Andreas Groß

Rosenblut


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glücklich. Tief in seinem Innern hatte er gehofft, keinen ungewöhnlichen Todesfall gemeldet zu bekommen, solange Raphael in unbekannter Mission unterwegs war. Dummerweise hielten sich Mörder nicht an seine Wünsche. Und mit Mord hatte er es hier eindeutig zu tun. Die junge Frau war auf keinen Fall durch einen Unfall gestorben. Und nach Totschlag sah die Szenerie, die sich ihm von der Eingangstür aus bot, absolut nicht aus.

      Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit bereits abgeschlossen und lediglich ein Mitarbeiter machte noch einige Tatortfotos. Cornelia Becker und Jens Veit schälten sich gerade aus ihren Schutzanzügen und verstauten sie für eine spätere Entsorgung in Plastiksäcken.

      Die junge Oberkommissarin warf den Kopf nach hinten und fuhr sich durch die blonden Haare, um einige wild abstehende Strähnen wieder in Form zu streichen. Auf Veits jungenhaftem Gesicht lag ein bedrückter Ausdruck. Ihm ging der Tod des Mädchens besonders nahe. Das war auch kein Wunder, denn schließlich stammte er aus der gleichen Generation. Die Tote durfte höchstens vier Jahre jünger als der Kommissar sein.

      Die Mediziner waren erst vor wenigen Minuten aus der Wohnung verschwunden. Sie hatten sich, wie üblich, noch nicht eindeutig auf einen genauen Todeszeitpunkt festlegen lassen, sondern ihn lediglich auf einen ungefähren Zeitraum eingegrenzt. Zumindest bei der Todesursache waren sie sich einig gewesen. Die Hämatome mit dem deutlich erkennbaren Abdruck am Hals deuteten auf die starke Gewalteinwirkung hin, die bei einer Erdrosselung entstand. Genaueres würde sich nach der weitergehenden Obduktion im gerichtsmedizinischen Institut herausstellen.

      Jäger überraschten die vagen Aussagen nicht. Dafür kannte er die Mediziner zu lange. Es genügte ihm zu wissen, dass die Tat vor achtzehn Uhr verübt worden war. Und dass die Frau offensichtlich ermordet worden war. Dies reichte ihm, um schon mal in eine bestimmte Richtung zu ermitteln.

      Er rieb sich über das Kinn. „Habt ihr einen Ausweis von ihr gefunden?“, hakte er nach. „Handelt es sich bei der Verstorbenen um die Person, die hier wohnen soll?“

      Cornelia hielt einen durchsichtigen Plastikbeutel hoch, in dem eine Scheckkarte steckte. Da mittlerweile Führerschein, Personalausweis und alle Arten von Bankkarten dieselbe Größe besaßen, konnte Jäger nicht sofort erkennen, um was es sich handelte. Erst als Conny den Beutel herumdrehte, erkannte er ein Lichtbild.

      Mit einem kurzen Nicken deutete sie auf den Leichnam. „Der Name der Toten lautet Tanja Weber. Sie ist auch diejenige, die hier gemeldet ist.“

      „Wie alt?“ Jägers Stimme klang belegt.

      „Neunundzwanzig“, erwiderte Conny.

      „Ich hätte sie für viel jünger gehalten“, gestand er.

      „Vielleicht ist sie mit dem Studium gerade fertig geworden“, vermutete Veit. „Oder sie hat noch ein Zweitstudium aufgenommen.“

      „Überprüft das“, sagte Jäger. „Normalerweise dürfen hier nur Studenten wohnen. Ich will wissen, ob sie sich die Wohnung möglicherweise mit falschen Angaben gemietet hat. Wer informiert die Angehörigen?“

      Veit blickte betreten zu Boden. Jäger konnte seine Reaktion gut verstehen. Es war nie besonders angenehm, jemandem über das Ableben eines engen Verwandten unterrichten zu müssen.

      „Ich mache das“, erklärte Conny. „Jens wird mich dabei begleiten. Immerhin müssen wir den Eltern einige Fragen zu ihrer Tochter stellen.“

      „Gut“, stimmte Jäger zu. „Ich werde mich im Haus umhören. Vielleicht können mir einige Bewohner etwas über Tanja Weber erzählen. Wer hat die Tote übrigens gefunden?“

      „Ein gewisser Frank Müller, ihr Nachbar und ein Student der Ingenieurswissenschaften. Er stand vorhin ziemlich unter Schock und hat ein Beruhigungsmittel bekommen, jede weitere Hilfe hat er erst mal abgelehnt“, entgegnete Veit.

      „Dann werde ich mich gleich mal mit ihm unterhalten“, erklärte Jäger.

