Carsten Bohn

Touché - und andere Generationengeschichten


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und harmonisch die beiden immer noch sind – nach so vielen Ehejahren.

      Ich trinke einen Schluck Wein und frage sie: »Was ist eigentlich das Geheimnis eurer glücklichen Ehe?« Beide lächeln sich an, und Pietro antwortet: »Ein Geheimnis gibt es da sicher nicht. Die Ehe ist ein Bündnis, das gehegt und gepflegt werden muss. Für manche ist die Ehe bzw. die Liebe lediglich ein Boogie-Woogie der Hormone. Wenn solche Bindungen dann scheitern, muss man sich nicht wundern.« Sonja nickt und fährt fort: »Leider sind die meisten Menschen nicht auf die Ehe vorbereitet. Pietro und ich waren es auch nicht. Als wir vor über 60 Jahren heirateten, hatten wir keine Ahnung. Wir wussten nicht, wie man über seine Gefühle und Empfindungen spricht, wie man Kritik einsteckt und Kritik übt, ohne den anderen gleich in Bausch und Bogen zu verdammen. Oder wie man konstruktiv streitet und es schafft, auch mal nachzugeben, Probleme auch mal eine Weile im Raum stehen zu lassen, um einen günstigeren Augenblick zu ihrer Bewältigung abzuwarten. Die ersten Jahre waren deshalb ziemlich schwierig, und der Haussegen hing oft schief.«

      Pietro geht in die Küche. Er kramt aus dem hintersten Eck einen Gegenstand hervor, bringt ihn mit ins Wohnzimmer, reicht ihn mir und sagt: »Vielleicht gibt es doch ein Geheimnis unserer glücklichen Ehe – dies hier hat eine Menge dazu beigetragen.«

      Gespannt wartet er auf eine Reaktion von mir. Ich bin jedoch ratlos. Was er mir in die Hand gedrückt hat, ist eine uralte vergammelte Bratpfanne. Sie ist nicht schön, der Boden schon angebrannt und der Henkel wackelt.

      Sonja lacht und erzählt: »Diese Pfanne ist schon sehr alt. Ich habe sie bei einem alten Italiener auf einem Markt am Gardasee gekauft. Dieser Mann sagte zu mir, in Deutschland sei die Ehe mit einer heißen Pfanne zu vergleichen, die man auf eine kalte Platte stelle und die nach und nach abkühle. In Italien sei die Ehe eine kalte Pfanne, die man auf eine heiße Platte oder Feuerstelle stelle, so dass sie sich langsam erwärme und immer heißer werde. Diese Worte haben mir damals sehr gut gefallen, und bis heute habe ich sie nicht vergessen.«

      Pietro unterbricht Sonja und stellt klar: »Nicht, dass unsere Ehe zu Anfang ein kalte Pfanne gewesen wäre, ganz im Gegenteil, dazu bin ich viel zu temperamentvoll. Aber ich glaube, dass viel zu viele Menschen lediglich darauf hoffen, dass sich die Anfangshitze möglichst lange hält, anstatt immer wieder kräftig nachzuheizen. So verstehe ich die Ehe: Die Freundschaft vertiefen, sich immer näher kommen, sich immer besser verstehen lernen.«

      Verträumt beobachte ich, wie die lodernden Flammen auf die gerade aufgelegten Holzscheite übergreifen.

      Sonja unterbricht die Stille: »Wir reden oft über Ehe und Partnerschaft. Und wenn jemand Schwierigkeiten hat, so wie du, versuchen wir ihm zu helfen.« Dabei schaut sie mir tief in die Augen. Pietro legt seine Hand auf meine Schulter und sagt: »Ich finde es wichtig, auch von anderen Menschen zu hören, welche Probleme sie haben. Zu sehen, wie sie damit umgehen, das hilft auch uns weiter.«

      Ich bin nicht in der Stimmung, jetzt über die Schulprobleme meiner Kinder zu sprechen. Auch nicht über die voraussichtliche Kündigung unserer Mietwohnung, den Wahnsinnsstress in der Firma und schon gar nicht über meine momentane Ehekrise. Da kann mir keiner helfen, denke ich mir, da muss man eben durch.

      Also trinke ich mein Glas leer, stehe auf, gehe wie ein Tiger in seinem Käfig nervös auf und ab und sage etwas vorwurfsvoll: »Das alles hört sich recht einfach an, ist jedoch, wie alles Üben, eine schwierige Arbeit. Es erfordert eine Menge Geduld.« Ich bedanke mich für den netten Abend und möchte mich verabschieden.

      Sonja reagiert überhaupt nicht und holt noch eine zweite Flasche Bardolino aus der Küche. Pietro kommentiert trocken: »Setz dich.«

      Sonja reicht Pietro die Flasche und den Korkenzieher. Er öffnet die Flasche und gießt allen die Gläser nach.

      Ich fühle mich unausgeglichen und ausgelaugt vom beruflichen und häuslichen Ärger.

