Carsten Bohn

Touché - und andere Generationengeschichten


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ihm kommen? Dieser Gedanke nahm mir zum ersten Mal jegliche Flugangst. Wieder machte ich kein Auge zu. Ich konnte nur starren. Ich starrte und beobachtete die Menschen in den vorderen Reihen. Eine Frau mit Kind, die ein paar Mal auf Toilette ging und sich hin und wieder mit Sitznachbarn unterhielt, welche sich an ihrem Baby erfreuten.

      Ich überlegte mir, ob diese Frau eigentlich wusste, wie gut es ihr gerade ging.

       Mit Oma Pischke beim Frauenarzt

      Freidenker

      An vorn son Tach treff ich Oma Pischke an Milchwagen. »Moin Freidenker,« sacht Oma Pischke.

      Ich sach: »Moin Oma. Hömma, Oma Pischke. Wat trinks du eigentlich soviel Milch. Du bis doch schon Schlachtvieh, von wegen Kalzium.« Oma: »Hör mich auf, Freidenker. Dat is wegen mein Frauenarzt. Der sacht, dat ich dann fürn Opa schön geschmeidich bleib, woll.« Ich sach: »Oma Pischke, ihr spielt doch im Bett nur noch, auf welche Seite er fällt.« Oma: »Nix Freidenker. Der Opa hat ne gesunde Alters-Starre.« Ich sach: »Ich frach gätz nich, wo du die Milch zu dir nimmst, Oma.«

      Dann fracht Oma mich: »Freidenker, kannse mich heute zum Frauenarzt begleiten? Der Opa hängt mit seine Starre im Schlafzimmer fest.«

      »Ja sichär, Oma,« sach ich. Um sechs Stunden vor Zwanzich Uhr sitzen Oma und ich innen PT Cruiser. Die Mucke auf volle Pulle. Oma Pischke hat sich ZZ Top, Gimmi all your lovin, gewünscht.

      Als Ziel hat Oma die Gartenstraße 32 oder 23 angegeben. »Ich erkenn dat Gebäude wieder, Freidenker. Der letzte Besuch is erst drei Jahre her.« Ich sach: »Wat is denn bei sonne Oma noch zu untersuchen ?« Oma sacht: »Dat war keine Untersuchung, Junge. Ich hab mich fürn Opa anne schlechten Teile piercen lassen.« Ich sach: »Du has Ringe inne schlechten Teile, Oma ?«

      »Ne, nich ganz, Freidenker. Ich hab mich für Opa tackern lassen, damit der den Wech schneller findet, woll.«

      Dann sind wir an ät Ziel und ich bremse inne 30er Zone von 120 auf Null. Oma schlächt leicht mit de Birne auf ät Armaturenbrett. Ich sach: »Siehse Oma. Wir sind da. Nummer 23, woll.«

      Oma Pischkes Augen drehen sich nen bisken nach innen, wie bei meinen treuen Gefährten, mein Hund Ballou. »Allät in Ordnung, Oma?« Oma nickt und ich sach ihr nix von dem Horn, dat auf ihre linke Stirnseite an wachsen is.

      Dann gehen wir zum Eingang. Auffem Schild steht: »Habe-kei-ne; Ah-Nung. Akkupunktur, Reiki, Massage, Tiefentherapie.«

      Ich sach zur Oma: »Hier sind wir richtich Oma. Dat die dat Tiefentherapie nennen, find ich schon klasse, woll.« Oma nickt und dat Hörnchen wächst.

      Dann gehen wir innen Frauentempel rein. Gleich kommt uns sonne Lotusblüte, mit ein Duft von Lavendel, entgegen und fracht: »Guten Tag. Dalf ich nach ihlem Namen flagen.« Ich sach: »Hömma, dein Duft kenn ich doch von mein Stinkebäumchen aussem PT Cruiser, woll. Und sichel dalfse nach den Namen flagen. Und den melkse dil gut, woll. Wil sind angemeldet.«

      Velstölt und knullend bringt uns der duftende Wok ins Behandlungszimmer. Ich bleib draußen vorm Vorhang, mit ein chinesischen Drachen, sitzen. Ich denk noch so: »Da wird schon so manche bei de Untersuchung Feuer gespuckt haben, woll.«

      Dann erklingt dreimal der Ton einer Klangschale. Ich sach: »Oma, ham se dich getroffen.«

      Nix, keine Antwort. Dann beginnt schon die Behandlung. Ein weibliche Stimme sagt: »Wir beginnen jetzt mit einer Massage, damit die verkrampften Stellen sich lösen können.«

      Ich denk so bei mich: »Wenn dat ma mein Urologe so machen würde.«

      Oma fängt an zu stöhnen und ich überlege für einen Moment, ob ich Opa Pischke nich schon jetzt aussem Schlafzimmer hole. Dann höre ich die weibliche Stimme wieder: »Sehl schön. Es ist alles sehl schön weich und ich spüle die innele Öffnung.« Ich denke, mit ein Bild vonne Oma Pischke in mein Kopp: »Die Ärztin muß nen verdammt langen Arm haben. Vielleicht war die ma Tierärztin, woll.«

      Die weibliche Stimme: »So, nun setzten wil in die weichen Stellen die Nadeln. Es welden alle 24 Sinnespunkte genadelt.«

      Als ich dat gehört habe, bin ich ma zwischendurch schnell nach vorne und hab mich fürn Seminar angemeldet, woll. Dann wieder vor Omas Kabine. Als ich da ankomme is ät ein Nebel.

