Andreas Groß

Rosenblut


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Laute herüber. Er konnte die einzelnen Stimmen den verschiedenen Arten, die dort beherbergt wurden, nicht eindeutig zuordnen.

      Als er sich dem See näherte, erkannte er eine schlanke, hochgewachsene Gestalt. Das weiße T-Shirt der jungen Frau hob sich deutlich vom Hintergrund der Laubbäume ab. Anja Richter trug Jeans und weiße Sneakers, die den sportlichen Eindruck, den sie ausstrahlte, weiter verstärkten. Jedes andere Schuhwerk wäre auf dem steinigen und holprigen Gelände auch zu unpraktisch gewesen. Wobei Wolf sich sicher war, dass es durchaus Frauen gab, die sicherlich in Stöckelschuhen durch diese Landschaft laufen würden. Er war überzeugt, Anja würde sich auch in High Heels sicher fortbewegen.

      An ihrer Figur war kein Gramm Fett zu viel, wobei sie keineswegs wie ein Magermodel wirkte, und ihre Figur vielmehr darauf schließen ließ, dass sie regelmäßig Sport trieb. Mit ihrer Größe hätte sie auf jeden Fall eine Zierde auf den Laufstegen der Modebranche dargestellt. Nach seiner Kenntnis hatte sie aber bisher jedes Angebot, als Model für die bekannten Labels und Designer aufzutreten, ausgeschlagen.

      Ihre blauen Augen funkelten hinter einer schwarzen Hornbrille, die ihr ein intellektuelles Aussehen verlieh und sie beinahe schüchtern wirken ließ. Wie Ben bereits angekündigt hatte, schien sie über Wolfs Auftauchen nicht gerade erfreut zu sein. Dennoch ergriff sie seine ausgestreckte Hand und begrüßte ihn mit einem sanften Lächeln.

      „Sie sind Herr Fuchs?“

      Raphael neigte den Kopf. „Sie haben es erraten, Frau Richter. Ich freue mich sehr, dass Sie meinem Anliegen mit Wohlwollen begegnen.“

      Sie hob eine Augenbraue. „Ihr Anliegen? Oder doch wohl eher das meines Vaters?“, erwiderte sie bissig. „Es war mir nicht bekannt, dass sich jemand aus der Medienbranche für meine Kunst interessiert.“

      „Ihr Ruf scheint durchaus besser zu sein, als Sie annehmen. Schließlich bin ich hier.“

      „Touché, Herr Fuchs. Wobei ich mir aber nicht sicher bin, ob es nicht doch mehr an meinem Namen und damit an meiner Herkunft liegt, als an meiner Kunst.“

      Raphael breitete die Arme aus. „Ich jedenfalls bin an Ihrer Kunst interessiert. Über Ihren Vater wird schon so viel geschrieben. Es gibt kaum etwas, das sich noch zu berichten lohnt. Außerdem arbeite ich nicht für eine politisch aktive Zeitschrift. Unsere Leser kann man mit den Verlautbarungen und Aktivitäten der Regierungsmitglieder nicht begeistern. Wenn man über Kunst schreiben will, sollte man die Politik heraushalten.“

      „Trotzdem kommt es meinem Vater nicht ungelegen, wenn ausgerechnet vor den kommenden Wahlen ein schöner Bericht über seine Tochter ‒ selbst in einer eher unbedeutenden Kunstzeitschrift ‒ erscheint. Ansonsten hätte er mich kaum gebeten, Sie zu empfangen.“

      Raphael fuhr sich durch die Haare. „Hören Sie, ich werde Ihre Entscheidung respektieren, wenn Sie lieber nicht mit mir reden wollen. Ich bin nicht der Lakai Ihres Vaters. Es würde mir aber eine große Freude bereiten, wenn Sie mich bei meiner Reportage unterstützen könnten.“

      Anja presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Wenn ich Sie wegschicke, wird es nicht lange dauern, bis ein anderer Kerl hier erscheint. Wenn Sie also schon den Weg auf sich genommen haben, können Sie auch ruhig bleiben. Am Ende bekommt mein Vater doch, was er will.“

      „Das klingt nicht gerade danach, als würden Sie ihn besonders schätzen“, hakte Wolf nach. Er glaubte in ihrer Stimme eine leichte Spur der Verbitterung herausgehört zu haben.