      Der Hausherr deutet mit seinem Zeigefinger auf die Vitrine mit den vielen Schnitzereien, Statuen und Vasen. »Jedes Stück teilt eine Geschichte mit«, sagt er. »In welches Land sollen wir dich heute entführen? Nach Thailand, Indonesien, Indien, Guatemala, Mexiko, Peru...?«

      Er greift sich aus der Vitrine eine Holzfigur, hält sie in den Händen, betrachtet sie immer wieder von allen Seiten, und dann erzählen beide über Indonesien. Das klingt alles so echt, als ob ich damals selbst dabei gewesen wäre.

      Ich schließe meine Augen, und manchmal habe ich das Gefühl, als könnte ich sogar die Gerüche der Speisen, von denen sie mir erzählen, wahrnehmen. So vergesse ich für einige Stunden meine Sorgen. Wie machen die beiden das nur? Die Erzählungen wirken auf mich wie eine Hypnose und Seelenmassage zugleich. Nach etwa vier Stunden verabschiede ich mich und trete den Heimweg an.

      Zu Hause fragt mich meine Frau: »War es nett? Haben die beiden wieder über ihre Auslandsabenteuer gesprochen? Haben sie dir wieder ihren billigen Rotwein angeboten? Außer Erdnüssen haben sie dir vermutlich nichts zum Essen angeboten, stimmt’s? Von Millionären kann man das Sparen lernen.«

      Ich nicke mit dem Kopf: »Ja, es war wieder sehr schön. Diesmal haben sie mich mit nach Indonesien genommen. Aber sie haben mir auch eine kleine Geschichte über eine italienische Bratpfanne erzählt. Diese Erzählung gefiel mir am besten. Willst du sie hören?«

      Verständnislos schaut meine Frau mich an, wobei sie erwidert: »Heute nicht mehr. Ich bin schon zu müde. Vielleicht morgen. Dann erzähle ich dir auch eine Geschichte über Pfannen, Kochtöpfe, Bestecke, Teller, Tassen und Gläser, die ich heute abgespült habe, während du dich amüsiert hast. Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht.«

      Ich bin noch nicht müde. Zu viele Gedanken wirbeln in meinem Kopf herum. Dabei denke ich an eine kühle Bratpfanne und wünsche mir, sie möge sich noch einmal erwärmen und vielleicht sogar sehr heiß werden.

       Schokoladenosterhasen

      Katja Müller-Kuckelberg

      Die zerlaufenen Überreste eines Schokoladenosterhasen mit beeindruckender Sorgfalt auf deiner linken Gesichtshälfte verteilt, sitzt du, kleines Mädchen, auf dem Küchenboden, umringt von sämtlichen Mitgliedern der Stofftiervollversammlung und schaust mich an. Ich weiß nicht genau, warum ich im Türrahmen stehen bleibe, aber jetzt stehe ich hier und du sitzt da und du legst den Kopf in den Nacken und fixierst mit zusammengekniffenen Augen meine Nasenspitze und fragst: »Warum gibt es böse Menschen?«

      Ich lache kurz auf vor Überraschung. Nicht deine Frage überrascht mich, kleines neugieriges Mädchen, auch nicht, dass du sie jetzt und hier stellst, auf dem kalten Küchenboden mit Eisbär Eddie im Arm, dessen weiße Schnauze mit dunklen Flecken übersät ist. Du hast die Süßigkeiten offensichtlich mit deinen plüschigen Freunden geteilt. Auch das wundert mich keineswegs. Es ist meine eigene Sprachlosigkeit, die mich erstaunt. Bisher konnte ich alle deiner Fragen beantworten: Ich konnte dir erklären, warum du im Sommer schon ins Bett musst, wenn es noch hell, obwohl du im Winter wach bleiben darfst, bis es dunkel wird. Ich habe dir gezeigt, was passiert, wenn man alle Farben im Malkasten zusammenmischt und dass dabei kein Regenbogen entsteht. Wir haben besprochen, warum sich weder Ameisen noch Blauwale als Haustier eignen. Aber diesmal, kleines Mädchen, diesmal weiß ich keine Antwort. Gibt es überhaupt böse Menschen? Ich erinnere mich an Begegnungen mit schrägen Vögeln, mit knallharten Geschäftsleuten, mit Weitgereisten, Heulsusen, Zicken, Träumern, großen Denkern, Künstlern, Nervensägen und Veganern. Und irgendwann, kleines Mädchen, habe ich sogar dich kennengelernt. Aber einen bösen Menschen habe ich noch nie getroffen. Was meinst du überhaupt, wenn du böse sagst? Bin ich böse, wenn ich deine Erfindung Sommerschnee zerstöre, weil ich, blind für die Genialität deiner Arbeit, glaube, eine größere Ansammlung von kleingeschnittenem Altpapier zu entsorgen? Sind deine Eltern böse, wenn sie Beförderungen jagen bis zum Burnout, wenn sie dich, wildes Mädchen, und mich, selbst noch halb Kind, und all diese Fragen hier alleine lassen? Oder wäre es böse, würden sie nicht alles tun, um dir und all deinen Stofftieren zu jeder Zeit ausreichend Schokolade zur Verfügung stellen zu können?

      Ich beobachte, wie du mit größter Hingabe die bedruckte Silberfolie, die einmal als Einwickelpapier für die Osterhasen