Andreas Groß

Rosenblut


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konnte ich meine Familie weitestgehend aus der Öffentlichkeit heraushalten. Ich habe sie selten zu gesellschaftlichen Anlässen mitgenommen und immer dafür gesorgt, dass nur Geschichten veröffentlicht wurden, die von mir abgesegnet waren. Daher besteht in dieser Hinsicht keine größere Sorge, dass Sie als Reporter von ihr gleich vor die Tür gesetzt werden. Insbesondere habe ich mir eine Story ausgedacht, durch die Sie problemlos auf Interesse bei Anja stoßen werden.“

      Raphael seufzte. „Für welches Blatt soll ich in Erscheinung treten?“

      Ein breites Lächeln erschien auf Richters Gesicht. „Keine Angst, es ist keine Boulevardzeitung. Sie werden den Reporter eines kleinen Magazins, und zwar von ‚Art and Home‘, spielen, der eine Reihe von Stories über die Rolle und Einfluss von Kunst bei prominenten Familien bringen will. Und beginnen wollen Sie mit dem hessischen Ministerpräsidenten und insbesondere seiner an Kunst interessierten Tochter Anja. Ich sollte erklärend hinzufügen, dass meine Tochter versucht, ihren Weg als freie Künstlerin zu gehen. Sie hat ein Kunststudium in Kassel und an der Sorbonne in Paris absolviert. Im Grunde halte ich nichts von solchen Berufen, da man selten davon leben kann. Aber ich glaube an meine Tochter und werde sie immer unterstützen.“

      „Ich habe nicht besonders viel Ahnung von Kunst“, bemerkte Raphael. „Sie wird meine Tarnung relativ schnell durchschauen.“

      „Darüber sollten Sie sich nicht zu viele Gedanken machen. Es geht nicht darum, mit meiner Tochter über Kunst zu diskutieren. Sie sind eher eine Art Beobachter, der meine Tochter bei ihrer Arbeit begleitet und dann darüber berichtet. Lassen Sie sich von ihr leiten. Es reicht, wenn Sie ihre Werke und Projekte kommentieren, ohne in die Tiefe zu gehen. Ich glaube kaum, dass sie dies von Ihnen erwartet. Schließlich ist diese Zeitschrift kein reines Kunstmagazin und mit der nächsten Documenta wollen Sie sich auch nicht auseinandersetzen. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass Sie dies bewältigen. Sie müssen eben auf andere Weise ihr Vertrauen gewinnen. Außerdem habe ich meine Zustimmung für diesen Artikel gegeben.“

      Raphael verdrehte kurz die Augen. „Sie scheinen sehr optimistisch zu sein.“

      „Das bin ich, Herr Wolf. Ohne diese Eigenschaft wäre ich niemals Chef der Staatskanzlei geworden.“

      „Wo hält sich Ihre Tochter derzeit auf?“, fragte Raphael, ohne weiter auf die Bemerkung einzugehen.

      Richter fuhr sich über die Lippen. „Sie müssen nicht weit fahren. Anja arbeitet derzeit im Reinhardswald an ihrem ersten großen Projekt.“ Er zog die Stirn kraus. „Sie nennt es: ‚Gestaltung moderner Kunst unter Berücksichtigung ihres natürlichen Umfeldes‘. Es geht dabei vorrangig um die Anfertigung von Zeichnungen in der freien Natur, aber auch in urbanen Räumen. Viel mehr kann ich Ihnen darüber auch nicht verraten. Genaueres müssen Sie sich von meiner Tochter erläutern lassen.“

      Raphael nickte. Soweit schien das Interesse des Ministerpräsidenten an der Arbeit seiner Tochter nicht zu gehen, dass er sie bis ins Detail beschreiben konnte. Außerdem schien er vom Erfolg ihres Projektes nicht restlos überzeugt zu sein. In Gedanken machte Wolf sich eine kleine Notiz.

      „Wie nehme ich Kontakt zu ihr auf?“, stellte er seine nächste Frage.

      Richter griff erneut in den Aktenordner und holte eine Visitenkarte und eine eingeschweißte Plastikkarte in Scheckkartenformat heraus. „Ich habe Ihr Erscheinen angekündigt. Ihre derzeitige Adresse habe ich Ihnen auf der Visitenkarte notiert. Und damit Sie sich ihr gegenüber als Reporter ausweisen können, habe ich einen Presseausweis für Sie besorgt.“

      Verdutzt blickte Raphael auf den Ausweis, auf dem sein Foto prangte. Er las den Namen.

      „Fuchs, Henry Fuchs. Wie originell“, spottete er. Auf der Rückseite der Visitenkarte war handschriftlich die Anschrift des Verlags vermerkt.

      „Einen Henry Fuchs gibt es dort wirklich. Nur arbeitet er in der Versandabteilung und steht kurz vor der Rente“, warf Richter hastig ein. „Es dürfte also kein Problem geben, wenn Sie unter seinem Namen bei meiner Tochter auftauchen.“

      „Sie waren sich wohl ziemlich sicher, dass ich diesen ... Job übernehmen würde“, sagte Raphael, während er Visitenkarte und Ausweis einsteckte.

