Andreas Groß

Rosenblut


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diese Unterkunft nicht umsonst ausgewählt, denn Anja Richter übernachtete ebenfalls in der „Alten Mühle“, auch wenn sie sich häufig auf dem Schloss aufhielt. Immerhin waren die Zimmer deutlich günstiger als im Hotel, das in der Sababurg untergebracht war.

      „Sie müssen Herr Wolf sein“, begrüßte ihn eine kräftig gebaute Frau mit einem freundlichen Lächeln. Das dunkle Haar fiel ihr bis auf die Schultern, wobei sie einige Strähnen mit einer Klammer befestigt hatte. Die herben, aber offenen Gesichtszüge strahlten ihn mit einer entwaffnenden Herzlichkeit an, die in deutlichem Gegensatz zu den meisten Einwohnern dieser Region standen, die eher von Zurückhaltung und Verschlossenheit geprägt waren.

      „Ich bin Maria Suchier und freue mich sehr, dass Sie unsere wunderschöne Gegend besuchen. Wollen Sie hier Urlaub machen?“

      „Suchier?“ Wolf zog fragend eine Augenbraue hoch. „Das klingt sehr französisch.“

      Das Lächeln der Pensionswirtin vertiefte sich. „Meine Vorfahren waren Hugenotten und sind aufgrund der Verfolgung durch König Ludwig, dem Vierzehnten, in die Landgrafenschaft Hessen-Kassel geflohen.“

      „Un roi, une loi, une foi“, erwiderte Raphael und löste damit bei Maria Suchier einen Ausruf des Erstaunens aus.

      „Sie kennen sich in der Geschichte der Hugenotten aus?“

      „Ein wenig“, gab Wolf zu. „Der Ausspruch des Sonnenkönigs, ein König, ein Gesetz, ein Glaube, ist mir durchaus geläufig. Durch sein Edikt erhob er den Katholizismus zur Staatsreligion und unterband de facto die Religionsfreiheit, die erst sein Großvater eingeführt hatte, um die Hugenottenkriege zu beenden.“

      „Sie wissen weit mehr, als die meisten Menschen, die ich getroffen habe“, erklärte Frau Suchier. „Wenn Sie noch mehr über diese Menschen erfahren wollen, sollten Sie unbedingt das Hugenotten-Museum in Bad Karlshafen aufsuchen.“

      Wolf zuckte mit den Achseln. „Leider wird mir nicht die Zeit bleiben, mich mit diesem traurigen Kapitel der französischen Geschichte und seinen Folgen für die Protestanten auseinanderzusetzen. Ich bin aus beruflichen Gründen hier, da ich an einer Reportage für ein Kunstmagazin arbeite.“

      Suchier schlug die Hände zusammen. „Das trifft sich wirklich gut. Zurzeit hält sich eine kleine Künstlergruppe hier auf. Einige von den jungen Leuten wohnen sogar in meinem Haus.“

      Auf Wolfs Lippen zeigte sich ein dünnes Lächeln. „Genau wegen ihrer Arbeiten bin ich hier. Mein Magazin will eine mehrteilige Reportage über aufstrebende Künstler und ihre Schwierigkeiten, mit ihren Werken in unserer Gesellschaft Anerkennung zu finden.“ Er hielt es für besser, Richters Vorschlag zu ignorieren und die Politik herauszuhalten.

      „Das ist wundervoll“, rief die Wirtin begeistert aus. „Diese jungen Menschen brauchen jede Unterstützung, die sie bekommen können. Ich zeige Ihnen aber erst mal Ihr Zimmer, damit Sie sich danach in aller Ruhe an Ihre Arbeit machen können. Sie müssen wissen, die jungen Leute halten sich meistens auf der Sababurg oder in ihrer Umgebung auf. Sie sind ständig auf Motivsuche. Manchmal präsentieren sie mir am Abend ihre Zeichnungen.“

      Raphael unterdrückte ein Seufzen und folgte Maria Suchier in das Gasthaus. Er konnte nur hoffen, dass ihre Neugier vorerst gestillt war und nicht so weit ging, absolut alles über seine Anwesenheit erfahren zu wollen. Es würde seine Aufgabe nicht gerade einfacher machen, wenn die Gastwirtin in den kommenden Tagen ständig um ihn herum schwirrte.

      5

      Nachdem Maria Suchier ihm sein Zimmer gezeigt hatte, wartete er, bis sie zur Tür hinaus war, und öffnete erst dann seinen Koffer. Er nahm einen Block und einen Stift heraus, um beides in seine Jackentasche zu stecken. Für einen Moment überlegte er, ob er für die erste Begegnung mit Anja Richter auf seine Waffe verzichten sollte, entschied sich aber dagegen.

      Er schloss den kleinen Koffer, ohne ihn weiter auszupacken, und stellte ihn neben das Bett. Sollte er auf die Schnelle abreisen müssen, wollte er nicht auch noch alle Sachen zusammensuchen müssen.

