Dirk Bierekoven

Kehrtwende


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zu eskalieren.

      „Das ist das Problem“, sagte Sacher, „ich habe keinen anderen, Mulder. Sehen Sie sich um. Es ist niemand hier außer Ihnen, keiner aus Ihrer Einheit, und der Fall gehört nun einmal zu Ihrer Einheit, das ist einfach so. Und da Sie der Einzige und zudem auch noch der Beste sind, werden Sie den Fall übernehmen, das kommt von ganz oben und ist nicht diskutierbar.“

      Mir blieb die Spucke weg.

      Ich stand da und Hitzewallungen durchzogen meinen Körper.

      Rücken rauf, Rücken runter.

      Meine Gedanken sprangen in Panik vor den Konsequenzen dessen, was in den nächsten Minuten alles passieren könnte, hin und her.

      „Glauben Sie nicht, dass mir das gefällt, Mulder“, fuhr Sacher fort, „und wenn ich könnte, wie ich wollte, würde das anders laufen. Kann ich aber nicht, also tut es mir leid, aber so ist es jetzt.“

      Ich war sprachlos, schaute von Sacher zur Uniform und wieder zurück und sagte: „Tut mir leid, Chef, geht nicht.“

      Sacher wollte gerade noch einmal ansetzen, wurde aber von der Uniform unterbrochen, die sich nun erhob und auf mich zutrat. Sacher lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er war jetzt raus aus dem Spiel.

      Steinhoff sah mich an und begann ganz ruhig zu sprechen. Seine Stimme war ein wenig zu hoch für seine Körpergröße und viel zu sächsisch für meinen Geschmack.

      „Hören Sie gut zu, Mulder. Sie werden den Fall bearbeiten, und zwar mit aller nötigen Objektivität und Professionalität, die hierfür vonnöten ist. Schalten Sie von mir aus Ihre Leidenschaft aus, und Ihre Instinkte können Sie ebenfalls zu Hause lassen. Halten Sie sich an die Fakten und finden Sie den Mörder. Und wenn Sie ihn gefunden haben, werden Sie als Allererstes mich und nur mich alleine darüber informieren. Und finden Sie ihn schnell.“

      „Das kann ich nicht tun“, antwortete ich, „oder nein, besser gesagt, ich will das nicht tun.“

      Steinhoff trat näher an mich heran, sodass wir jetzt Nase an Nase standen.

      „Das ist keine Bitte, Mulder“, fuhr er fort, „das ist ein Befehl!“

      „Schon klar“, sagte ich, „geht aber trotzdem nicht.“

      Das war eine direkte Befehlsverweigerung.

      Verdammt.

      „Ist Ihnen klar, was Sie da sagen“, fletschte Steinhoff.

      Scheiße, dachte ich und antwortete: „Ja.“

      „Hören Sie“, versuchte ich es noch einmal vorsichtig, „wenn Sie meine Vorgeschichte mit Schulte kennen würden, dann würden Sie verstehen, dass ich …“

      „Ich kenne Ihre Geschichte sehr gut, Oberleutnant Mulder“, zischte er mir dazwischen. „Ich weiß, was Sie früher getan haben. Denunzierungen. Einige meiner Freunde und Kollegen hatten große Schwierigkeiten wegen Ihnen und Ihresgleichen, Mulder, und seien Sie versichert, dass es mir außerordentlich zuwider ist, Ihnen hier gegenüberzustehen, im selben Raum, vermeintlich auf derselben Seite, und die Luft einatmen zu müssen, die Sie ausatmen. Ich könnte kotzen wegen Ihres Gestanks nach billigem Schnaps und Verrat. Und doch stehe ich hier und beuge mich tief runter auf Ihre Höhe, und zwar nur weil Max Schulte und seine Familie langjährige Freunde von mir sind. Und ich befehle Ihnen nun noch einmal, klären Sie den Fall, und zwar schleunigst, ansonsten wird Ihr Rausschmiss noch der angenehmste Teil aller Konsequenzen sein.“

      Jetzt verstand ich langsam, es ging um etwas Persönliches, darum war die Stasinase hier.

      Aber das interessierte mich einen Scheiß, im Gegenteil, das spornte mich nur noch mehr dazu an, den beiden Herren hier klarzumachen, dass sie sich den toten Schulte und ihre Kumpaneien mit all der restlichen Verbrecherfamilie dahin schieben konnten, wo die Sonne niemals scheint.

      Ich war noch nicht fertig.

