Wolfgang Voosen

Das Dossier


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- wie soll ich sagen - nicht die gleiche Qualität wie früher aufwiesen.“

      „Du meinst, sie waren schlecht!“

      „Nein, nicht schlecht, aber vielleicht nicht ganz so gut recherchiert wie sonst. Ein biss­chen oberflächlich. Zum Beispiel jetzt die Sache mit den Chinesinnen. Wenn wir das so in Druck geben würden, wie du es geschrieben hast, hätten wir in null Komma nichts eine Unterlassungsklage am Hals!“

      „Das sehe ich zwar anders, aber im Prinzip hast du recht. Bin selbst mit dem, was ich so in den ersten Wochen nach meiner Rückkehr verzapft habe, alles andere als zufrieden. Aber es geht mir eben nicht aus dem Sinn, dass Paul käuflich gewesen sein soll. Auch sein angeblicher Suizid passt nicht ins Bild.“

      „Doch du kannst die Ergebnisse der KTU nicht einfach völlig ignorieren. Wenn ich richtig informiert bin, dann waren an Pauls Händen und an seiner Schläfe Schmauchspuren. Die Lage seines Oberkörpers, seines rechten Arms, seines Kopfes ... all das entsprach exakt der Analyse des Geschehensablaufs. Aus der Pistole war ein einziger Schuss ab­gegeben worden und auf ihr befanden sich nur seine Fingerabdrücke. Am überzeu-

      gendsten war letztlich, dass auch auf der Tastatur ausschließlich Pauls Fingerabdrücke zu finden waren. Die hat der große Unbekannte ja nicht dahin gezaubert.“

      „Du kannst es drehen und wenden, wie du willst. Ich bleibe dabei. Der Abschiedsbrief auf seinem Rechner ist getürkt. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Wenn er schon mir gegenüber keine Andeutung gemacht hat, dann hätte er mit Sicherheit we­nigstens Heinz irgendeinen Hinweis gegeben.“

      „Aber du weißt doch, dass er alles, aber wirklich alles, in seinen Laptop gehauen hat. Keine noch so kleine Notiz schrieb er mit der Hand. Schau auf seinem Schreibtisch nach. Übersät von kleinen handgeschriebenen Zetteln, aber nicht ein einziger, der von ihm selbst stammt.“

      „Trotzdem“, sagte sie trotzig wie ein kleines Kind, „ich bleibe dabei. Der Abschiedsbrief ist getürkt. Wer vorhat zu sterben - und Paul war immer ein äußerst rational denkender und handelnder Mensch - hinterlässt keine Rätsel. Gerade er als akribischer Journalist hätte seine Story zu Ende gebracht. Er hätte aufgeklärt, schonungslos und offen. Scho­nungslos gegen sich selbst, wie er auch Anderen gegenüber, die sich schuldig gemacht hatten, immer gewesen ist.“ Und leise, wie zu sich selbst, fügte sie hinzu: „Er hätte sich nicht feige davongeschlichen.“

      „Was heißt das im Klartext?“, wollte Manfred wissen. „Willst du die ganze Sache wieder aufrollen? Glaubst du den Recherchen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft nicht? Vermutest du ein Komplott? Meinst du, Paul könnte einigen Herren in Russland allzu heftig mit seiner letzten Reportage über die Ermordung von Andrej Koslov im Sep­tember auf die Füße getreten sein? Natürlich hat der Vizechef der Zentralbank sich kei­ne Sympathien bei denen erworben, die alles andere als Licht ins Dunkel international operierender russischer Banken bringen wollten? Aber glaubst du, dass der russische Bär seine Arme bis zu uns nach Köln ausstreckt? Glaubst du am Ende sogar an eine geheimnisvolle Verschwörung zwischen Duma und russischer Mafia?“

      Auf Verena prasselten seine Fragen wie ein starker Gewitterregen nieder. Sie nahm ihm übel, dass er nicht empfand wie sie, oder dass er nicht wenigstens Verständnis für ihre Zweifel aufbrachte. Sie konnte sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, dass der Sta­chel des Verletztseins, nicht der engste Vertraute von Paul gewesen zu sein, bei seiner heftigen Reaktion die eigentliche Ursache war.

      Sie schwieg deshalb eine Weile, blickte den immer noch perlenden Regentropfen an der Scheibe nach und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren, bevor sie sich wieder Manfred zuwandte.