      Richter zuckte mit den Schultern. „Wissen Sie, als Politiker muss man auf alles vorbereitet sein. Aber ich versichere Ihnen, dass ich eine Ablehnung nicht akzeptiert hätte. Cordes war übrigens derjenige, der auf die Idee mit dem Artikel gekommen ist. Er hat alle notwendigen Schritte in die Wege geleitet und die Unterlagen besorgt.“

      „Und wer macht meine Arbeit im Kommissariat? Immerhin bin ich der Leiter dieser Dienststelle.“ Raphael schaute erst fragend zu Richter, ehe er sich an Schuster wandte.

      „Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen“, erklärte Richter leutselig. „Kriminaldirektor Schuster hat meinem Anliegen bereits zugestimmt. Sie werden für die Dauer des Einsatzes freigestellt und Ihr Stellvertreter übernimmt solange die Leitung. Offiziell gehen Sie sozusagen in Ihren wohlverdienten Urlaub. Kassel ist nicht gerade eine Stadt, in der das Gewaltverbrechen boomt. Schließlich müssen Sie sich auch einmal so richtig erholen. Kriminalrat Gehrmann wurde über diese Situation auch schon informiert. Und bevor Sie es ansprechen, selbstverständlich wird auch der Polizeipräsident eingeweiht. Aber diese Aufgabe übernehme ich persönlich.“

      „Es sieht so aus, als hätten Sie wirklich an alles gedacht“, erwiderte Wolf mit einem ironischen Unterton. „Offenbar habe ich in dieser Sache kein Mitspracherecht.“

      Um Richters Mundwinkel legte sich ein kaltes Lächeln. „Nehmen Sie es sportlich, Herr Wolf. Man kann nicht immer gewinnen. Ich hoffe jedoch, dass Sie die Aufgabe ernst nehmen und diesen Bastard schnappen, der meine Tochter und damit meine Familie bedroht.“

      Raphael überging Richters Anspielung. „Müsste ich noch mehr wissen? Haben Sie mir alles erzählt? Bisher ist die Bedrohung sehr diffus. Es gibt nichts Greifbares, nichts, was mir echte Ermittlungsansätze bietet.“

      Richter tauschte einen weiteren Blick mit Cordes aus, ehe er entgegnete: „Leider kann ich Ihnen nicht mehr Material anbieten. Halten Sie sich einfach in der Nähe meiner Tochter auf. Sollten Sie zu irgendwelchen Erkenntnissen gelangen, können Sie sich jederzeit an Thomas Cordes wenden. Er wird mich über Ihre Fortschritte unterrichten. Er hält den Kontakt mit Ihnen aufrecht, da ich einfach zu viele Termine bewältigen muss. Cordes steht Ihnen auch jederzeit zur Verfügung, sollten Sie irgendwelche Informationen benötigen. Es war übrigens seine Visitenkarte, die ich Ihnen ausgehändigt habe. Darauf stehen seine Handynummer und seine E-Mail-Adresse. Ich bin mir auch bewusst, dass es den totalen Schutz für meine Tochter nicht geben kann. Aber ich bin davon überzeugt, den besten Mann für diese Aufgabe vor mir zu haben. Ich werde jede Entscheidung, die Sie treffen, um meine Tochter vor diesem Bastard zu schützen, und jede Maßnahme, die Sie als notwendig erachten, unterstützen.“

      Wolf hörte in den letzten Worten die eindeutige Drohung heraus. Ein Versagen würde Richter ihm niemals verzeihen. Für einen Moment überlegte Raphael, ob er nicht einfach aus dem Raum hinaus spazieren sollte, aber zwei verletzlich blickende Augen hatten sich tief in sein Gedächtnis gebrannt. Eine quälende Erinnerung an seine Zeit bei der Sicherungsgruppe des BKA stieg in ihm auf, die er rasch verdrängte. Damals war ihm ein fataler Irrtum unterlaufen, der ihm nicht ein zweites Mal widerfahren würde. Außerdem war er überzeugt, dass es etwas gab, das man ihm bisher verschwiegen hatte. Und dies machte ihn neugierig.

      „Dann will ich mich mal an die Arbeit machen.“ Raphael steckte das Bild und die Briefe in die Innentasche seines Jacketts.

      Richter nickte zufrieden. „Dann wäre wohl alles geklärt.“ Er wandte sich an Cordes. „Ich denke, wir haben die Geduld des Oberbürgermeisters lange genug strapaziert und sollten zu diesem Empfang gehen. Immerhin muss ich noch eine Rede halten.“

      Wolf spürte eine Hand auf seiner Schulter, als Richter und Cordes aus dem Büro eilten. Er drehte sich zu Schuster rum. Deutlich sah Raphael die Erleichterung an.

      „Ich bin Ihnen dankbar, Herr Wolf, dass Sie den Auftrag des Ministerpräsidenten angenommen haben.“

      Raphael lächelte