      Und dat stinkt nach ein Rauch, wie ausse Kirche, den die immer aus ihrem Locheimer inne Gemeinde schütten. Ich sach: »Oma, wat rauchse denn für ein Kraut. Hasse dem Paster die Kippen geklaut ?«

      Oma stöhnt und ät kommt keine Antwort. Dann wieder die weibliche Stimme: »Sehl schön. Ich nehme jetzt die Nadel wiedel laus und dann schmielen wil die Stelle mit Heilelde ein.«

      Ab diesen Moment konnte ich als technisch geprächter Freidenker wieder inne Frauenwelt mithalten, woll. Dat is ne 1a Versiegelung, die Oma Pischke da bekommt. Hier isse inne richtigen Hände, da bin ich mir sicher.

      Dann kommt Oma Pischke ausse Kabine. Ne, nich kommt. Oma Pischke schwebt. Und dat Horn anne Stirn is wie aussem nix verschwunden. Und sie stink genauso wie mein Lavendelbaum in PT Cruiser. Ich sach: »Is der Kanal wieder frei, Oma.« Oma Pischke grinst mich an und sacht: »Alles is wieder frei, mein Denker. Ich will jetzt so schnell wie möglich zu Opa Pischke.«

      Dat is noch Liebe, denke ich. Nich ma ein paar Stunden könnse auseinander sein...

      An gleichen Abend von son Tach geh ich mit Ballou noch ne Runde. Bei Pischkes steht der Krankenwagen vor der Tür. Ich krich Angst wegen Oma Pischke. Bestimmt wegen dat Horn und den Aufprall innen PT Cruiser, denke ich. Dann kommen se raus, mit den nackigen Opa Pischke auffe Trage. Die Alters-Starre zu den Sternen aufgerichtet und 15 Eisbeutel drum herum.

      Ich sach: »Wat is los, Opa Pischke. Bisse mit deine Starre inne Heilerde stecken geblieben.«

      Opa Pischke zeigt mir seinen knorrigen Mittelfinger und stöhnt: »Freidenker, dich krich ich noch, woll.«

      Ballou guckt mich fragend an. Ich sach zu ihm: »Dat mit der Inklusion müssen wir aber noch ein bisken üben.« Dann gehen wir weiter und hören das nimmer endende Stöhnen von Oma Pischke bis in die Tiefen des Sauerlandes.

       Die Mancinis und der Bardolino

      Hermann Bauer

      Gerne höre ich auch heute noch auf den Rat des Ehepaares Sonja und Pietro Mancini. Ob die Probleme klein oder groß sind, die Mancinis finden immer einen Ausweg.

      Sonja und Pietro Mancini sind schon weit über 80 Jahre alt. Im Herzen sind sie aber jung und modern geblieben. Pietro Mancini hatte einen Beruf, in dem er in der ganzen Welt herumkam. Er lebte viele Jahre mit seiner Sonja in Asien und Südamerika. Heute wohnen die beiden am Münchner Stadtrand, direkt am Ufer des Starnberger Sees. Ein breiter Kiesweg führt zu der geräumigen Villa.

      Ich sitze in einem schwarzen Ledersessel und betrachte das Kaminfeuer. Kein Wohnzimmer strahlt eine solche Gemütlichkeit und Geborgenheit aus wie dieses. Und ich war schon in vielen Wohnzimmern zu Gast.

      Pietro schenkt mir einen Rotwein ein, traditionell seine Hausmarke, einen Bardolino. Pietro meint, es gäbe bessere Rotweine, aber seit sich Sonja aus München und Pietro aus Sirmione am Gardasee vor ewigen Zeiten bei einem Glas Bardolino kennen lernten, sind sie der Rebsorte treu geblieben, denn so wärmen sie ihr Verliebtsein immer wieder auf.

      Wir stoßen alle an, und Sonja bemerkt: »Es wird höchste Zeit, dass wir mal wieder gemeinsam einen netten Abend verbringen.«

      Pietro steht auf, was ihm große Mühe bereitet. Wie so viele Senioren hat auch er Schwierigkeiten mit seinen Beinen. Sie tragen ihn nicht mehr so gut.

      Er geht zum Kamin, bückt sich und greift nach dem Korb, um Holz zu holen. Ich springe auf, um ihm die Arbeit abzunehmen. Aber schon steht Sonja neben mir und bittet uns, beide wieder Platz zu nehmen, denn sie möchte Brennholz holen. Sie lässt sich nicht von mir helfen.

      Als sie wieder das Zimmer betritt, geht Pietro auf sie zu, bedankt sich