      Er presste die Lippen zusammen, als er den kleinen Raum bis zu dem Bett durchquerte. Obwohl er ähnliche Anblicke bereits kannte, stieg in ihm eine tiefe Beklemmung und Zorn empor. Er würde Menschen niemals verstehen, die eine derartige Tat verübten. Besonders eine Handlung des Täters verstörte ihn zutiefst.

      Tanja Weber lag auf dem Rücken auf dem Bett. Wenn die Sache mit den Augen nicht wäre, könnte man beinahe annehmen, sie würde lediglich schlafen. Doch der grauenvolle Anblick der leeren, blutverkrusteten Augenhöhlen jagte Markus Jäger einen kalten Schauer über den Rücken. Ihr Gesicht wirkte wie die Maske eines Clowns, eines bösartigen Clowns. Wie konnte jemand fähig sein, einem anderen Menschen die Augäpfel aus den Höhlen zu schneiden? Warum beging der Mörder diese grauenvolle Handlung? Nach dem geringen Ausmaß der Blutungen musste das Ritual post mortem erfolgt sein. Zumindest war er nicht so grausam vorgegangen und hatte der Studentin bei vollem Bewusstsein die Augen geraubt. Mühsam riss Jäger sich von dem Anblick los.

      Die brünetten Haare der jungen Frau breiteten sich wie ein Fächer um ihren Kopf aus. Ihre Kleidung sah sehr ordentlich, aber auch recht eigenwillig aus. Nichts war zerrissen oder wirkte, als hätte jemand versucht, sich an ihr zu vergehen. Sie trug ein schlichtes Kleid, welches in seinem Schnitt recht altertümlich wirkte. Eigenartigerweise konnte man erkennen, dass sie darunter eine Jeans anhatte. Auch unter dem Dekolleté des Kleides schimmerte ein weißes T-Shirt durch.

      Wer trug denn eine Hose und ein Oberteil zu einem Kleid? Und das in der eigenen Wohnung? Ihre Beine waren geschlossen und die Füße steckten in flachen Slippern. Nichts sah ungewöhnlich an ihr aus. Es gab jedoch ein winziges Detail, das Markus Jäger beim Betreten sofort aufgefallen war. Es erschien ihm, neben dem Raub der Augen, irgendwie eigenartig, zumindest außergewöhnlich. Ihre Hände waren aufeinander gelegt und zwischen den Fingern steckte eine rote Rose. Sie besaß keine große Blüte, auch fehlten Dornen. Die Blütenblätter waren weder welk noch geknickt.

      Warum stahl er die Augen und steckte ihr gleichzeitig diese Rose zu?

      Ein Schatten glitt über Jägers Gesicht, als Cornelia neben ihn trat.

      „Was hältst du davon?“, fragte er sie. „Auf mich macht es den Eindruck, als würde es sich um eine Beziehungstat handeln.“

      „Du meinst, der Mörder hat hinterher seine Tat bereut?“, erwiderte Cornelia und zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher, ob das zutrifft. Es wirkt auf mich eher wie ein Liebesbeweis. Klingt zwar genauso verrückt, aber eine rote Rose überreicht man doch eher als Ausdruck seiner Zuneigung.“

      „Ein Mord aus Liebe?“ Jäger schritt langsam auf die andere Seite des Bettes. „Kann ich mir kaum vorstellen. Nach Reue sieht es mir auch nicht aus. Denn welcher Mörder, der aus Liebe, vielleicht im Affekt, tötet, würde sich dann die Zeit nehmen, die Augen herauszuschneiden?“ Er streifte sich einen Gummihandschuh über die rechte Hand. Fragend blickt er den Polizeifotografen an.

      „Sie sind hier fertig?“

      Der Mann senkte seine Kamera und nickte. „Ich habe alle Bilder im Kasten.“

      Jäger beugte sich über die Tote und zog vorsichtig die Rose aus ihren Händen. Erst jetzt, bei genauerem Betrachten bemerkte er, dass es eine täuschend echte Nachbildung war, auf die er im ersten Moment tatsächlich hereingefallen war. Cornelia hielt ihm einen geöffneten Plastikbeutel hin und er schob die Blume hinein. Danach zog er den Handschuh wieder ab und nahm die Tüte mit dem Beweisstück an sich.

      „Soweit ich feststellen konnte, hat Tanja Weber keine künstlichen Blumen in der Wohnung. Daher muss der Täter sie mitgebracht haben.“

      Cornelia schaute sich kurz um. „Sieht aus, als hättest du mit deiner Annahme recht. Übrigens befanden sich auf dieser Rose keine Fingerabdrücke. Daher nehme ich auch an, dass er sie hier platziert hat. Tanja oder eine andere Person würden die Blüte bestimmt nicht abwischen.“

      „Auf jeden Fall will der Mörder damit etwas andeuten“, erklärte Jäger. „Doch ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was.“

      Cornelia stemmte die Hände in die Hüften und starrte die Tote an. „Nicht nur das Verschwinden der Augen