Dirk Bierekoven

Kehrtwende


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Büros saß. Der Mann, ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig, hatte schwarzes Haar, mit grau durchzogen und zum Seitenscheitel gekämmt. Schmale Lippen eine große, leicht schiefe Nase und seine Augenbrauen waren an ihren Enden leicht hochgebogen. Eigentlich gutaussehend, so ein bisschen wie Klaus-Peter Thiele, wenn er nicht diese beschissen hässliche Uniform getragen hätte, die ihn automatisch zum Arschloch abstempelte.

      Sie unterbrachen ihr Gespräch abrupt, als ich eintrat, und Sacher bat mich Platz zunehmen.

      Er sah mich mit seinen dunklen Augen, die weit verborgen hinter seinen buschigen Augenbrauen saßen, ausdruckslos an. Ich konnte nichts daraus lesen. Keinen Ärger, keinen Zorn und definitiv keine Freude. Das war nicht gut, so viel war klar, und es irritierte mich.

      Ich kannte Sacher jetzt seit einigen Jahren und mit den Jahren lernt man kleinste Hinweise in Gestik und Mimik zu lesen, beabsichtigte und unbeabsichtigte, doch an diesem Tag, in diesem Raum schenkte mir sein rundes, aufgequollenes Gesicht nicht den kleinsten Furz eines Hinweises.

      Das war ein Fehler gewesen und das hätte ihm klar sein müssen. Das konnte ich ihm nie mehr verzeihen.

      Ich nahm auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz und er begann:

      „Mulder, das ist Oberst Karl Steinhoff vom Staats-sicherheitsdienst, er wird an unserer Unterhaltung teilnehmen.“

      Stasi? Hier? Warum? Eigentlich hatten wir mit denen nichts an der Backe, das war gar nicht gut.

      Ich drehte mich um und nickte der Uniform zu. Sie nickte zurück und versuchte kläglich, freundlich zu grinsen. Das war gruselig.

      „Mann, Mulder, Sie sehen beschissen aus“, bemerkte Sacher, „in welchem Loch haben Sie die letzten Tage gesteckt?“

      „Hab nur schlecht geschlafen, Chef, alles gut.“

      Sacher schaute in die Ecke und zog die Augenbüschel hoch, nahmen sie mir natürlich nicht ab.

      „Sicher“, sagte er, „aber egal jetzt, ich bin froh, dass Sie hier sind“, und hierbei zeigte er das erste Mal eine Regung, die ich deuten konnte. Er war nicht froh, dass ich da war.

      Und er fuhr fort: „Ich habe Arbeit für Sie. Ich möchte, dass Sie einen Mordfall übernehmen.“

      Mordfall? Plötzlich ging es mir besser. Adrenalin schoss mir in den Magen, dass es fast weh tat.

      „Gestern Abend gegen 22 Uhr ist ein Mann auf offener Straße angegriffen worden. Der Angriff ereignete sich in Berlin-Köpenick, Alfred-Rand-Straße Ecke Sandschloßweg. Der Mann wurde mit über zwanzig Messerstichen in Oberkörper, Hals und Kopf getötet, hat ihm dabei fast den gesamten Kopf abgetrennt, bestialisch. Offensichtlich ein Verrückter. Ich habe Krug bereits hingeschickt, um die Spuren zu sichern, und Schober, damit sie ihm assistieren kann.“

      „Moment“, unterbrach ich ihn, „Melanie Schober, die Stenosachbearbeiterin?“, fragte ich.

      „Ja, ich weiß“, antwortete er, „das ist eigentlich nicht ihre Arbeit, aber wie Sie wissen, sind wir zurzeit dünn besetzt …“, (was die Untertreibung des Jahres war), „…und sie soll lediglich dokumen- tieren, was Krug findet. Es gibt wohl zahlreiche Hinweise am Tatort. Fußabdrücke, Stofffetzen und Erbrochenes.“

      Ich stockte.

      „Kotze?“, fragte ich.

      „Ja, möglicherweise vom Täter. Könnte den Hunden helfen. Ich möchte, dass Sie den Fall übernehmen. Packen Sie Ihre sieben Sachen und fliegen Sie mit Ultraschall ein. Dürfte kein großes Problem sein, den Kerl zu fassen“, und schmiss mir die Akte rüber.

      Ich nahm sie an mich, ohne aber gleich reinzuschauen, ich wollte den ersten richtigen Fall seit einer kleinen Ewigkeit in meinem Büro mit einer heißen Tasse Kaffee genießen.

