Dirk Bierekoven

Kehrtwende


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      .

      Dauerte ne Weile, bis es bei mir ankam und dann:

      Poff! Wie ein Tiefschlag in die Magengrube.

      „Sie wollen, verdammte Scheiße, bitte schön was?!“, blaffte ich und lachte hysterisch auf.

      Sie schreckte leicht zurück.

      Der Barmann und die zwei Gestalten schauten auf, aber das interessierte mich nicht.

      Ich schnappte nach Luft. Rang nach den richtigen Worten. Nahm meinen Kopf zwischen die Hände und versuchte, mir klar zu werden, ob ich möglicherweise doch träumte.

      „Mann, jetzt beruhigen Sie sich wieder, alle schauen bereits her.“ Sie packte mich beim Arm und ich schreckte zurück.

      Ich schaute an die Theke. Die drei Affen gafften mich an. In den Augen des Wirtes konnte ich lesen, dass er mit sich rang, ob er eingreifen müsse.

      Ich versuchte, mich zu konzentrieren, um zu verstehen, was hier gerade passierte. Ich sah Eva Schulte an und hoffte, in ihrem Gesicht eine Antwort zu finden. Vermochte ich aber nicht. Sie war ganz ruhig.

      „Wollen Sie mich fertigmachen?“, fragte ich dann. „Dafür hätten Sie den langen Weg nicht auf sich nehmen müssen, das bekomme ich schon gut alleine hin.“

      „Beruhigen Sie sich bitte“, wiederholte sie, „es ist alles gut. Ich verstehe, dass Sie verwirrt sind. Vielleicht trinken sie erst einmal einen Kaffee.“ Sie winkte zum Wirt und rief: „Noch einen Kaffee bitte“, und drehte sich wieder um, starrte mir ernst in die Augen und sah ehrlich betroffen aus. Sie schaute mich an, wie sie wahrscheinlich einen Verrückten ansehen würde. Ein bisschen mit Bedauern, ein wenig ängstlich.

      Der Wirt kam mit dem Kaffee, knallte ihn vor mir auf den Tisch, blickte mich schief an, und schlich sich wieder.

      Unvorsichtigerweise nahm ich einen Schluck und musste würgen.

      Sie glaubte wohl, ich hätte mich nur verschluckt, und tätschelte meine Hand.

      „Geht es wieder?“, fragte sie.

      Ich war mir nicht sicher, was ich antworten sollte – oder wollte.

      Mann, ich war echt verwirrt.

      „Also, so wie ich das sehe, Mulder, sind Sie ja wohl ziemlich am tiefsten Punkt angekommen.“

      Ich war mir nicht sicher, ob das so war, ich hatte das Gefühl, da ging noch was. Aber ich musste eingestehen, für sie wird es wohl so ausgesehen haben.

      „Ich verschaffe Ihnen einen Neustart. Sie helfen mir, ich helfe Ihnen. Ich gebe Ihnen eine Aufgabe und bezahle Sie dafür hiermit.“ Und schob einen Umschlag über den Tisch. Ich ließ ihn liegen, öffnete ihn nur mit Daumen und Zeigefinger und sah Geld.

      Westmark.

      Hundertmarkscheine.

      Ich brauchte nicht zu zählen, es war eine verdammte Menge an Geld.

      „Ich schätze, das können Sie über kurz oder lang gut gebrauchen. Sie sind suspendiert. Schauen Sie nicht so überrascht, natürlich weiß ich das. Also, Sie sind suspendiert und haben keine Ahnung, wie es mit Ihnen weitergehen wird. Sie haben einen Oberst des Staatssicherheitsdienstes angegriffen. Glauben Sie ernsthaft Sie werden hier je wieder als Polizist arbeiten dürfen? Nehmen wir mal an, und ich spekuliere jetzt nur mal so, ohne wirklich etwas zu wissen ...“, zog die linke Augenbraue hoch und ließ mich, damit Rätsel raten, wie viel sie wirklich wusste, „… nehmen wir mal an, die BRD und die DDR werden zu einem großen Deutschland wiedervereint. Glauben Sie, dass dort für einen versoffenen Ex-Polizisten aus dem „besiegten“ Osten, der zu Wutausbrüchen neigt, Platz sein wird?“ Sie lehnte ihren hübschen Kopf leicht zur Seite und sah mich mit fragenden Augen an.

      Mir wurde mulmig.

      Nicht, dass sie mir Neues erzählte, aber es ausgesprochen aus dem Mund eines Zweiten zu hören, war dann doch noch mal etwas anderes.

