Andreas Groß

Rosenblut


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Wolf hastig hervor. „Ich bin nicht daran interessiert, Sie auf irgendeine Art und Weise zu verletzen.“

      „Das ist beruhigend.“ Sie öffnete die hintere Tür, legte den Block auf die Rückbank, ehe sie selbst auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Raphael stieg ein und startete den Wagen. Bereits nach wenigen Minuten hielt er vor dem Gasthaus.

      Erst jetzt wandte sich Anja wieder ihm zu. „Ich würde Ihnen gerne meine bisherigen Arbeiten zeigen. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, kurz im Gastraum auf mich zu warten, gehe ich schnell auf mein Zimmer und hole meine Mappe mit den Zeichnungen.“

      „Ich freue mich darauf“, sagte Raphael, was der Wahrheit entsprach. Anjas Arbeiten interessierten ihn nicht allein aus beruflichen Gründen. Er wollte sich mit eigenen Augen überzeugen, wie gut sie wirklich war. Auch wenn er keine fachmännische Expertise erstellen konnte, ließe sich zumindest herausfinden, ob sie die Fähigkeiten einer Künstlerin besaß, einen Laien wie ihn für sich zu gewinnen. Außerdem half es ihm bei der Einschätzung ihres Vaters und seiner Ansichten.

      Zu seiner Erleichterung hielt sich niemand im Gastraum auf. Er musste auch nicht lange auf Anja warten. Bereits nach wenigen Minuten setzte sie sich neben ihn und legte eine Ledermappe vor ihm ab. Raphael zog an den Bändern, bis sie lose herabhingen, und klappte sie auf. Schon beim Anblick des obersten Bildes stieß er einen Pfiff aus. Das Bild war nicht nur gut, es war hervorragend gezeichnet, die Darstellung der Landschaft unbeschreiblich realistisch. Er konnte liebevoll erfasste Details ausmachen, die höchstens einem geschulten Betrachter auffielen. Jetzt erwies es sich als Vorteil, dass er über eine besonders ausgebildete Beobachtungsgabe verfügte. Er nahm das Bild zur Seite und betrachtet die nächste Zeichnung. Sie zeigte die Sababurg von einem Blickwinkel aus, der dem Jagdschloss eine besondere Ausstrahlung innerhalb der dargestellten Umgebung verlieh. Die Farben des nächsten Bildes leuchteten mit einer Intensität, die ihn wie magisch anzogen. Jede Nuance war aufeinander abgestimmt und es schien, als betrachte er ein Foto. Er kannte die Technik, mit der das Bild hergestellt worden war. Viele moderne Zeichner verwendeten die Airbrush-Methode, bei der die Farbe mit Hilfe einer Spritzpistole auf das Papier oder die Leinwand aufgetragen wurde. Das ermöglichte feinste Farbverläufe und auf diese Art eine fotorealistische Darstellung von Menschen und Gegenständen. Einer der bekanntesten Künstler dieser Technik war der bereits verstorbene Schweizer Hans Rudolf Giger.

      Raphael hob den Kopf und blickte Anja fest in die Augen. „Diese Bilder sind toll. Sie gefallen mir ausgezeichnet. Ich liebe diese Art der Malerei, aber auch Ihre Schwarz-Weiß-Zeichnungen finde ich sehr gelungen. Ich muss natürlich gestehen, dass ich keine Begabung zum Zeichnen habe. Aber eine bescheidene Einschätzung über vorhandenes Talent kann ich dennoch abgeben. Und Sie besitzen eine herausragende Begabung.“

      „Sie meinen das wirklich ernst?“ Zweifel klangen in ihrer Stimme nach. „Ich hatte einen Kunstprofessor, der meine ersten Versuche als ‚dilettantische Schritte eines unbegabten Paul Wunderlichs‘ beschrieb. Das nahm mir beinahe jede Hoffnung, eines Tages ernst genommen zu werden.“

      „Zum Glück haben Sie nicht aufgeben.“ Wolf pochte auf die Mappe. „Diese Bilder zeugen eindeutig von Ihren Fähigkeiten. Haben Sie schon mal über eine Ausstellung nachgedacht?“

      Sie verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Durchaus, aber bisher habe ich noch keine Galerie gefunden, die meine Werke ausstellen will. Ich muss aber auch zugeben, dass ich mich nicht so ernsthaft darum bemüht habe. Allerdings befürchte ich auch, die Galerien würden mich am Ende allein wegen meines Namens nehmen, um dadurch ihre Bekanntheit zu steigern. Immerhin bin ich die Tochter des prominentesten Politikers dieses Bundeslandes.“

      „Sie sollten mehr Vertrauen in Ihre Arbeiten setzen. Diese Zeichnungen sprechen für sich. Ich würde sie gerne einer guten Bekannten von mir zeigen. Wir haben uns bei … einem anderen Job kennengelernt. Sie ist zufällig Galeristin. Ich werde Ihren Namen nicht erwähnen, wenn Sie es so wünschen. Dann können wir sehen, ob Sie als Tochter von Matthias Richter oder als eine begabte Künstlerin wahrgenommen werden.“

      „Das würden Sie wirklich für mich machen?“ Sie riss die Augen auf. Ein hoffnungsvolles Leuchten erschien in ihren Augen. Raphael erkannte seine Chance, ihre Sympathien endgültig für sich zu gewinnen.