      Blieb aber erst mal noch sitzen und fragte: „Irgendwelche Zeugen, Tatverdächtige, Verwandte, Freunde?“

      „Lesen Sie die Akte!“, antwortete Sacher.

      „Alles klar, bin schon bei der Sache.“

      Blieb aber weiter sitzen.

      Was machte die Stasi hier?

      Für einen Durchschnittsmordfall sortierten die normalerweise nicht mal ihre Eier in der Hose neu und jetzt saß ein Oberst des MfS hier im Büro und hörte sich unsere Unterhaltung an.

      Irgendetwas fehlte.

      Alle schauten sich an, aber schwiegen und als letztlich scheinbar doch keiner mehr etwas hinzuzufügen hatte, erhob ich mich vom Stuhl, sagte kurz: „Alles klar, Chef, bin schon bei der Arbeit“, und schlurfte zurück zur Tür. Gerade wollte ich die Türklinke drücken, da seufzte Sacher ein lang gedehntes „Muuldeer“ aus. Ich blieb stehen, sah ihn an und dachte: „Jetzt aber.“

      „Sehen Sie sich die Akte an“, wiederholte er genervt.

      „Äh, jetzt gleich hier?“, fragte ich. „Ich wollte eigentlich in mein Büro gehen, mir eine Tasse Kaffee machen und …“

      „Sehen Sie sich die Akte an. Jetzt. Hier.“

      Ich nahm wieder Platz, schaute die Uniform kurz an, dann meinen Chef.

      Die Luft knisterte, ich öffnete die Akte und begann zu lesen:

      Polizeibericht, vom 11.11.1989, ... bla, bla, bla … das Opfer, Max Schulte, wurde aufgefunden mit ca. 20 Messerstichen,

      bla, bla, bla …

      .

      .

      .

      Mooomentchen, dachte ich, und es begann mir in den Ohren zu klingeln, das ist jetzt nicht wahr, oder?

      Ich sah über die Akte hinweg meinen Chef an und eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können. Seine Augen verrieten mir bereits die Antwort, doch ich fragte trotzdem:

      „DER Max Schulte?“

      Sacher sah in die Ecke, dann wieder zu mir und nickte.

      Ich drehte mich auf meinem Stuhl um und starrte die Uniform an, er verzog keine Miene.

      „Das ist ein Scherz, oder?“, fragte ich, sprang auf, zeigte auf die Uniform in der Ecke und zischte: „Ist er deswegen hier, um mir Angst einzujagen, falls ich ablehne?“

      „Setzen Sie sich“, antwortete Sacher, doch ich wollte mich nicht setzen, ich wollte Stunk.

      „Warum ich?“, fragte ich und schmiss die Akte auf den Schreibtisch, als würde sie mir die Finger versengen.

      „Was soll das?“, fuhr ich fort. „Ich dachte, Sie mögen mich. Ich dachte, Sie schätzen mich ein wenig. Wie können Sie mir jetzt mit so einem Scheiß kommen. Alles geht den Bach runter und Sie wollen mir jetzt noch einen draufsetzen? Das mache ich nicht, auf keinen Fall! Suchen Sie sich jemand anderen, das geht so nicht.“ Drehte mich um und wollte wieder die Türklinke drücken, als Sacher schrie:

      „Setzen Sie sich verdammt noch mal hin, Mulder, und lassen Sie uns wie vernünftige Erwachsene darüber reden.“

      Ich sah ihn an. „Wie vernünftige Erwachsene?“, fragte ich. „Was zum flotten Erich ist daran vernünftig?! Sie kennen meine Vergangenheit mit Schulte, wie kann das vernünftig sein, was Sie von mir verlangen?“ Ich sah im Augenwinkel, wie die Uniform beim „flotten Erich“ kurz zuckte, aber sie sagte nichts.

      Sacher hob beschwichtigend die Hand. „Bitte setzen Sie sich, damit wir darüber reden können.“

      „Ich will nicht darüber reden. Das widerspricht einfach jeglicher Logik und Ethik. Sie können doch nicht ernsthaft eine objektive und professionelle Aufklärung von mir verlangen nach allem, was passiert ist. Polizeiarbeit braucht Leidenschaft, Polizeiarbeit braucht Instinkte, dass wissen Sie genauso gut wie ich. Die einzige Leidenschaft, die ich hier aber gerade verspüre, ist, eine Flasche Krimsekt zu köpfen und auf den Leichensack dieses Arschlochs zu pinkeln. Und mein Instinkt rät mir dringend dazu, genau dies jetzt auch zu tun.