      Sie fuhr fort: „Nehmen Sie das Geld, Mulder. Es verschafft Ihnen Zeit. Und wenn Sie zu meiner Zufriedenheit arbeiten, gibt es noch einmal so viel, das sollte Ihnen erst einmal weiterhelfen.“

      Ich sah auf den prall gefüllten Umschlag hinab. Sie verstand das fälschlicherweise als unentschlossenes Zögern und schob deswegen schnell nach: „Hören Sie, Mulder, es ist doch unverkennbar, dass Sie völlig orientierungslos sind. Ich glaube, eine neue Aufgabe könnte Ihnen helfen, Ihren Weg wiederzufinden und einen klaren Kopf zu bekommen.“

      Und damit traf sie einen blitzeblanken Nerv.

      Eine neue Aufgabe, und das auf meinem Spezialgebiet, davon hatte ich nicht einmal zu träumen gewagt und ich fühlte, wie allein der Gedanke daran meinen Panzer langsam von innen heraus zum Schmelzen brachte und meine Lebensgeister erregte. Das Geld konnte sich sehen lassen und würde mir Zeit verschaffen, meine Scheiße auf die Kette zu bekommen.

      Ein wirklich unmoralisches Angebot.

      Doch ich konnte nicht verdrängen, um wen es sich hier handelte. Max Schulte! Warum wollte sie den Mörder ihres Sohnes finden? Mit Sicherheit, um Rache zu nehmen, und hierbei konnte ich unmöglich Pate spielen. Und das wollte ich auch nicht. Ich war dankbar, dass Schulte tot war. Ich begrüßte, wie Schulte umgekommen war – erstochen, bestialisch, und nicht von einem Bus überfahren, bumm und aus. Ich spürte, wie jeder weitere Gedanke mich innerlich wieder erkalten ließ, und das machte mir Angst, doch ich konnte das nicht so einfach tun.

      „Warum? Warum wollen Sie, dass ich den Mörder Ihres Sohnes finde? Wollen Sie Rache, das kann nicht Ihr Ernst sein. Ihnen muss doch klar sein, dass mir der Tod Ihres Sohnes nicht nur einfach am Arsch vorbeigeht, sondern eine extreme, äußerst tiefgründige Befriedigung ist.“

      Mann, war die danach angepisst. Doch sie sammelte sich schnell. Bedenklich schnell. Keine Ohrfeige, kein Bier landete in meinem Gesicht. Sie schluckte meine Äußerung wie einen Klumpen verfaultes Fleisch herunter, was mir zeigte, wie verzweifelt sie mich brauchte. Nur wofür wirklich? Sie schüttelte sich und fuhr fort.

      „Mir ist klar, was Sie denken und wie Sie über meinen Sohn und seinen ...“, hier stockte sie kurz, zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich die Augen, Mann, sie war wirklich gut, „... seinen Tod denken. Aber versetzen Sie sich mal in meine Lage. Nach allem, was passiert ist, komme ich ausgerechnet zu Ihnen, um nach Hilfe zu bitten. Denken Sie ernsthaft, dass mir das leichtfiel? Glauben Sie, dass ich nicht tausend Alternativen vorher durchgegangen bin, bevor ich mich dazu entschloss, diesen Gang zu leisten? Glauben Sie, ich hatte keine Angst? Aber trotzdem bin ich hier, und zwar nur weil ich weiß, dass Sie gut sind, wahrscheinlich sogar der Beste. Und ich will den Besten hierfür. Und wen sollte ich sonst auch fragen? Die Polizei ist zurzeit viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.“

      Während sie sprach, blickte sie durchgehend auf das Taschentuch in ihren Händen, an dem sie rumzupfte. Dann sah sie auf und sagte: „Ich bin nicht wegen Rache hier, Mulder. Ich möchte, dass Sie verstehen, und ich möchte Ihnen nichts vormachen.“

      Daraufhin traten ihr Tränen in die Augen, doch mich ließ das immer noch völlig kalt. Sie hatte früher schon gelogen, perfekt gelogen. Polizisten und Anwälten glatt ins Gesicht gelogen, ohne Skrupel, eiskalt, ohne einen leisesten Zweifel in Stimme oder Gestik erkennen zu lassen, vorgetragen und bis zum Ende durchdacht, durchgezogen. Die Frau wusste genau, was sie wann zu tun hatte.

      Sie trocknete ihre Augen, räusperte sich, setzte sich wieder aufrecht hin und fuhr fort:

      „Nichts, wirklich nichts auf dieser Welt schmerzt so sehr wie der Verlust des eigenen Kindes. Sie haben keine Kinder, Sie können das nicht verstehen, man kann jemandem, der keine Kinder hat, nicht erklären, was es bedeutet, Kinder zu haben. Keine Liebe ist vergleichbar. Keine Liebe ist so existentiell, so wahr und unzerrüttbar, so unantastbar und einzigartig und so unzweifelhaft auf ewig. Und diese Liebe ist zeitlebens an ein Versprechen geknüpft – das Versprechen, alles Frauenmögliche dafür zu tun, dass dem eigenen Kind nichts Böses widerfährt.“

      Sie schnäuzte sich die Nase und ich dachte: Das