ramona wegemann

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!


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oder auch musste, verbrachte ich viel Zeit im Arbeitszimmer am Computer. Für eine regionale Zeitung schrieb ich regelmäßig eine Ratgeberseite zum Thema Tiere. Rund ums Tier gab ich Tipps und Auskünfte, wenn es zu Kommunikationsproblemen zwischen Halter und Tier kam. So saß ich oft mehrere Stunden am Rechner und arbeitete oben unter dem Dach diverse Artikel durch. Als langsam aber sicher die Zeilen auf dem Bildschirm vor meinen Augen zu verschwimmen drohten, war es Zeit für eine kleine Pause. Ich öffnete das Dachfenster und genoss die frische Luft, die ins Zimmer strömte. Was für ein toller Ausblick! Man öffnet das Fenster und blickt auf das eigene Grundstück. Nirgends ein Haus in Sichtweite, egal aus welchem Fenster man auch blickte, man sah nur Natur ringsum. Ich genoss diesen Ausblick und den Moment der Ruhe. Vor unserem Dachfenster erstreckte sich ein knapper Hektar eigener Wald, der sich aus Büschen, Bäumen und Sträuchern zusammensetzte. Ein Paradies für Tiere.

      Völlig unerwartet riss mich das Klingeln meines Mobiltelefons aus der Schwärmerei. Zwille war dran. „Nich, dat de denkst, ick beobachte Dir, weil ick hier unten stehe…“ Ich war nicht nur völlig verwundert, sondern auch verunsichert, denn ich sah niemanden. Doch das wollte ich mir jetzt nicht anmerken lassen und tat so, als wenn ich ihn gesehen hätte, bohrte darum gleich nach, was ich denn denken soll, wenn er da steht? Meine Augen suchten die Umgebung weiter ab, aber ich konnte ihn nicht entdecken. Trotzdem legte ich weiter nach, warum er überhaupt schon wieder auf unserem Grundstück stehen würde. Ich dachte, das hätten wir schon geklärt? „Ne, dit war ja nur Zufall, ick wollt ja nur mal watt gucken, hat aber nüscht mit Dir zu tun.“ So so, also da geht das Fenster auf und umgehend kommt der Anruf von ihm, dass er mich zwar nicht beobachtet, aber es trotzdem sofort sieht, wenn sich das Fenster öffnet und ich am Fenster stehe? Was genau er nun schon wieder auf unserem Grundstück gucken wollte, gab er aber auch nicht preis. Es interessierte mich auch herzlich wenig. Ich forderte ihn abermals auf, unser Grundstück zu verlassen und nun auch endlich nicht mehr ungebeten unser Grundstück zu bewandern! Ganz gleich, was andere sagen, was andere für Entschuldigungen vorbringen mögen, ich fand dieses Verhalten nicht normal und unheimlich fand ich es langsam auch. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, es beunruhigte mich doch sehr und ich ertappte mich selbst dabei, wie ich von Tag zu Tag immer wieder die Gegend genauer im Blick behielt, den Wald mit Blicken absuchte und doch immer wieder mal genauer hinsah, wenn Zwille nahte. Dieser Vorfall zeigte mir deutlich, dass nur weil ich ihn nicht sah, es nicht bedeutet, dass er nicht da ist. Als „Berliner Pflanze“ war ich doch so einiges an seltsamen Gestalten gewohnt. Ich dachte, dass mich so rasch nichts aus der Ruhe bringen könnte, doch die Unsicherheit nagte und kratzte nun geduldig seine kleinen Kerben in mein „dickes Fell“ hinein. Die häufige und tägliche Präsenz von Zwille wurde mir nicht nur immer lästiger, sondern auch immer unheimlicher. Es war schon seltsam, dass er täglich kam, von so weit her, immer ohne seine Frau, immer wenn Frederik nicht da war, immer rings um das Haus aktiv war. Oder bildete ich mir das jetzt nur ein? War ich zu empfindlich?

      In den nächsten Tagen beschlich mich immer wieder ein ungutes Gefühl. Selbst wenn ich Zwille nicht sehen konnte, ging er mir im Kopf umher. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich teils unbewusst damit begann, die Umgebung abzusuchen, sobald ich das Haus verließ. Sobald ich spürte, dass ich mich beklemmt fühlte und mir unheimlich zu Mute wurde, ärgerte ich mich über mein eigenes Verhalten. Es kann doch nicht sein, dass ich mich von solch einem blöden Vorfall dermaßen verrückt machen lasse! Zumal das doch nur ein paar merkwürdige Unarten eines dummen Bauern sind, denen ich vielleicht zu viel Gedanken schenke. Ich versuchte, mich selbst zu beschwichtigen und diese ärgerlichen und unheimlichen Situationen abzuschütteln oder sie herunterzuspielen. Doch jedes Mal, wenn Zwille wieder auftauchte, kam dieses Gefühl sofort wieder in mir auf und es widerstrebte mir, mich mit ihm noch weiter am Zaun zu unterhalten. Nach und nach zog ich mich immer weiter zurück. Doch das war nicht so leicht wie gedacht. Zwilles übliche Marotten, das ständige Anfahren, Wegfahren, Zurückkommen und wieder minutenlang vor dem Haus zu parken, ließen auch weiterhin nicht nach. Es machte den Eindruck, als würde er nun, wo wir unser Jahresheu in den Hallen eingelagert hatten, der Meinung sein, dass er eine Art „Anspruch“ auf mich und meine Zeit hätte.