      Ich fuhr meinen Ton runter und fragte höflich: „Das heißt, ich unterstehe Ihrem direkten Befehl und habe Ihnen Bericht zu erstatten.“

      „Das ist korrekt“, sagte die Uniform.

      „Also direkt Ihnen“, wiederholte ich, „ohne Umschweife, nicht zuerst Hauptmann Sacher, sondern gleich Ihnen?“

      „Ja, unmittelbar und unverzüglich mir“, antwortete er mit Nachdruck und bereits leicht genervt, was sich aber in Kürze noch zu einem wahren Nervenzusammenbruch steigern sollte.

      „Okay“, sagte ich, „wer hat das autorisiert?“

      „Ich habe Ihnen einen klaren Befehl erteilt“, zischte die Uniform.

      „Mag sein, ja, aber tatsächlich sind Sie nicht autorisiert, mir Befehle zu erteilen. Von wem kommt der Befehl?“

      Und sah meinen Chef an, doch die Uniform grätschte wieder dazwischen.

      „Der Befehl kommt von mir, und ich bin autorisiert, ich bin die Autorisierung in Person.“

      „Sind Sie nicht“, sagte ich knapp und sah weiter Sacher an, der antwortete: „Hören Sie, Mulder, dies ist eine klare Anweisung eines Oberst des Staatssicherheitsdienstes und dieser haben Sie sich zu fügen, also fangen Sie an zu arbeiten. Und ich möchte da jetzt nicht weiter drüber diskutieren. Gehen Sie und …“

      „Entschuldigung, Chef, aber ich kann das so nicht akzeptieren. Die Zusammenarbeit mit dem Mfs muss autorisiert werden, Sie wissen das. Ich unterstehe nicht dem Befehl des MfS. Ich unterstehe dem Befehl des Dezernats II, MUK, und ein Einsatz für das MfS kann nur auf Weisung des Präsidenten der VP Berlin, des Stellvertreters für den Dienstzweig der VP, des Leiters der Abteilung KP des PdPV oder des Leiters des Dezernats II erfolgen. Also – ist einer der Herren involviert oder hat eine entsprechende Weisung veranlasst?“

      Ja, in dieser Verwaltungsscheiße bin ich wirklich gut. Das war mal Teil meiner Arbeit, das alles zu wissen, früher einmal. Wenn Sie nicht verstehen, wovon ich rede, schlagen Sie es nach.

      Das Gesicht der Uniform hatte mittlerweile die Farbe einer Brombeere angenommen und Sacher starrte mich mit Funken in den Augen nur noch an.

      Dann lächelte er leicht und schüttelte den Kopf.

      Die Uniform wollte wieder beginnen, doch ich unterbrach ihn und setzte nach.

      „Gibt es ein Führungsdokument?“, fragte ich in die Runde und wollte jetzt so richtig einen raushauen.

      „Wenn es eine Anweisung gibt“, fuhr ich fort, „sollte es ein offizielles Führungsdokument geben, wo unter anderem das Zusammenwirken von uns und dem MfS organisiert und dargestellt ist. Ein Führungsdokument von Ihnen aufgestellt und abgezeichnet ...“

      Und exakt das war der Moment, in dem es eskalierte, wo der letzte Tropfen meines spuckenden Mundes das Fass zum Überlaufen brachte und mein Leben auf den Kopf stellen sollte.

      Während Sacher mich immer nur weiter ungläubig kopfschüttelnd angaffte, verlor die Uniform komplett die Haltung.

      „Hören Sie auf mit dem Scheiß!“, unterbrach er mich, doch ich sprach ruhig, aber betont laut weiter.

      „… unterschrieben vom Präsidenten der VP Berlin, in dem die Anweisung zur Zusammenarbeit mit dem MfS angeordnet wird uuunndd …“, hob meinen Zeigefinger in die Höhe, machte eine dramatische Pause und fuhr dann fort, „… weiß der Staatsanwalt darüber Bescheid?“

      Dann, Stille.

      Tiefe, körperlich fast schmerzende Stille trat ein, bis die Uniform sie durchbrach und zitternd stammelte: „Zum letzten Mal, ich befehle Ihnen, Ihre Arbeit zu tun.“

      Aber um das Gesagte noch einmal kurz zusammenzufassen, hatte dieses Arschloch mir gar nichts zu befehlen und das sagte ich ihm dann auch.

      „Sie haben mir gar nix zu befehlen, Arschloch.“

      Er packte mich beim Rollkragen, jetzt so rot, dass sein Kopf drohte zu platzen, stierte mich mit blutunterlaufenen Augen an und fletschte: „Wo waren