Dirk Bierekoven

Kehrtwende


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hinunter, fort in die Dunkelheit. Er wusste, dass ihn niemand aufhalten würde. Er tat das Richtige und niemand würde das bezweifeln können. Das Schicksal war auf seiner Seite. Es musste einfach auf seiner Seite sein, auf der Seite der Gerechtigkeit.

       Der erste Morgen danach:

      Mir ging es gar nicht gut.

      Überrascht?

      Ich war wie durchgekaut und ausgerotzt. Mein Magen fühlte sich an wie eine Waschmaschine im Schleudergang und mein Kreislauf hielt im Gleichschritt mit. Ich hatte rasende Kopfschmerzen, mich Stunden damit im Bett gewälzt und mein Herz lief den Hundertmeterlauf über die volle Marathondistanz. Über meine Träume, aus der Halbdämmerung, wollte ich gar nicht erst nachdenken, dann hätte ich mich gleich selber nach Weißensee geschickt.

      Ich hatte ehrlich keine Ahnung, wie ich nach Hause gekommen war.

      Ich zwang mich aus dem Bett, stellte fest, dass ich noch komplett angezogen war, und ekelte mich vor mir selber.

      Immerhin, dachte ich, eine menschliche Regung.

      Also zuerst ins Bad, nackig machen und scheißeheiß duschen.

      Danach fühlte ich mich besser.

      Ab in die Küche, auf meinen Lieblingsplatz.

      Starker Kaffee, Tritretta und Herzmittelchen, gemischt mit dem Restalkohol vom Vorabend gab mir das richtig Elan. Dachte über eine Aponeuron nach, das würde mir jetzt vollständig auf die Beine helfen, ließ es aber sein. Versuchte ja grad kürzerzutreten. Lenkte meine Gedanken stattdessen auf gestern Abend, auf Schultes Mutter und wie skurril die Situation gewesen war. Mann, hätte mir das einer vor ein paar Wochen erzählt ...

      Aber mein Auftrag war da und die Entschlossenheit nicht minder. Der üble Beigeschmack des Verrates haftete zwar weiterhin an dem gesamten Arrangement, aber ich hatte eine Entscheidung getroffen und würde diese nun auch durchziehen und zudem, hatte ich eine Wahl?

      Jetzt oder nie war der Zeitpunkt gekommen aufzuräumen und mit meiner Wohnung würde ich beginnen.

      Ich nahm die Klamotten vom Vorabend und steckte sie in einen Müllsack. Lief zurück ins Schlafzimmer, nahm sämtlichen Bettbezug und stopfte ihn dazu.

      War nur möglich, mit Luftanhalten.

      Mein lieber Apollon, was war nur aus mir geworden.

      So fuhr ich fort.

      Schlafzimmer, Bad und Flur, alles, was dort herumlag, stopfte ich in den Müllsack und schnürte ihn fest zu.

      Hätte die Kleider natürlich auch waschen können, hatte aber keine Lust auf halbe Sachen.

      Wenn Neuanfang, dann richtig.

      Beim Entsorgen fiel mir meine Lederjacke in die Hände und wie vom Blitz getroffen der Umschlag mit dem Geld in Erinnerung. Heiland, bitte lass mich nicht alles versoffen haben.

      Krempelte die Jacke auf links und fand nichts.

      Panik kam auf.

      Nicht dass mir Geld so wichtig war, war es nie, aber ich hatte auch immer welches und zu wissen, wie es ist, keines zu haben, wollte ich mir vorerst ersparen.

      Ich suchte die Wohnung ab und fand den Umschlag schließlich in meinem Stiefel.

      Wie zum Henker ...

      Öffnete ihn und stellte erleichtert fest, dass kaum etwas fehlte.

      Ich versteckte ihn in der Sockenschublade, kein Scheiß jetzt.

      Dann bekam ich Hunger.

      Ging zurück in die Küche, öffnete meinen Kühlschrank und der schrie mir seine Leere mitten ins Gesicht.

      Öffnete die Oberschränke und fand – nichts.

      Brotdose: ein zarter Pelz mit feinen Maserungen von Grün und Grau. Sah eigentlich ganz schön aus, wie ein Feldversuch mit verschiedenen Moosarten.