      Er verschloss das Zimmer und steckte den Schlüssel ein. Zu seinem Glück hielt sich die Wirtin nicht an der Rezeption auf, sodass er es zu seinem Wagen schaffte, ohne ein weiteres Mal von ihr aufgehalten zu werden.

      Die Straße schlängelte sich den Berg hinauf. Unterhalb des Jagdschlosses befand sich ein großer Parkplatz, der nur von wenigen Fahrzeugen belegt war. Wolf schaute sich um, als er den Weg zum Jagdschloss einschlug. Ehe er die Burgmauer erreichte, erblickte er neben einer Baumgruppe drei Personen, die im Gras saßen und Zeichenblöcke in den Händen hielten. Anja Richter befand sich nicht unter ihnen.

      Die beiden Männer hoben kurz die Köpfe, ehe sie sich wieder in ihre Arbeit vertieften, während die junge Frau völlig versunken ihren Stift mit schnellen Bewegungen über den Block führte.

      Wolf räusperte sich. „Verzeihung wenn ich Sie störe, aber ich bin auf der Suche nach Frau Richter.“

      Einer der beiden Männer schaute ihn an. „Sie ist nicht hier“, erklärte er kurz angebunden.

      Wolf verdrehte die Augen. „Das ist mir durchaus nicht entgangen. Können Sie mir verraten, wo ich sie finden kann? Ich bin mit ihr verabredet.“

      Erneut hob der Mann den Kopf. Der gleichgültige Ausdruck auf seinem Gesicht war offener Neugier gewichen. „Sie müssen dieser Reporter sein, den sie erwähnt hat.“

      Raphael nickte. „Genau der bin ich.“

      „Ich fürchte, Sie werden nicht viel Freude mit ihr haben“, erklärte der junge Mann grinsend.

      Wolf neigte den Kopf zur Seite. „Wie darf ich das verstehen, Herr ...?“

      „Kramer, aber Sie dürfen mich ruhig Ben nennen. Und das sind Lisa und Harry“, stellte er seine beiden Freunde vor. „Und um auf Ihre Frage einzugehen, Anja klang keineswegs begeistert, dass jemand von der Presse in ihrem Leben herumschnüffeln will.“

      „Ich will nicht in ihrem Leben herumschnüffeln“, erwiderte Raphael. „Mich interessieren mehr ihre Arbeiten und wie sie zu ihrer Berufung steht, obwohl ihr Vater ihre Entscheidung wohl nicht gutheißt.“

      Auf Bens Stirn erschienen mehrere Falten. „Das ist jetzt sehr nett ausgedrückt. Seien Sie mir bitte nicht böse, aber irgendwie habe ich meine Zweifel daran, dass Sie in Anja wirklich nur die Künstlerin sehen.“

      Wolf musterte ihn schweigend. Offenbar sah sich Ben als eine Art Beschützer der jungen Frau. Er hielt es nicht für sinnvoll, sich zu rechtfertigen. Sollte Kramer ruhig den Klatschjournalisten in Wolf sehen.

      Ben fuhr sich über die Lippen. „Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie sollten ehrlich zu ihr sein. Wenn Sie ein falsches Spiel mit ihr treiben, werden Sie nichts von ihr erfahren und schneller davongejagt werden, als Sie hierher gelangt sind.“

      „Danke für die Warnung, Ben. Ich werde mich bemühen, sie zu beachten. Dennoch wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir endlich verraten würden, wo ich Anja finden kann. Bitte.“

      „Oh Mann, Sie klingen, als ginge es um Leben und Tod. Sie sollten lockerer werden.“ Kramer deutete mit dem Stift den Hang hinab. „Sie müssen an dem Betriebshof vorbeigehen, bis Sie den kleinen See vor sich sehen. Dort müsste sie im Augenblick sein. Wenn nicht, dann ist sie um die Burg herum zu einem der anderen Teiche gegangen“, verriet er und hob verschwörerisch eine Augenbraue. „Anja will derzeit ihre Ruhe haben, selbst vor uns. Sie hat uns erklärt, dass sie für ihre Inspirationen ungestört sein möchte.“ Er verdrehte die Augen. „Viel Glück jedenfalls.“

      Wolf bedankte sich. Lisa und Harry hatten ihm während seines Gesprächs mit Ben lediglich einen kurzen Blick geschenkt. Irgendwie kam ihm diese Gruppe recht eigenartig vor. Offenbar glaubten sie, sich als Künstler ein wenig verschroben und exzentrisch verhalten zu müssen. Er konnte nur hoffen, dass Anja Richter trotz Bens Schilderungen zugänglicher war.

      Er schritt über einen schmalen Weg, der an den Gebäuden des Betriebshofes des nahe gelegenen Tierparks vorbeiführte, hangabwärts. Zu beiden Seiten erblickte er vereinzelt oder in kleineren