      „Du verstehst mich nicht, oder du willst mich nicht verstehen. Paul und mir ist es immer um Gerechtigkeit gegangen. Wie könnte ich mich damit abfinden, ihm nicht Gerechtig­keit widerfahren zu lassen? War er schuldig, muss ich damit künftig leben. Aber ich will Gewissheit! Ich will wissen, ob er käuflich war oder ob ein teuflisches Netz gesponnen wurde, in dem er sich verfangen hat. Ich brauche Sicherheit, ob er Schuld auf sich gela­den hat oder, wenn das nicht der Fall ist, wer dahinter steckt.“

      „Du glaubst also tatsächlich an eine Verschwörung?“

      „Nein, Manni, du verstehst mich immer noch nicht“, fuhr Verena fort. „Ich will hier keine düstere Verschwörungstheorie um jeden Preis konstruieren, nur damit ich Paul reinwa­schen kann. Es geht mir um die Wahrheit. Begreifst du das? Die Wahrheit will ich wis­sen. Wenn es tatsächlich ein Netzwerk gibt, dann will ich, dass jeder Einzelne zur Ver­antwortung gezogen wird. Ich will nicht diese mafiösen Strukturen, wie sie in Italien und Amerika gang und gäbe sind, für unser Land akzeptieren. Ich will nicht, dass irgend­wann jeder, der Teil der Exekutive oder der Judikative ist, sich zurückzieht, weil er sonst um sein Leben oder das seiner Familie fürchten muss. Wie gesagt, ich kann mich irren. Ich gebe zu, dass sicherlich ein Teil meiner Überzeugung zurzeit noch darauf zurückzu­führen ist, dass ich Paul geliebt habe. Aber ich würde mich schuldig machen, wenn ich seine Geschichte nicht schonungslos aufklärte, möglicherweise mit dem für mich bitteren Ende, dass ich ihn nicht so gekannt habe, wie ich glaubte, ihn zu kennen.“

      Verenas Gegenüber schwieg. Soeben hatte er sich im Inneren noch etwas mokiert über ihre, wie er zunächst meinte, Verbohrtheit, über ihre durch Liebe geschlagene Blindheit. Doch jetzt war er nicht nur sprachlos und tief beeindruckt von ihrem flammenden Appell. Zunächst beleidigt wegen der ihm erst jetzt anvertrauten und daher besonders bitteren Wahrheit, meldete er sich jetzt als gemeinsamer, verlässlicher Freund von Paul ebenso wie von Verena. Auch der Journalist ihn ihm kehrte zurück.

      „Glaub mir, ich wollte mich nicht lustig machen über dich. Im Gegenteil. Immer habe ich dein Engagement und deinen Spürsinn bewundert, der sich ja auch oft, wenn ich schon nicht mehr an den Erfolg glaubte, als richtig erwiesen hat. Vor allem geht es dir hier auch nicht - das habe ich inzwischen kapiert - um dein subjektives Empfinden, sondern um die objektive Wahrheit.“

      „Ja“, sagte Verena leise und lächelte ihren Chef erlöst an. „Nun scheinst du mich endlich verstanden zu haben.“

      „Wie stellst du dir das nun vor, wie es weitergehen soll?“, fragte er, und es schwang eine gewisse Ratlosigkeit in seinen Worten mit.

      „So ganz genau weiß ich das auch noch nicht. Aber auf jeden Fall will ich da weiterma­chen, wo ich vor meiner Rückkehr in die Redaktion aufgehört hatte. Du musst nämlich wissen, dass ich in den vergangenen Monaten seit Pauls Tod schon eine Menge Re­cherchen angestellt, aber schließlich aufgegeben hatte, als alle Spuren sich als falsch erwiesen oder im Sande verliefen. Ich hatte resigniert. Nachdem mir nun aber in den letzten Wochen klar wurde, dass meine journalistischen Fähigkeiten vor die Hunde ge­hen, wenn ich diese Geschichte nicht zu Ende bringe, will ich erneut aussteigen. Denn ich bin sicher, dass ich danach - wann immer das sein wird - wieder die sein werde, um die der 'Puls‘ bisher beneidet wurde. Zugegeben, das klingt ein wenig überheblich, aber du weißt, wie ich das meine. Ich will, dass du irgendwann wieder stolz auf mich sein kannst und mir wieder das Prädikat unverkäuflich auf die Stirn knallst, wenn mich mal wieder einer deiner Kollegen oder irgendein Headhunter ausspannen will.“

      „Gut gesprochen, tapfere Squaw! So kämpferisch kenne ich dich und so will ich dich ir­gendwann wieder zurückhaben. Es fällt mir zwar schwer, dich ziehen zu lassen ...“

      „Im Moment ja wohl nicht wirklich“, fiel Verena ihm ins Wort.

      „Aber“, griff er den Faden wieder auf, „du hast mich überzeugt, dass du es tun musst. Du bist es nicht nur Paul, sondern auch dir selber schuldig!“

      „Danke, Manni. Ich danke dir von ganzem Herzen!“

      Es klang aufrichtig und sie hatte das Gefühl, gleich losheulen zu müssen, wenn sie nicht schnellstens das Büro verließ. Aber ihr Chef wandte sich nochmals an sie.

      „Wie wir das finanziell regeln, lass mal meine Sorge sein. Ich zahle dir wieder dein Grundgehalt, dann kommst du gut über die Runden. Sagen wir für drei Monate, okay?“

      „Das ist zwar sehr lieb von dir“, jetzt standen ihr, als sie fortfuhr, wirklich die Tränen in den Augen, „aber