Andreas Groß

Rosenblut


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sie dir doch genau an. Es ist alles ordentlich hier. Nichts wurde umgeworfen, verschoben und von seinem Platz gerückt. Tanja liegt fein aufgebahrt, als hätte man sie zum Schlafen hingelegt. Nichts deutet auf einen Kampf hin. Entweder wurde sie überrascht und alles ging wahnsinnig schnell, sodass sie sich nicht großartig wehren konnte. Oder der Täter hat hinterher auch noch aufgeräumt. Dann muss er schon sehr ordnungsliebend sein. Eine Beziehungstat wird in der Regel aus Wut oder aus Hass meist im Affekt begangen. Niemand würde sich danach noch Zeit nehmen, aufzuräumen oder sein Opfer anschließend auf das Bett zu legen. Oder eigentlich eher zu drapieren, mit den Haare und der Rose. Ganz zu schweigen von den ausgestochenen Augen.“

      Jäger nickte bedächtig. „Ich habe die große Befürchtung, du könntest mit dieser These richtig liegen. Aber du weißt auch, was das bedeuten würde?“

      Cornelias Kiefer traten deutlich hervor. „Ja“, sagte sie schließlich. „Er wird weiter töten oder hat bereits getötet. Sollte dies der Fall sein, haben wir es mit einem Serientäter zu tun.“

      „Wovor uns Gott bewahren möge!“, seufzte Markus. „Ausgerechnet jetzt muss Raphael abwesend sein. Er besitzt ein untrügliches Gespür für derartige Monster.“ Er holte tief Luft. „Okay, behandeln wir den Fall vorerst als ein ganz normales Tötungsdelikt. Du durchleuchtest mit Jens den persönlichen Hintergrund von Tanja Weber. Wer waren ihre Freunde? Hatte sie Feinde? Gab es irgendwo Ärger, in der Uni oder in der Familie? Einfach das ganze Programm. Vielleicht finden wir Anhaltspunkte, die uns weiterhelfen.“ Er legte eine Pause ein, ehe er fortfuhr. „Und versuch herauszufinden, was das für ein Kleid ist, das sie da anhat, und warum sie es trägt. Irgendwie erscheint mir dies doch recht seltsam.“

      Conny nickte. „Das ist mir auch schon aufgefallen. Ich kenne kein junges Mädchen, das in ein derartiges Outfit im Schrank hat. Außer es steckt ein religiöser Grund, ein seltsames Hobby oder eine Erkrankung dahinter. Doch bevor ich mich damit befasse, suche ich als Erstes ihre Eltern auf und sehe, wie sie auf die Nachricht reagieren. Ich glaube zwar nicht, dass sie mit dem Tod ihrer Tochter etwas zu tun haben, aber ich möchte mich lieber vergewissern.“

      Sie drehte sich um und ging zu Veit, der am Wohnungseingang auf sie wartete. Zwei Männer mit einem Zinksarg tauchten hinter ihm auf.

      „Können wir die Frau mitnehmen?“, fragte der Ältere.

      „Wir haben alle Spuren gesichert. Unsere Mediziner haben ihre Untersuchungen abgeschlossen. Bringen Sie die Leiche in die Gerichtsmedizin zu Dr. Keitel. Er soll so schnell wie möglich mit der Obduktion beginnen. So wie ich ihn kenne, wird er in seiner unnachahmlichen Art unsere Leute als unfähige Stümper bezeichnen, die seine Fähigkeiten nie erlangen werden.“

      Jäger schenkte der Toten einen letzten Blick, ehe er sich abwandte. Bei dem Polizeibeamten an der Tür blieb er kurz stehen. „Sie können, sobald der Leichnam weggebracht wurde, die Wohnung versiegeln“, wies er ihn an.

      Auf dem Gesicht des Beamten lag ein trauriger Ausdruck. Schweigend senkte er kurz den Kopf. Im Grunde gab es auch nichts zu sagen.

      Jäger war froh, dass die Presse von der Tat noch nicht Wind bekommen hatte. Normalerweise wäre mindestens schon ein Reporter der lokalen Zeitungen aufgetaucht. Angeblich sollte es am späten Nachmittag auf der A7 zum wiederholten Mal einen schweren Verkehrsunfall mit mindestens drei Toten gegeben haben. Wahrscheinlich war ein Lastkraftwagen in ein Stauende gerast.

      Jäger schüttelte kurz den Kopf angesichts des Wahnsinns, der sich mittlerweile auf Deutschlands Straßen abspielte. Die Konzentration und Aufmerksamkeit vieler Verkehrsteilnehmer galt immer häufiger nicht mehr dem Straßenverkehr. Er fragte sich, wie lange die Politiker diesem Treiben noch tatenlos zuschauen wollten. Zum Glück war es nicht seine Aufgabe, sich um diese Probleme kümmern zu müssen. Und es hielt offenbar die Mitarbeiter der Pressehäuser davon ab, hier vorzeitig zu erscheinen. In seinen Augen genügte es auch, wenn der Polizeisprecher ein kurzes Statement abgab.

