Andreas Groß

Rosenblut


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Bewegung aus dem Stuhl und trat dicht an sie heran. Er griff nach ihrem rechten Handgelenk und zog sie in das Schlafzimmer. „Ich zeig es dir.“

      Willig folgte sie ihm. Deutlich stand die Neugier auf ihrem Gesicht, als er sie vor dem großen Spiegel des Schlafzimmerschrankes stellte. Hinter ihr befand sich ein Doppelbett mit einer beigefarbenen Tagesdecke darauf.

      Romeo griff in seine ausgebeulte Jackentasche und zog den sorgfältig zusammengelegten Schal hervor. Mit einer schnellen Handbewegung fächerte er ihn auseinander, verdrehte ihn mehrmals, ehe er ihn Julia locker um den Hals und über die Schultern legte. Dabei drapierte er ihn so, dass die losen Enden auf ihre Brust fielen.

      Er stellte sich hinter sie und warf einen Blick über ihre Schulter. „Was meinst du?“

      Julia neigte den Kopf und betrachte sich im Spiegel. „Ich bin mir nicht sicher. Ist es in dem Club nicht zu warm dafür?“

      Romeo winkte ab. „Du kannst ihn jederzeit ablegen. Andererseits betont der Stoff dein Gesicht und lässt es noch ausdrucksvoller erscheinen.“

      Julia zupfte leicht an dem Schal. „Ich weiß nicht so recht. Sei mir bitte nicht böse, aber irgendwie finde ich ihn unpraktisch. Wenn wir zu einem Open-Air-Konzert gehen würden, wäre er bestimmt sinnvoll.“

      „Es war nur ein Vorschlag“, erwiderte Romeo sanft.

      Julia deutete ein Lächeln an. „Du verstehst bestimmt viel von Mode, aber heute verzichte ich doch lieber auf dieses Accessoire.“

      „Kein Problem. Komm, ich nehme ihn dir wieder ab“, beeilte er sich zu sagen und griff nach den Enden. Rasch wickelte er den Stoff über seine Handflächen. Er schenkte ihrem Spiegelbild einen letzten Blick, ehe er mit einem Ruck den Schal um ihren Hals zusammenzog. Ihre Augen weiteten sich entsetzt.

      Romeo kniff die Lippen zusammen, als er mit aller Kraft an dem Schal zerrte. Julias Mund öffnete sich. Verzweifelt versuchte sie nach Luft zu schnappen, aber Romeo war unerbittlich.

      „Ich habe dich geliebt“, flüsterte er in ihr Ohr.

      Julia riss die Arme hoch. Todesangst zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, welches ihn aus dem Spiegel anstarrte. Mit letzter Kraft versuchte sie mit den Fingern unter den Stoff zu gelangen, um Luft zu bekommen.

      Romeo wusste, dass sie in wenigen Augenblicken bewusstlos werden würde, da der Schal ihre Halsschlagader zusammenpresste und die Blutzufuhr zu ihrem Gehirn abschnürte.

      Ihre Bewegungen wurden schwächer. Ohne loszulassen, warf sich Romeo herum und zusammen fielen sie auf das Bett. Er richtete sich auf und drückte das Knie in ihr Kreuz, um den Druck zu erhöhen. Seine Arme begannen zu schmerzen. Er fühlte, wie das Leben in ihr flackerte und erstickte. Ein letztes Zucken lief durch ihren Körper, als sie starb.

      Er wartete noch einige Minuten, nur um sicher zu sein, dass sie auch wirklich tot war, ehe er sich erschöpft erhob. Endlich lösten sich seine Finger von dem Schal. Er drehte sie auf den Rücken. Ihre leeren Augen starrten ihn anklagend an. Das durfte nicht sein.

      Entschlossen ging er in die Küche. Schnell hatte er gefunden, was er suchte, und machte sich ans Werk. Nachdem er es vollbracht hatte, legte er die beiden Gegenstände behutsam in eine Schachtel, die er in seine Jackentasche schob. Danach säuberte er sich. Es gab noch viel zu tun, ehe er die Wohnung verlassen konnte. Schließlich musste er seine Julia noch nach seiner Vorstellung herrichten. Erst nach zwei Stunden schritt er mit einem Gefühl der Zufriedenheit und der Erleichterung ins Freie. Tief sog er durch die Nase die frische Luft ein, um dann mit ruhigen Schritten die Straße hinunterzugehen.

      2

      Raphael Wolf starrte auf seine Krawatte. Er hasste es, wenn er dieses Kleidungsteil anlegen musste, weil es ihn seiner Meinung nach einengte, ihm einen Teil seiner persönlichen Freiheit nahm. Im Grunde hielt er es auch für einen Ausdruck der Zugehörigkeit zu einem verlogenen Bürgertum, einer Gesellschaftsschicht, die sich gegenseitig an Spießigkeit zu übertreffen versuchte. Doch letztlich unterwarf auch er sich diesen Zwängen, wenn er die Notwendigkeit darin sah. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Im Grunde verhielt er sich damit nicht anders, als die meisten Bürger dieser Stadt. Und wenn er ehrlich war, genoss er es auch, sich auf diese Art zu kleiden, da er nur dann einen Blick hinter der Maske aus Verlogenheit und Selbstgefälligkeit erhielt.