      Ich entschloss mich, das Frühstück zu verschieben.

      Das änderte aber nichts an meiner Laune.

      Ich wollte erst klar Schiff in der Kajüte machen. So stürzte ich mich auf sie, mit gleichbleibendem Elan. Ich schmiss die Hälfte meiner Kleidung weg, entsorgte die Brotdose, putzte den Kühlschrank, dann die ganze Küche und letztlich das Bad. Räumte den Flur und Schlafzimmerboden auf und bezog das Bett neu.

      Gegen Mittag zog ich mich an und hoppelte zum Laden um die Ecke, um das Nötigste einzukaufen.

      Toastbrot

      Vollmilch

      Würfelzucker

      Mokka-Fix-Gold (Würg, gab aber nix anderes)

      Margarine und

      drei Eier

      Schlich an den Auslagen mit dem Alkohol vorbei wie ein geprügelter Hund.

      Zog es aber durch und ließ ihn stehen.

      Zahlte bei meiner Lieblingsverkäuferin, Gitti, die, wie schon immer und ewig, großbusig im blau geblümten Kittel hinter ihrer Kasse saß und mir weder ein Lächeln noch einen Gruß schenkte.

      Nach einer ordentlichen Mahlzeit war es gerade einmal drei Uhr am Nachmittag und mir wurde verdammt langweilig. Ich versuchte, meinem Fall einen Gedanken zu schenken, aber das gelang mir nicht. Ich hatte die Konzentrationsspanne eines Feldhasen auf synthetischem Koks.

      Ich stand an meiner Terrassentür angelehnt, rauchte eine Caminet nach der anderen und schaute auf den wilden Flug der mächtigen Wolken am Himmel.

      Das Wetter war dabei, sich zu ändern.

      Es war zu warm für die Jahreszeit und der Wind kündigte nun die Kälte an.

      Irgendwann übermannte mich die Erschöpfung. Die Schmerztabletten und der Restalkohol waren verarbeitet und meine wahre körperliche Verfassung meldete ihr Dasein an. Und die war nicht gut. Ich hatte in den letzten Wochen mehr Alkohol und Tabletten vernichtet, als drei Planstaaten in der Lage waren, in derselben Zeit zu produzieren. Ehrlich, es war ein Wunder, dass ich noch gesund war und lebte. Mein Magen war mit meiner ordentlichen Mahlzeit völlig überfordert, das hatte er so seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt, und mein Hirn stellte deshalb sämtliche weiteren Körperfunktionen ein, um sich ihm voll und ganz zu widmen. Ich konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten. Schleppte mich ins Schlafzimmer zurück, fiel auf mein frisch bezogenes Bett und schlief einen langen, traumdurchzogenen Schlaf.

       Brunnen der Fruchtbarkeit

      Am nächsten Morgen wachte ich um sieben Uhr auf und fühlte nichts.

      So absolut gar nichts.

      Keine Euphorie, keine Angst, keinen Drang zur Droge, nichts.

      Ich lag im Bett, starrte an die Decke und wusste nicht, was ich tun sollte.

      Wieder versuchte ich meine Gedanken auf Max Schultes Tod zu lenken, aber es gelang mir nicht, er war mir egal.

      Er war tot. Was kümmerte mich, wer ihn getötet hatte, er war tot und nur das zählte.

      Hatte ich gesagt weniger Alkohol?

      Kacke.

      Ich bezweifelte, dass das funktionierte.

      Lag im Bett und mir fiel kein Grund ein aufzustehen.

      Hatte aber auch keinen, liegen zu bleiben. Ich hing völlig in der Luft und fand keinen Haltegriff, um mich hoch- oder runterzuziehen. So lag ich ein paar Stunden. Wie ein Pantoffeltierchen auf dem Rücken, das aufgegeben hatte.

      Dann musste ich aufs Klo.

      Es war nicht mehr einzuhalten und wenn ich nicht in meiner eigenen Pisse liegen wollte, war der Zeitpunkt gekommen, mich zu bewegen.

      Ich weiß nicht, ob mir je etwas schwerer fiel. Ich musste meine gesamte