      Ganz gleichgültig wie sehr ich mich auch ärgerte, um die Gespräche mit Zwille kam ich auf Dauer nicht herum. Er hatte schließlich auch so viel für uns getan. Jetzt, da das Heu in seinen Scheunen lagerte, wollte ich auch nicht undankbar wirken. Natürlich kostete es mich oft meinen letzten Nerv. Zudem darf man nicht vergessen, dass jeder mal gute Tage hat und dann auch wieder seine schlechten. Mir stand es doch ebenso zu, einen schlechten Tag zu haben und nicht immer nur nach den Vorlieben anderer funktionieren zu müssen. In meiner Arbeit als Tierpsychologin musste ich schließlich auch sehr oft schlimme Tierschicksale ertragen, zum Beispiel, wenn das angebliche Problemtier eigentlich einwandfrei war und nur das riesige Pech hatte, einem völlig ignoranten und selbstverliebten, unbelehrbaren Besitzer ausgeliefert zu sein. Wie oft waren mir einfach die Hände gebunden, und ich konnte nichts für das Tier unternehmen, weil der Besitzer einfach zu ignorant war. Doch ob es mir nun gut ging oder nicht, das war Zwille gleichgültig. Obgleich mein Kopf zum Zerplatzen voll war, wollte Zwille mir seinen Gedankenkram um jeden Preis dennoch aufdrängen. Manchmal tat er mir dann aber auch leid, erzählte er mir in einigen Gesprächen doch immer öfter unterschwellig davon, dass es bei ihm in der Ehe gerade etwas kriselte. Dieses Thema war mir aber oft etwas unangenehm, immerhin kannten wir uns dahingehend nicht besonders gut, wenngleich er nahezu täglich da war. Er berichtete mir davon, dass seine Frau ihm immer wieder fremdgegangen sei und er nicht mal wisse, ob der Junge überhaupt von ihm sei. Zwille hatte einen bereits fast erwachsenen Sohn, der ihm in der Tat nicht sehr ähnlich sah. Solch persönliche Dinge wollte ich nicht wirklich wissen. Was geht mich sein Privatleben an? Doch wie verhält man sich nun, wenn jemand sein Herz derart ausschüttet? Eigentlich wollte ich damit nichts zu tun haben, aber vielleicht war Zwille auch wirklich so verzweifelt, dass er sich von unseren Gesprächen einen weiblichen Rat erhoffte. Ganz gleich wie wütend ich manchmal auf ihn auch war, aber so wollte ich ihn nicht einfach stehen lassen. Da ich seine Frau jedoch kaum kannte, nur von kurzweiligem Sehen her, wusste ich leider keinen wirklich guten Ratschlag für Zwille. Weder wusste ich, was sie mag, noch wusste ich von ihren Wünschen. Selbst in den Gesprächen zwischen Zwille und mir erwähnte Zwille sie nur sehr selten und wenn, dann eher beiläufig. Unter diesen Umständen blieb es also bei allgemeinen Ratschlägen wie man sie auch aus Zeitschriften kennt. Blumen, Pralinen, Komplimente, gemeinsam Ausgehen und sich gemeinsam an der Zeit festhalten, die man im Guten bereits gemeistert hatte. Wozu soll man auch sonst raten als zu solchen Dingen? Wie gesagt, ich kannte seine Madame ja kaum. Seine Frau schien auch eher die „robuste Landfrau“ ohne viel Sinn für Romantik zu sein. Ihr Äußeres wirkte eher etwas maskulin und forsch, sie war sehr üppig untersetzt. Ihre kurzen, dunklen Haare fielen glatt in einem „Prinz-Eisenherz-Topfhaarschnitt“. Ich werde nie vergessen, wie sie einmal Zwille begleitete, als er am Wochenende auf dem Feld gegenüber ausnahmsweise tatsächlich Arbeit zu verrichten schien. Sie trug ein langes, armfreies Shirt, was wie ein Nachthemd aussah. Vielleicht dachte sie, es sei ein Kleid, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es ein Nachthemd war. Was auch immer es war, für sie war es jedenfalls sehr ungünstig geschnitten und für Feldarbeit, insbesondere wenn sie sich bückte, vielleicht etwas schlecht ausgewählt. Sie schien sich aber damit sehr wohl zu fühlen, und es soll letztlich jeder das tragen, was er möchte. Ohne es böse zu meinen kann ich sagen, dass sie auch bezogen auf ihr geistiges Niveau gut zu Zwille passte. So war es meine ehrliche Überzeugung, die ich Zwille bestärkend mit auf den Weg gab, als ich ihm sagte, dass sie zwei doch gut zusammenpassen. Meine Gedanken, warum dies so ist, verschluckte ich aber lieber. Zwille lenkte plötzlich rasch ab, und die Eheprobleme schienen verflogen. Seine Gesichtszüge erhellten sich mit einem Mal, und er strahlte über das ganze Gesicht, als er mir von einer Unterhaltung mit seinen Kumpels erzählte. Scheinbar erzählte er seinen Freunden recht viel von mir, denn lachend berichtete er mir, wie einer seiner „Kumpels“ mit ihm kürzlich genörgelt hatte: „Ramona, Ramona und Ramona! Die Ramona is wohl deine Jeliebte, wa?“ Zwille fand diesen Spruch scheinbar witzig und antwortete dem Kumpel daraufhin prahlend: „Een richtiger Mann muss ne Frau UND ne Jeliebte habn!“ Während Zwille noch stolz grinsend vor mir stand, fiel mir alles aus Mark und Bein. Jetzt schlug es aber Alarm! Da bekam ich nicht nur große Augen, sondern auch wirklich sofort wieder Wut. Tat er mir eben noch leid, war ich nun echt beleidigt und wütend. Es war doch unfassbar, wie er das schaffte, mich von einem