      Mit einem schmallippigen Lächeln drückte er auf die Klingel der Nachbarwohnung. Es dauerte eine gute Minute, bis ihm ein durchtrainiert aussehender Typ die Tür öffnete. Im Flur sah Jäger eine Sporttasche stehen, auf dem das Logo der Kasseler Huskies, einem recht erfolgreichen Eishockeyverein, prangte.

      „Frank Müller?“, fragte Markus und zückte seinen Polizeiausweis.

      Der junge Mann nickte und zog die Tür ganz auf, um ihn hereinzulassen. Wortlos drehte er sich um und ging zu einem abgewetzten Sessel.

      Jäger schloss die Tür und folgte ihm in die spartanisch eingerichtete Wohnung. Neben dem Sessel, einem Schreibtisch, auf dem ein Laptop stand, und dem dazugehörigen Stuhl konnte Jäger noch einen großen Schrank ausmachen, der aus einem schwedischen Möbelhaus stammte. Ein Einzelbett an der anderen Seite des Raumes vervollständigte das Bild. Ein schmaler Durchgang führte zu einer angrenzenden Kochnische. Beim Vorbeigehen warf Jäger einen kurzen Blick hinein. In der Spüle stapelten sich mehrere Teller mit Essensresten und auf dem Herd stand ein Topf, dessen Rand mit einer undefinierbaren Masse verkrustet war. Es schien sich um den vertrockneten Teil einer Soße zu handeln.

      Markus zog es angesichts des Staubs und der unzähligen Krümel, die auf dem Boden herumlagen, vor, in der Mitte des Raumes stehen zu bleiben.

      Obwohl Frank Müller aufgrund seiner sportlichen Aktivitäten ein furchtloser und kräftiger junger Mann sein musste, zitterten seine Hände und Arme. Jäger vermutete, dass er unter Schock stand. Man stieß nicht jeden Tag auf eine Leiche. Und wer noch nie einen Toten gesehen hatte, konnte den Anblick nur schwer verarbeiten.

      Jäger zückte seinen Ausweis. „Mein Name ist Markus Jäger. Ich bin der leitende Beamte bei dieser Ermittlung. Auch wenn Sie bereits mit meiner Kollegin gesprochen haben, würde ich Ihnen gerne noch einige Fragen stellen.“

      Müller schaute auf und deutete auf den Schreibtischstuhl. „Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich ... ich bin noch vollkommen durcheinander. Ich ... ich bekomme einfach diesen leeren Blick in ihren Augen nicht aus meinem Kopf“, brachte er mühsam hervor. „Sie standen so weit offen ... und schrien noch immer um Hilfe. Wenn ich doch bloß früher vom Training zurückgekommen wäre, dann hätte ich sie bestimmt retten können.“

      Jäger biss sich auf die Unterlippe, als er sich auf den Drehstuhl setzte. „Sie dürfen sich nicht die Schuld an ihrem Tod geben“, versuchte er beruhigend auf den aufgelösten Studenten einzuwirken. „Ich glaube nicht, dass eine Rettung möglich gewesen wäre. Der Mörder wird bestimmt auf eine günstige Gelegenheit gewartet haben. Wissen Sie zufällig, ob sich am späten Nachmittag viele Bewohner im Haus aufhielten?“

      „Es tut mir leid. Es herrscht hier ein ständiges Kommen und Gehen. Die meisten gehen nach der Vorlesung nach Hause, viele haben am Nachmittag frei, gehen jobben oder wie ich zum Sport. Einige sind dann erst sehr spät daheim. Es gibt Tage, da halten sich mehr Studenten hier auf, und dann gibt es auch Abende, da hat man das Gefühl allein in diesem Gebäude zu sein.“

      Jäger nickte verstehend. „Das hatte ich schon befürchtet. Wie war es denn heute? War außer Tanja auf diesem Stockwerk noch jemand in seiner Wohnung?“

      Müller runzelte die Stirn. „Heute ist ... Dienstag. Soweit ich weiß, kann höchstens noch Stefan da gewesen sein. Sonja arbeitet ab Mittag im Café und Ali hält sich mit Freunden im Fitnessstudio auf.“

      „Können Sie mir die vollständigen Namen geben?“

      Jäger zückte sein Notizbuch sowie einen Kugelschreiber und schrieb die Angaben auf, die ihm der Student machte.

      „Ich bin mir sicher, dass Sie meiner Kollegin schon das Wesentliche gesagt haben. Trotzdem würde ich gerne noch einmal von Ihnen hören, wie Sie Tanja Weber aufgefunden haben.“

      Frank Müller faltete die Hände, legte sie für einige Zeit an die Stirn, um sie anschließend wieder herunterzunehmen. Jäger sah ihm an, wie er sich deutlich zusammenreißen musste, als er die Erlebnisse erneut abrief.

      „Ich war wie immer von meinem Training zurückgekehrt“, erzählte Müller. „Eigentlich gehe ich nie sofort zu Tanja, aber sie hatte mich gebeten, gegen halb sieben vorbeizukommen, da ich