ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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nicht als Witz verstehen würde? Zum einen fände ich es nicht sonderlich spaßig, dass er solche Dummheiten von sich gibt, wenn er mich da mit hineinzieht, und zum anderen sei ich mir auch sicher, dass seine Frau das gewiss auch nicht witzig fände, wenn sie sowas hören würde! Wie würde sie es wohl finden, wenn demnächst einer seiner „Kumpels“, wie er sie immer nannte, sowas gegenüber seiner Frau erzählen würde? Besonders jetzt, wo es doch so zwischen den beiden kriselte. Seine Miene wurde plötzlich wieder ernst und sogar etwas blass. Genau das meinte ich, da wäre der Spaß dann nämlich sicherlich vorbei. Zudem würde ich es nicht gutheißen, dass er solche Witze über mich macht, da ich keine Lust darauf hätte, irgendwann als „Schlampe des Dorfes“ zu gelten! Völlig verständnislos dachte ich darüber nach, warum Männer solche Witze machen. Dass Zwille in irgendeiner Weise solche Andeutung mit ernstem Hintergrund meinen könnte, ging mir völlig ab. In meiner Vergangenheit gab es hierzu auch nicht viele Erfahrungen, die mich etwas anderes hätten lehren können. Versunken in tiefe Selbstzweifel war ich meiner Empfindung nach auch nie das, was man vielleicht einen „Steilen Zahn“ nennen würde. In der Mädchenclique war ich früher irgendwie sowas wie der „Spätzünder“ und ich glaube, dass ich auch nie wirklich interessant für Jungs gewesen bin. Man könnte eher sagen, dass ich mein Leben lang immer sowas wie das "graue Mäuslein“ und ein Mitläufer am Rande war, während die beliebten Mädchen umschwärmt wurden. Dass ich als Mitläufer in der Clique überhaupt dabei sein durfte, fand ich schon klasse. Vielleicht lag es an meiner „netten“ Art. Ich war halt immer die „Nette“, die, mit der man befreundet ist. So war ich auch mit den Jungs immer gut befreundet, weil ich halt „nett“ war.

      Da stand ich mit meinen Gummistiefeln und der stallverschmutzten Hose, einer fleckigen und viel zu weiten Stalljacke, ungeschminkt und mit zerzaustem Zopf, weil die Tauben sich gerne mal auf meinen Kopf setzten und mit ihren Füßen meine Haare durcheinander brachten, währen ich die Futternäpfe füllte. Mal ganz im Ernst, das Bild einer für Männer attraktiven Frau stelle sicherlich nicht nur ich mir irgendwie anders vor. Nein, es waren keine Komplexe, es war ein realistisches Selbstbild, mit dem ich auch gut leben konnte. Aber genau dieses Bild und meine Lebenserfahrung, dass ich immer nur die „Nette" war, verschafften mir eine ungesunde Beruhigung, dass ich auf ein ungutes Bauchgefühl nicht hören müsste.

