.

      Eines Tages standen auf dem benachbarten Feld große Strohballen. Da ich nicht wusste, wer der Eigentümer dieses Feldes war, band ich kurzerhand einen großen Zettel an einen dieser Strohballen fest. Ich hinterließ eine Notiz, dass wir Interesse an dem Kauf eines Ballens hätten und uns über Kontakt sehr freuen würden. Es dauerte keinen Tag, da kam der Anruf des Verkäufers. Er wollte uns einen Ballen anliefern. Somit war das Geschäft besiegelt.

      Ein verhängnisvoller Kontakt

      Am nächsten Tag lieferte uns der Hobbybauer wie vereinbart einen Rundballen Stroh für unsere Tiere. Frederik und ich empfingen ihn an unserem Gartentor. Er fuhr mit einem alten Golf II und einem kleinen, einachsigen Anhänger auf dem der Rundballen festgezurrt war, vor. Wie er diesen großen Ballen auf diesen kleinen PKW-Anhänger hinauf bekam, war mir irgendwie ein Rätsel, denn der Mann war nicht unbedingt ein athletisch oder groß gebauter Mann. Ich schätzte ihn auf Ende vierzig, vielleicht Anfang fünfzig. Seinen runden, kahlen Kopf umringten noch einige wenige, kurz geschorene und bereits grau gewordene Stoppeln. Mit geschätzt vielleicht gerade mal 169cm Körpergröße war er nicht besonders groß und für sein Gewicht definitiv etwas zu klein geraten. Seine Kleidung erzählte von seiner Arbeit. Die Jeanshose sowie das T-Shirt wirkten etwas lumpig und beansprucht, seine Füße steckten in alten und recht ausgelatschten, ursprünglich mal weißen Turnschuhen. Seiner Statur wegen nahm ich an, dass er sicherlich rein körperlich nicht in der Lage war, einen solchen großen Rundballen selbst auf den kleinen Anhänger zu hieven oder diesen mittels Rampe auf den Anhänger zu rollen. Solch ein Ballen wiegt immerhin an die 200 Kilo. Aber als Bauer, wird er sicherlich nötige Gerätschaft dafür haben, verwarf ich meine Gedanken. Wie auch immer er den Ballen auf den Hänger brachte, ich war froh, dass wir nun ausreichend Stroh hatten und nicht mehr die kleinen Packungen für den nahezu zehnfachen Preis im Handel kaufen mussten. Wir unterhielten uns noch einen Moment lang mit dem Bauern, bevor er den Ballen vom Anhänger schubste. Es war ein kurzes und belangloses Gespräch über den Gartenzaun hinweg, bei dem sich herausstellte, dass er sogar hier aus der Gegend kam. Seine sprachliche Ausdrucksweise war bodenständig und von einem starken Brandenburger Dialekt geprägt. Er wirkte dadurch irgendwie lustig und sympathisch und „gerade heraus“. Wir freuten uns, dass wir Kontakt zu jemanden gefunden hatten, der hier aus der Gegend kam. Wenn man auf dem Land neu ist, ist es doch recht schwer, Anschluss zu finden. Im Gespräch bot er uns sogleich an, dass wir ihn bei seinem Kosenamen nennen könnten, den er seiner Aussage nach wohl schon seit Kindertagen hatte. Ich musste bei seinem Kosenamen etwas lachen, da ich diesen Ausdruck als Bezeichnung für eine Steinschleuder wiederum aus meinen Kindertagen kannte und sogleich etwas Schabernack damit in Verbindung brachte. Wir nennen ihn in diesem Buch abgewandelt einfach fortan Zwille. Nach einem kurzen Plausch verabschiedete sich Zwille und verschwand mit seinem braunen Golf und dem rappelnden Einachsanhänger. „Zwille.., damit hatten wir als Kinder kleine Kiesel auf Dosen geschossen“, witzelte Frederik, als wir den Strohballen lachend und schäkernd zu seinem Bestimmungsplatz rollten.

