ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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überschätzt. Nun kannte ich Zwille schon so lange und hatte so oft mit ihm gesprochen, dass ich bereits an geringster Mimik von ihm erkennen konnte, ob er launisch oder fröhlich war. Doch egal an welchem Tag er kam und in welcher Stimmung er war, ich hatte mich stets nur am Gartenzaun mit ihm unterhalten. Nie hatte ich die Intention dazu, ihn aus reiner Höflichkeit auf einen Kaffee ins Haus zu bitten oder im Sommer auf die Terrasse einzuladen. Im Grunde war das überhaupt nicht meine Art, normalerweise war ich immer sehr gastfreundlich und hatte Besucher recht gern empfangen. Selbst Handwerker wurden von mir stets mit Kaffee und Keksen versorgt, wenn sie bei uns arbeiteten. Doch bei Zwille, den ich nun schon so lange kannte und mit dem ich oft lange Unterhaltungen führte bzw. führen musste, war das irgendwie von Beginn an anders. Ihn lud ich niemals ein. Auch hielt ich ihn immer auf Abstand. Wenn ich sonst Bekanntschaften recht herzlich zur Begrüßung einfach kurz in den Arm nahm und drückte, war das bei Zwille nie der Fall. Ihn hielt ich immer auf Abstand, am liebsten mit dem Zaun zwischen uns. Zwille schien etwas besorgt, als er am Zaun auf mich wartete. Den Ärger der letzten Tage schluckte ich einfach herunter, wie so oft, und ich ließ mir nichts mehr anmerken. Eigentlich hoffte ich, dass Zwille mir heute erzählen würde, mit was er seiner Frau eine Freude gemacht hatte. Mir schwirrte immer noch der Pralinenkasten durch den Kopf. An dem Pralinen-Tag hatte ich Zwille am Telefon nicht aussprechen lassen. Vielleicht waren die Pralinen ja ein Dankeschön für einen guten Ratschlag? Doch stattdessen begann Zwille wirres Zeug zu stammeln. Er faselte plötzlich los, dass ich mich sicherlich wundern würde, warum er immer so nett zu uns sei. Ja, in der Tat fragten wir uns das immer wieder mal. Antworten wollte ich daraufhin aber nicht. Zudem nahm ich an, dass er ohnehin keine Antwort von mir erwartete. Er redete weiter, dass er in Wahrheit alles nur für mich machen würde, nicht für den Frederik, sondern nur für mich. Sogar die Hausmeisterstelle auf dem Nachbargrundstück hätte er nur wegen mir angenommen, um dadurch mehr in meiner Nähe sein zu können. Er würde das Rasenmähen auf dem verlassenen Nachbargrundstück hassen, aber für mich würde er das gerne tun. Die Hallen hätte er nur für mich besorgt, um mir eine Freude zu machen. Er wollte die Hallen von Anfang an nicht haben, die wollte er nur für mich besorgen. Selbst wenn ich etwas dazu erwidern wollte, es ging nicht. Kein Wort brachte ich heraus und wusste dazu auch gar nichts zu sagen. Eigentlich erwartete ich zu hören, was er für seine Frau getan hatte, und nun zählte er auf, was er alles für mich getan hatte. In dem Augenblick konnte ich meine Gedanken nicht richtig sortieren, es gab keine passenden Worte dazu, und er hörte auch nicht auf zu reden. Es wurde immer schlimmer. Zwille meinte plötzlich zu mir, dass ich wie seine verstorbene Ex-freundin aussehe und sie sei immerhin seine ganz große Liebe gewesen. Es fühlte sich an, als wenn mir die Luft abgedrückt würde, als läge ein riesiger, kalter, schwerer Stein auf meiner Brust. Das war eine so unheimliche Aussage von Zwille, bei der mir gleich tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Verstorbene Ex-freundin? Woran starb sie denn? Ach weh, eigentlich so traurig, dass er mir gerade wieder leidtun könnte, aber wie war das, dass ich so aussehe wie sie? Er wird doch wohl nicht sie auf mich projiziert haben? Noch bevor ich meine Gedanken überhaupt sortieren konnte, plapperte er unaufhörlich weiter. Als er mich das erste Mal gesehen hatte, als er den Strohballen zu uns brachte, da hätte ich ihn angelächelt und er hatte sich genau in diesem Moment unsterblich in mich verliebt, total in mich verguckt. Seither könne er die Finger nicht mehr von mir lassen. Er hätte sich sofort in mein Lächeln und in mich total verknallt. Das war der Knall, der mich nun wachrüttelte, und ich konnte nicht mehr still bleiben. Seinen Redefluss musste ich eilig stoppen, mehr wollte ich gar nicht hören, und ich wollte nicht wissen, was er noch zu sagen hatte, ich sprang ihm ins Wort. Eigentlich fehlte mir die Luft, um ihm zu entgegnen, aber das wollte ich nicht hören. Er musste sofort aufhören, solche Sachen zu sagen. Zunächst hauchte ich ihm erstmal seinen Namen entgegen, um einen Moment zum Nachdenken zu bekommen. Da ich seine cholerische Art kannte, war nun Fingerspritzengefühl gefragt, schließlich wollte ich ihn weder verletzen noch bloßstellen. So nahm ich zunächst die Schuld auf mich, dass es mir leid täte, dass ich keine Ahnung von seinen Gefühlen gehabt hätte. Auch, dass seine Exfreundin verstorben sei, täte mir sehr leid, aber ich würde hoffen, dass ihm trotzdem bewusst sei, dass ich nicht seine Exfreundin bin. Er hätte in seiner Ehefrau auch eine tolle Frau gefunden, die schließlich gut zu ihm passt, und gleichgültig welche Höhen oder Tiefen man im Eheleben auch durchlebt, mit ihr hätte er eine Partnerin gefunden, die ihm eine Familie bietet. Doch das wollte er gar nicht hören und fuhr mir hastig ins Wort: „Für dir würd ick meine Frau verlassen! Der Junge is nu schon groß, nix hält mich mehr bei der! Der Bengel is eh nich meener! Die hat keene Bedeutung für mir!