      Mit einem leisen Seufzer der Ergebenheit schlug er den Hemdkragen hoch und band sich die Krawatte um. Zu seiner Überraschung gelang ihm der Knoten auf Anhieb und auch die Länge des breiteren Endes reichte präzise bis zu seinem Gürtel. Es verdeckte, wie vorgeschrieben, das schmale Ende, das er in eine kleine Schlaufe zog. Zufrieden betrachtete er das Ergebnis im Spiegel. Bis auf den Bund seiner Hose, der ein wenig zu eng um seine Hüften lag, da er in den vergangenen Monaten ungefähr zwei Kilos zugenommen hatte, saß der Rest des Anzuges perfekt und verlieh ihm eine seriöse Erscheinung. Vielleicht sollte er ihn doch häufiger tragen.

      Raphael wandte sich vom Spiegel ab, betrachtete für einen Moment seine Dienstwaffe, ehe er sie vom Tisch nahm und in das dafür vorgesehene Holster schob. Eigentlich würde er sie nicht benötigen, da er auf einen Empfang des Ministerpräsidenten eingeladen war. Aber ohne die SIG Sauer fühlte er sich nackt. Das Sicherheitspersonal würde nicht begeistert sein, wenn er bewaffnet erschien, aber ein Mal in seinem Leben war er ohne Waffe zu einem harmlosen Treffen gegangen und in große Schwierigkeiten geraten. Einen derartigen Fehler würde er nicht wiederholen. Er fragte sich schon, seit er die Einladung erhalten hatte, warum ausgerechnet er zu diesem Empfang im Rathaus erscheinen sollte. Er verstand, dass Frank Sandmann in seiner Funktion als Polizeipräsident, Kriminaldirektor Ralf Schuster und Kriminalrat Albert Gehrmann geladen worden waren, aber Wolf war nur der Leiter des Kommissariats Elf und nach seiner Meinung weder gesellschaftlich noch politisch wichtig genug, um auf dieser Veranstaltung erscheinen zu müssen. Als Wolf zu Gehrmann geeilt war, um ihm mitzuteilen, dass er die Einladung dankend ablehnen würde, hatte Gehrmann ihn nur angeschaut und erklärt, dass Wolfs Erscheinen von ganz oben angeordnet worden sei.

      Raphael fragte sich, warum Sandmann ihn unbedingt im Rathaus sehen wollte. Gehrmann hatte ihm keine Erklärung geben können, da auch er den Grund nicht kannte. Wolf biss sich auf die Unterlippe, schnappte sich den Autoschlüssel und eilte zu seinem Wagen. Es gab nur eine Möglichkeit seine Neugier zu stillen. Er musste auf den Empfang gehen.

      Raphael stellte seinen Wagen in dem Parkhaus ab, das an das Rathaus angrenzte und schritt über den Hof zum Hintereingang des Gebäudes. Mühelos erreichte er den Sitzungssaal der Stadtverordneten, aus dem bereits ein beachtlicher Stimmenwirrwarr in den Gang hallte. Bevor er eintreten konnte, hielt ihn allerdings jemand am Arm fest.

      „Gut, dass ich Sie hier schon antreffe“, erklang eine Stimme neben seinem Ohr. Überrascht sah sich Raphael dem Leiter der Kriminaldirektion von Nordhessen gegenüber, der ihn vertraulich ein Stück beiseitezog. Er war über diese Geste so verwundert, dass er Folge leistete.

      „Sie müssen entschuldigen, dass ich Sie so überfallartig abfange, aber ehe der Ministerpräsident und der Oberbürgermeister ihre Ansprachen halten, würde ich gerne für einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen“, fuhr Ralf Schuster fort. Er hatte die Nachfolge von Siegfried Weinrich angetreten, der vor drei Jahren in Pension gegangen war.

      Raphael hob die Augenbrauen und musterte den Polizeipräsidenten. Im Gegensatz zu Weinrich besaß Schuster eine drahtige Gestalt, bei der sein Anzug beinahe eine Nummer zu groß wirkte. Die dunklen Haare waren kurz geschnitten und unter der Nase prangte ein breiter Schnurrbart, der nach Wolfs Ansicht seit Jahrzehnten aus der Mode gekommen war. Schuster war vor der Amtsübernahme Polizeipräsident von Magdeburg gewesen. Gerüchte, die nicht verstummen wollten, behaupteten, dass er den Posten in Kassel aufgrund seiner guten Beziehung zum hessischen Ministerpräsidenten und nicht wegen seiner Kompetenzen erhalten hatte. Sie sollten schon seit den Kindertagen enge Freunde sein. Letztendlich war es Wolf gleichgültig, ob die Gerüchte zutrafen. Er selbst strebte nicht nach diesem Amt und die berufliche Zusammenarbeit mit Schuster war bisher problemlos verlaufen. Persönlich trafen sie nur selten aufeinander, da Kriminalrat Albert Gehrmann Wolfs direkter Vorgesetzter war.

      Mit einer Mischung aus Interesse und Verwunderung