      „Er ist mein Vater und ich liebe ihn“, erwiderte sie. „Jedoch ist er auch Politiker und seine Ansichten muss ich nun mal nicht teilen. Außerdem mag ich es nicht, wenn er mich für seine Zwecke benutzt.“

      „Politik und Kunst werden sich in diesem Fall bestimmt ausschließen. Ich werde kein Loblied auf ihn als Politiker verfassen“, versicherte Wolf. Er konnte ihr Unbehagen durchaus gut nachvollziehen. Die meisten Kinder prominenter Persönlichkeiten begannen die Berühmtheit ihrer Eltern eines Tage zu hassen, wenn sie feststellen mussten, dass man sie eigentlich nur dafür einsetzte, sich als Vater oder Mutter ins rechte Licht zu setzen. Wie häufig kam es vor, dass aufmerksamkeitssüchtige Eltern die eigenen Kinder ins Rampenlicht zerrten, um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, was für ein toller und liebevoller Mensch sie waren. Man zeigte eine heile Welt, die nur selten existierte. Wolf war schon gespannt darauf, was sich hinter der Fassade von Richters Familie verbarg. Es gab immer Schwächen oder Geheimnisse, die Prominente krampfhaft zu verbergen versuchten. Manchmal gelang es ihnen, aber oft kam die Wahrheit dann doch ans Licht.

      Anja neigte nachdenklich den Kopf. „Sie mögen kein schlechter Kerl sein, aber hinter jedem Schreiberling steckt ein Redakteur, der nach mehr verlangt, wenn ihm die Geschichte nicht gefällt. Außerdem wird mein Vater mit Argusaugen darüber wachen, was Sie schreiben.“ Sie warf einen kurzen Blick zu dem See. „Zum Glück leben wir in Zeiten, in denen man schnell feststellen kann, ob jemand die Wahrheit erzählt.“

      Raphael runzelte die Stirn. Wollte sie etwas damit andeuten? „Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen?“

      „Dank des Internets kann man heute in wenigen Augenblicken viel über jemanden erfahren. Dummerweise habe ich in den sozialen Medien nichts über Sie gefunden. Sie scheinen einfach nicht zu existieren. Daher frage ich mich, ob Sie wirklich für eine Kunstzeitung arbeiten?“

      Raphael zückte den Presseausweis und hielt ihn ihr entgegen. „Ich bin kein Freund von öffentlicher Zurschaustellung meiner Person. Daher halte ich mich von Facebook, Twitter, und wie diese Dienste auch alle heißen, fern. Ich habe lieber ein paar echte Freunde im wirklichen Leben. Und wie Sie an meinem Ausweis sehen, bin ich dennoch durchaus real.“

      Anja studierte seinen Legitimationsnachweis, drehte ihn mehrmals herum, ehe sie ihn wieder zurückgab.

      „Dennoch ist es seltsam, dass ausgerechnet ein Journalist, der publizistisch tätig ist, nicht in den sozialen Netzwerken vertreten ist. Das erscheint mir doch sehr unglaubwürdig.“

      „Ich bin halt ein Schreiber, der die gute alte Zeit noch kennt, in der man sein Leben weitaus unabhängiger führte. Außerdem arbeite ich für ein Printmedium. Es reicht, wenn mein Verlag seine Neuigkeiten über Facebook, Twitter und Co verbreitet.“

      Über ihrer Nase bildete sich eine steile Falte. „Sie müssen mein Misstrauen schon verstehen, denn immerhin hat mein Vater mich gebeten, Sie zu empfangen. Und er tut nichts ohne Hintergedanken.“

      „Verstehe“, sagte Wolf. „Dann werde ich mich wohl besser vor ihm in Acht nehmen und aufpassen, ob er einen bestimmten Zweck verfolgt. Bis dahin könnten wir uns vielleicht darauf einigen, dass ich erst mal Ihr Projekt näher in Augenschein nehme? Schließlich will ich darüber ... und über Sie als eine ernstzunehmende Künstlerin berichten.“

      Anja schürzte die Lippen. „Dann wären Sie einer der Ersten. Der letzte Reporter, der mich aufgesucht hat, war eher an gewissen Fotos von mir interessiert.“

      „Ich habe im Augenblick keine Kamera dabei“, bemerkte Wolf lächelnd.

      Anja erwiderte sein Lächeln. „Das sehe ich.“ Sie wandte sich um und nahm einen Zeichenblock auf, den sie neben der Wurzel eines Baumes abgelegt hatte.

      „Meine aktuelle Zeichnung ist noch nicht fertig. Daher müssen Sie mir schon nachsehen, wenn ich sie Ihnen vorenthalte. Ich hasse es, unfertige Arbeiten zu präsentieren. In der Pension liegen jedoch mehrere Bilder, die ich Ihnen gerne zeigen würde.“ Ihre Augen verengten sich. „Sie wissen aber schon, worum es mir bei diesem Projekt geht?“

      Wolf nickte. „Durchaus. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mir unter dem Titel nicht allzu viel vorstellen kann. Er ist doch sehr allgemein gehalten.“

      „Sie werden schon verstehen, wenn Sie meine Zeichnungen zu Gesicht bekommen. Ich möchte das Moderne mit dem Bestehenden verknüpfen. Die Natur gibt uns einfach genügend Vorbilder, die wir nur umsetzen müssen, um unser Leben im Einklang mit unserer Umwelt zu gestalten. Wir können nicht einfach alles ignorieren, zerstören oder nach unseren Wünschen und Vorstellungen formen. Das Individuum ist nicht unsterblich, sondern bewegt sich in einem Fluss, der weit