“ Zwille lief am Zaun auf und ab, und ich ging einen Schritt zurück. „Ick kann die Finger nich mehr von dir lassen!“ Er redete sich gerade um Kopf und Kragen, und ich fiel ihm wieder ins Wort. Es würde mir wirklich schrecklich leidtun, wenn er falsche Hoffnungen gehegt hätte, aber ob er nun verheiratet sei oder nicht, ich sei mit Frederik zusammen und hätte wirklich nicht ansatzweise die Gefühle, wie er sie anscheinend für mich hat. Zwille schnaufte und lief unruhiger umher, wurde im Ton plötzlich ruppiger und fast schon trotzig: „Wenn ick dir vor zehn Jahrn kennenjelernt hätt, dann hätte der Frederik dir sowieso nie jekricht. Dafür hätt ick jesorgt!“ Was Zwille mir da so an den Kopf knallte, machte mich sprachlos. Ich hatte so viel Kopfkino und Gedankenstürme zu bewältigen, dass ich schlichtweg damit überfordert war. Zum einen war ich regelrecht empört darüber, dass ich hier überhaupt nicht gefragt wurde, ob ich Zwille überhaupt hätte haben wollen, dass er es einfach ignorierte, dass ich seine Gefühle überhaupt nicht teilte. Mir drängten sich Bilder von den Neandertalern auf, wie die Urmenschen sich ohne zu fragen eine Frau schnappten und an den Haaren in eine Höhle zerrten. Zwille war ohne Zweifel ungebildet und primitiv, aber nun rutschte er auf ein ungekanntes Niveau ab. Neandertaler. Was bildete er sich hier ein? Und was sollte das mit den zehn Jahren? Weder vor zehn Jahren noch jetzt wäre Zwille mit seiner Art und Weise ein Partner für mich. Dieses Grobe, dieses Prollige, der hohe Altersunterschied und einfach das ganze „Zwille-Sein“. Er war ja nicht mal tierlieb! Nein, in mir sträubte sich alles und ich spürte, wie ich immer weiter vom Zaun wich und mein Körper sich immer weiter von ihm wegdrängte. Halt, stopp! Das musste ich beenden, das geht einfach nicht. Nochmals sagte ich ihm, nun mit mehr Nachdruck, dass ich keine Ahnung davon hatte, dass er unseren Kontakt so sieht. Ich würde jetzt auch nicht noch mehr von solchen Sachen hören wollen. Mit bestimmtem Nachdruck gab ich erneut zu verstehen, dass all seine Empfindungen nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. Es war mir wichtig, dass er durch meine Ablehnung sein Gesicht nicht verlieren würde. Meine Aufregung versuchte ich nun zu bremsen und mein Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. „Zwille, es tut mir wirklich leid, dass Du das so siehst. Wir tun jetzt so, als hättest Du all das nie zu mir gesagt und ich hätte es somit nicht gehört. Ich kann diese Gefühle nicht teilen. Ich bin mit Frederik zusammen und das bleibt auch so. Jetzt, da ich weiß wie Du denkst und fühlst, bin ich in einer blöden Situation. So kann ich mich einfach nicht mehr unbeschwert mit Dir unterhalten und das möchte ich auch nicht mehr. Ich bitte Dich, das zu akzeptieren und wir gehen einfach zukünftig getrennte Wege. Ich will unter diesen Umständen den Kontakt nicht mehr haben.“ Unbewusst setzte ich währenddessen bereits einen Schritt hinter den anderen und schlich mich aus der Situation. Während ich mich langsam zurückzog, wünschte ich ihm von Weitem nochmal alles Gute und verabschiedete mich mit den Worten, dass wir es unter uns belassen würden. Er hätte das nicht gesagt und ich nichts gehört. Dann drehte ich mich um und ging ins Haus, ohne nochmal nach Zwille zu schauen. Die Autotür klappte und der Motor startete, Zwille fuhr weg. Ein Tee sollte mir helfen, das zu verarbeiten, was da gerade passiert war. In solch einer Situation hatte ich noch nie gesteckt. Es war schrecklich für mich. Zwille offenbarte sich mir, stellte seine Gefühle bloß und ich drehte ihm den Rücken zu, ließ ihn stehen und ging weg. Habe ich gerade eine Freundschaft kaputt gemacht? War es überhaupt eine Freundschaft? Nein, das war keine Freundschaft, das war … Was war das eigentlich? Es war ja nicht mal ein Nachbar, es war einfach so oft nur lästig. Plötzlich fühlte ich mich erleichtert, um Zwille erleichtert und ich ertappte mich dabei, wie ich mich auf einmal richtig leicht und fröhlich fühlte nach diesem blöden Erlebnis. Mir zitterten die Hände und am liebsten hätte ich mit jemanden darüber gesprochen, als es mit mir allein ausmachen zu müssen. In meinem Bauch wechselte ein aufgeregt fröhliches Kribbeln mit einem plötzlichen, flauen Gefühl. Was kommt jetzt? Akzeptiert er meine Meinung? Eigentlich war ich ja sehr deutlich und er muss doch Sorge haben, dass ich seiner Frau erzählen könnte, was er da zu mir gesagt hatte. Dass ich Frederik davon