      Von diesem Tag an bemerkte ich den alten Golf immer öfter. War ich vielleicht unbemerkt sensibel dafür, weil ich den Fahrer ja nun kannte? War mir das Auto vorher einfach nur nicht aufgefallen? Es schien merkwürdig, dass jetzt, wo das Feld doch abgeerntet war, Zwille so viel am Feld zu sehen war, wo wir bis dahin nie jemanden bemerkten. Doch mit den üblichen Tätigkeiten eines Landwirtes kannten wir uns bis dahin nicht richtig aus und waren uns sicher, es würde alles seine Gründe haben und uns zudem auch nichts angehen. Scheinbar zufällig fuhr Zwille fast täglich die Straße vor unserem Haus mehrfach auf und ab. Wenn ich genauer darauf achtete und hinüber sah, sah ich, wie er zu mir schaute und freundlich grüßte. Selbstverständlich grüßte ich zurück, das gehört sich schließlich so. Doch plötzlich wendete der Wagen ohne jegliche Verzögerung und kam zügig zu mir herangefahren. Egal wo ich mich auf unserem Grundstück auch befand, Zwille stellte sein Auto unmittelbar auf der Straße oder direkt vor unserer Einfahrt ab. Er stieg flott aus dem Auto aus und kam zu mir. Es verblüffte mich, aber ich dachte mir, „das wird hier auf dem Land halt wohl so sein“, dass man sich einfach für einen Plausch die Zeit nimmt und „breit macht“. Er verwickelte mich in unverfängliche Gespräche, fragte höflich nach, ob wir mit dem Stroh zufrieden seien und begann unaufgefordert über belanglose Dinge zu sprechen. Er erzählte viel über das Dorf, die Bewohner, dass früher auf den Feldern noch Wirtschaft mit Flugzeugen getätigt wurde und dass seine Mutter noch im Dorf wohne. Er selbst wohnte immerhin gut 25 Kilometer entfernt, also quasi drei Dörfer weiter, würde aber immer wieder seine Mutter im Dorf besuchen. Zwischen den Zeilen der belanglos wirkenden Gespräche sagte er plötzlich so ganz nebenbei, dass ich mich nicht erschrecken solle, wenn er morgen mit dem Traktor käme, um die Wiese vor unserem Haus zu scheiben. Das bedeutete, er würde sie umgraben. Er würde dort einen Acker vorbereiten. Auf meiner Stirn runzelten sich Falten. Ich konnte kaum glauben, was er da sagte. Wie? Die Wiese vor unserem Haus? Das ist unsere Wiese, die soll bitte Wiese bleiben, die könne er doch nicht einfach umgraben! Er zückte rasch einen Straßen-Atlas-Plan hervor, eine veraltete Straßenkarte, die fast keinen Zusammenhang mehr an den zerfledderten Blättern fand. Er wollte mir völlig überzeugt weismachen, dass ihm das Stück Land vor unserem Haus gehören würde und deutete mit den Fingern ständig auf die verschmutzte Straßenkarte. Ich war über die Art und Weise ein wenig amüsiert, aber auch etwas empört über seine freche Idee, blieb aber freundlich und verteidigte meinen Standpunkt, dass wir diese besagte Fläche mit dem Haus zusammen gekauft hatten und alles notariell festgeschrieben war. Es müsse sich also um einen Irrtum handeln, wenn er meinte, es sei seine Fläche. Ich sagte ihm, dass wir das auch notariell belegen können, wenn er das möchte. Wir hätten sogar eine Katasterkarte, denn der Straßenplan könne ja nur wenig über Eigentumsverhältnisse aussagen. Er winkte plötzlich ab und lenkte ein. Vielleicht wäre das doch ein Irrtum. Er würde das nochmal prüfen, bevor er die Fläche umgräbt. Ich war wirklich sprachlos über diesen Auftritt und zwischen amüsiert und verunsichert hin und her gerissen. Er würde es nochmal prüfen, bevor er die Wiese umgräbt? Er war immer noch nicht davon abgerückt, die Wiese umgraben zu wollen? Wir zogen dann recht bald einen Zaun um die besagte Fläche, die zwischen dem Haus und der Straße lag. Die Fläche misst immerhin knapp 2.500 qm und sollte als Weide für unsere Tiere dienen und nicht zum kostenlosen Acker für Zwille werden.

      Solche Ausflüge in die Kopfwelt von Zwille blieben mir, in immer kürzeren Abständen, auch weiterhin nicht erspart. Komisches Landvolk, hätte man oft denken können, aber ich wurde höflich erzogen, und einfach auf ein Gespräch nicht zu reagieren, nicht zuzuhören, das wäre ja unangebracht, oder? So benahm ich mich halt auch wohlerzogen und lauschte den phantasievollen Geschichten von Zwille, auch wenn ich eigentlich Besseres zu tun gehabt hätte. Er berichtete davon, dass er Frührentner sei, weil er einen Herzinfarkt auf dem Feld gehabt hätte. Ihm waren einige Stands und Bypässe gelegt worden. So erschreckend sich sein Schicksal auch anhörte, legte sich sogleich ein grauseliges Gefühl in meinem Bauch nieder, was nichts mit Mitleid zu tun hatte. Rentner?