      Die erdrückende Stimmung zwischen Zwille und mir wurde für mich unerträglich. Es war mittlerweile so schlimm, dass ich nicht mal mehr ein schlechtes Gewissen bekam, wenn er mir wieder Geschenke am Zaun hinterließ. Auf dem Heimweg von einem Arbeitstermin beschäftigte mich bereits gedanklich das Zwille-Thema, ohne dass ich es bewusst hätte steuern können. Als ich linksseitig den Waldrand hinter mir ließ und der Blick auf unsere Einfahrt vor dem Haus frei wurde, sah ich bereits von Weitem etwas Rotes an unserem Briefkasten heften. Ich stellte mein Auto unter das Carport und sah einen Pralinenkasten mit einer großen, roten Schleife umwickelt an unserem Briefkasten heften. Kein Brief, kein Zettel, nur der Pralinenkasten mit der leuchtend roten Schleife. Die Pralinen drehte ich herum und schaute auch auf die Rückseite nach einem Hinweis, von wem der Kasten hier abgelegt worden sein könnte. In dem Moment, als das weiß vergitterte Eingangstor hinter mir ins Schloss fiel, klingelte mein Telefon. Die Hände voll mit Handtasche und Pralinen jonglierte ich alles etwas aufwendig umher, bis ich mein Telefon in der Tasche zu greifen bekam. Ich drückte rasch, ohne weiter auf die Nummer des Anrufers zu achten, auf „Gespräch annehmen“. „Hast de mein Geschenk jefunden?“ Ich war nicht mal zur Haustür rein, und schon war er wieder präsent. Während ich das Handy zwischen Schulter und Ohr klemmte, steckte ich zirkusgleich die Haustürschlüssel ins Schloss und versuchte zeitgleich, meine Tasche und die Pralinen nicht fallen zu lassen. Zu spät, beides rutschte mir auf die Fußmatte. „Sind die Pralinen von Dir, Zwille?“ „Ja, aber die sind nur für dir! Ick meene, nich für Frederik, nur für dir!“ Die Haustür öffnete sich, und die Hunde stürmten mir freudig entgegen. Umringt von immerhin sechs Hunden glich das nun wirklich einem Zirkusakt, meine Tasche vom Boden wieder aufzuheben, während sich eine kleine Hundemeute freudig über mich hermachte. Die Pralinen waren zwischenzeitig mit dem einzigen großen Hund der Meute im Garten verschwunden, und die Schlüssel steckten noch klimpernd in der Haustür. Das mit den Pralinen hatte sich vielleicht schon erledigt, Frederik würde sicherlich keine mehr davon bekommen. „Du, Zwille, ich muss Schluss machen, einer der Hunde hat gerade die Pralinen geklaut.“ Es ging mir nicht darum, die Pralinen zu retten, sondern darum, dass meinem Hund nichts geschieht, denn Schokolade ist für Hunde bekanntlich giftig und wenn ein verspielter, junger Hund im Gestrüpp einen kompletten Pralinenkasten verdrückt, könnte das recht ungesund werden. Die guten Pralinen, die doch NUR für mich gedacht waren. Jetzt hatte sie der Hund, samt Schleife. Nach einer kleinen Ehrenrunde im Garten hatte Etana sie unversehrt zu mir zurückgebracht. Wenn man beherzigt, dass Etana ein Rhodesian Ridgeback war, ist dies nicht unbedingt selbstverständlich. Sie war rassetypisch in vielen Dingen ziemlich eigensinnig und wirklich sehr verfressen. Unbemerkt klaute sie uns mal drei Tennissocken vom Wäscheständer und schluckte sie gierig herunter. Dass sie die Socken überhaupt verschluckt hatte, bekamen wir erst mit, als sie diese mit viel Würgen glücklicherweise wieder ausspuckte. Aber das hätte schlimm ausgehen können. Jedenfalls waren die Pralinen auch wieder da und der Hund blieb schokoladenfrei. Hatte Zwille mich beobachtet? Immerhin kam der Anruf umgehend, noch während ich die Pralinen auf dem Weg ins Haus begutachtet hatte. Hatte er meinen Tipp, Pralinen zu verschenken missverstanden? Er sollte seiner Frau Pralinen schenken, nicht mir! Mit einer kräftigen Handbewegung feuerte ich diese blöde Pralinenschachtel auf die Küchenablage, sodass die vermutlich mühsam angebrachte rote Schleife abfiel. Gut, nach Etanas Ehrenrunde im Garten hatte sie ohnehin nicht mehr viel Halt an der Verpackung. Meine immer noch fröhlich um mich herumspringenden Hunde guckten kurz zu den Pralinen, die in die Ecke flogen und schauten mich mit großen Augen an, stellten auch kurz das aufgeregte Tänzeln ein. „Wollen wir jetzt in den Garten, ein bisschen spielen?“, fragte ich aufmunternd, um ihnen den Schrecken wieder zu nehmen. Natürlich wollten sie spielen und das Hopsen begann von Neuen. Ich schnappte mir die kleine Meute und ging mit ihnen auf die Wiese, damit sie sich austoben konnten und ich einen klaren Kopf an der frischen Luft bekam.

      Wir hatten zu dieser Zeit sechs Hunde: Etana, die Rhodesian Ridgebackhündin, und vier kleine, schwarz-weiß gefleckte Hunde. Unser Rudel bestand aus zwei Rüden, Wabbe und Horst und den Mädchen Neele, Sassy und Suse. Wabbe und Neele waren meine ersten beiden Hunde, welche ich bereits in die Beziehung mitbrachte. Horst war ein Sohn der beiden, und Frederik suchte sich Horst als seinen ersten eigenen Hund aus. Sassy und Suse übernahmen wir aus schlechter Haltung, einer Massenvermehrung. Als wir sie in den Arm nahmen, war der Geruch kaum zu ertragen. Sie wurden aus einem Verschlag genommen, der nur mit Zeitungspapier ausgelegt worden war. In den alten, rostigen Gittern, welche die Hunde voneinander abtrennten, klebten verschmierte Kotreste. In dem Verschlag gab es keine saubere Stelle mehr. Selbst das völlig zerfressene Plastikkörbchen war vollkommen verdreckt. Zunächst war nicht auszumachen, welcher Farbfleck im eigentlich weißen Fell echt war und welcher nicht. Das Weiß war aber auch kein Weiß, es war durch Kot und Urin derart gelblich verfärbt, dass es sich nicht sauber waschen ließ. Auch nach mehreren Bädern blieb das Gelb einfach Gelb und musste mit dem Fellwechsel im Laufe der Zeit einfach rauswachsen. Die beiden waren so ängstlich, dass wir sie zunächst nicht weitervermitteln konnten, so blieben sie erstmal bei uns. Etana kauften wir bewusst bei einer Züchterin, damit wir für das Grundstück einen großen, beschützenden Hund hatten. Natürlich schlief Etana ebenso im Haus wie die kleinen, aber es war schon ein besseres Gefühl, einen großen Hund im Haus zu haben als nur die kleinen, drolligen und immer freundlichen Hunde, die sich über jeden Besucher mächtig freuten. Sie waren alle wachsam und meldeten mit Gebell, wenn etwas nicht normal war, aber ein kleiner Hund hat halt nicht so viele Möglichkeiten, wenn es darum geht, einen tatsächlichen Schutz darzustellen. Eine ernst guckende Etana würde man nicht so rasch ignorieren. So war zumindest der Gedanke bei der Anschaffung. Aus zwei kleinen Hunden wuchs also das Rudel zu einer Meute, und ehe man sich versah, saßen halt nun sechs Hunde abends mit uns auf dem Sofa.

      Und plötzlich war alles anders

      Am Morgen war meine Welt noch in Ordnung. Es war ein schöner, sonniger Sommertag. Nachdem ich meine morgendliche Runde durch die Ställe erledigt hatte und alle Tiere versorgt waren, spielte ich mit den Hunden im Garten. Heute würde mir wohl selbst Zwille meine gute Laune