      „Natürlich, meine Bekannte wird mir gerne diesen kleinen Gefallen erweisen, wenn ich sie darum bitte.“

      „Das ... das ... wäre Wahnsinn“, stieß Anja aus. „Ich würde Ihnen ewig dankbar sein.“

      Raphael zuckte mit den Schultern. „Ewig ist nicht notwendig. Aber ich mach es gerne für Sie. Natürlich kann ich Ihnen nicht versprechen, dass ihr die Bilder auf gleiche Weise zusagen. Jedoch bin ich mir sicher, sie wird sie sich mit Interesse anschauen und ein fachkundiges Urteil fällen.“

      „Das würde mir schon sehr viel bedeuten“, bemerkte Anja. „Ich wollte meine Arbeiten schon immer für die Menschen und nicht für irgendwelche Kritiker herstellen.“

      „Ihr Vater scheint jedenfalls nicht sehr davon überzeugt zu sein“, warf Raphael ein.

      Sie verzog das Gesicht zu einer grimmigen Miene. „Mein Vater ist ein Realist, ein Politiker. Für ihn gibt es lediglich Fakten, gute oder schlechte Nachrichten. Er sieht alles Schwarz-weiß. Dazwischen ist kein Platz für Träumereien und Sehnsüchte. Es ärgert ihn schon sehr, dass ich keinen Beruf wie Juristin oder Ärztin erlernt habe.“

      „Das ist wirklich bedauerlich“, bemerkte Raphael. „Künstler und Träumer sind in meinen Augen für die Gesellschaft absolut notwendig. Sie bringen mit ihren Werken Freude in das Leben vieler Menschen.“

      „Ich hätte es nicht besser ausdrücken können“, sagte Anja erfreut. „Für einen Journalisten besitzen Sie einen ausgesprochen feinen Sinn für das Schöne im Leben.“

      „Jetzt schmeicheln Sie mir“, lachte Raphael. „Aber ich muss zugeben, dass mein Beruf es absolut erforderlich macht, sich in andere Menschen, in ihr Fühlen und Denken, hineinversetzen zu können.“

      „Das kommt leider selten vor. Meistens wollen Reporter nur über Dinge berichten, die eine große Schlagzeile bringen.“

      Raphael schüttelte den Kopf. „Keine Angst. Auf mich trifft das keineswegs zu. Ich habe andere Ziele.“ Er hob die Hände. „Ihr Vater hat noch zwei weitere Kinder, die einen vernünftigen Beruf ergriffen haben.“

      Anja schob die Unterlippe vor und nickte. „Das stimmt. Michael arbeitet in einer Bank als Berater und wird schon bald in die Chefetage aufsteigen. Und Stephanie hat ihr Kunststudium abgebrochen und studiert derzeit Biologie.“

      „Darüber war er bestimmt sehr erfreut?“

      „Erfreut ist schon zutreffend. Ich würde sogar sagen, er war richtig erleichtert, dass meine Schwester zur Vernunft gekommen ist. Dabei hatte ich immer angenommen, sie wollte Schauspielerin werden.“

      Raphael hob fragend die Augenbrauen. „Daran wäre doch nichts auszusetzen gewesen?“

      „Für ihn ist das eine noch größere, brotlose Berufung. Wenn Stephanie wirklich ihren Wunsch umgesetzt hätte, versichere ich Ihnen, dass sie den Kopf gewaschen bekommen hätte, obwohl wenn sie als sein Liebling gilt.“

      „Das ist nicht Michael, Ihr Bruder?“, fragte Raphael verwundert.

      Anja schüttelte den Kopf. „Michael war immer ein Musterschüler. Unser Vater ist stolz auf seinen Werdegang, aber Stephanie ist sein Lieblingskind.“

      „Dann fallen Sie wohl aus der Reihe?“

      Anja seufzte. „Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Die Eigensinnige, die sich nicht fügen will. Sie glauben gar nicht, was los war, als ich Christoph zum ersten Mal mitgebracht und als meinen Freund vorgestellt habe. Sie müssen nämlich wissen, dass er wirklich zur Schauspielschule geht. Aber im Gegensatz zu vielen anderen meiner Mitmenschen muss er sich keine Sorgen machen. Er stammt aus einer reichen Familie, die ihn mit einem Haufen Geld ausgestattet hat, damit er in Ruhe seiner Ausbildung nachgehen kann.“

      Raphael machte sich gedanklich mehrere Notizen. Er musste sich doch wohl näher