Irene Dorfner

Die Affäre Mollenkopf


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      „Das ist hart. Ist das der Grund, warum ihr Mann so einen Hass auf Sie hat?“

      „Ja. Seitdem erlebe ich die Hölle auf Erden. Ich habe mich damals für den Eingriff entschieden und war davon überzeugt, dass Herbert damit einverstanden gewesen sei, da schließlich mein Leben durch eine weitere Schwangerschaft auf dem Spiel stand. Wie naiv ich doch war! Ich hatte die romantische Vorstellung, dass Herbert mich so sehr liebt, dass er mich nicht nur versteht, sondern auch tröstet, schließlich litt auch ich unter der Situation. Ich glaubte daran, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber das war nicht der Fall. Nicht nur er hat mir das nie verziehen, sondern auch meine Schwiegereltern haben mich seit der Zeit gemieden und mich verachtet.“

      „Warum haben Sie sich nicht einfach scheiden lassen?“

      „Eine Unternehmergattin im tiefkatholischen Bayern? Nein, das war undenkbar. Niemals hätte Herbert einer Scheidung zugestimmt. Was hätten denn die Leute gesagt? Die Familie Mollenkopf gibt es in Mühldorf bereits seit vielen Generationen und gehört zur oberen Gesellschaftsschicht, wie immer wieder gerne betont wurde. Da konnte man keine negativen Geschichten brauchen, und eine Scheidung gleich gar nicht. Meinen Eltern wollte ich das auch nicht antun, denn sie waren sehr gläubige Menschen und eine Scheidung hätte ihnen ganz schön zugesetzt. Außerdem hatte ich immer noch einen Funken Hoffnung, dass wir uns eines Tages wieder annähern, was aber leider bis heute nicht geschehen ist.“

      Leo Schwartz war tief getroffen vom Schicksal dieser Frau. Er konnte durchaus nachvollziehen, was es für damals für ein Skandal gewesen wäre. Schließlich war er nur wenig jünger als Frau Mollenkopf. In dem kleinen, katholischen Städtchen Mühldorf, in dem jeder jeden kannte, unvorstellbar. Schon seine eigene Scheidung vor nunmehr sieben Jahren hatte sogar einige Wellen geschlagen, was ihm aber völlig egal war. Er kümmerte sich nicht um das Gerede und die Meinung anderer. Leo hatte sich damals von Karlsruhe nach Ulm versetzen lassen, um seiner geschiedenen Frau und ihrem neuen Partner nicht über den Weg laufen zu müssen. Als er jetzt nach langer Zeit über seine geschiedene Frau nachdachte, stellte er erstaunt fest, dass ihm der Gedanke an sie beinahe nichts mehr ausmachte. Er konnte sich ihr Gesicht auch nur noch schemenhaft vorstellen, die Zeit heilte tatsächlich alle Wunden. Er war trotz der erschütternden Geschichte von Frau Mollenkopf erleichtert über diese persönliche Erkenntnis. Leo bezahlte und sie gingen langsam wieder zurück. Herbert Mollenkopf kam ihnen wütend entgegen.

      „Was fällt dir ein, einfach wegzugehen? Wo warst du so lange? Und wer zum Teufel sind Sie?“

      Er war knallrot vor Wut und packte seine Frau unsanft am Arm.

      „Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf. Und Sie lassen augenblicklich Ihre Frau los! Haben wir uns verstanden?“

      Sofort ließ Mollenkopf los und trat einen Schritt zurück.

      „Entschuldigen Sie, das konnte ich nicht wissen. Sie müssen verstehen, dass ich mir Sorgen um meine Frau gemacht habe.“

      Leo ging an ihm vorbei und blieb neben ihm stehen.

      „Wenn ich mitbekomme, dass Sie Ihre Frau nochmal so grob anfassen, können Sie sich auf etwas gefasst machen.“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Leo weiter und ließ ihn mit offenem Mund stehen.

      Die Beamten hatten ihre Arbeit hier vor Ort vorerst beendet, Friedrich Fuchs war mit der Spurensicherung noch lange nicht fertig. Die Kriminalbeamten fuhren ins Präsidium, wo ihr Vorgesetzter Rudolf Krohmer ungeduldig wartete. Selbstverständlich kannte auch er das Modehaus Mollenkopf und war entsetzt, als er hörte, dass dort eingebrochen wurde. Wenig später saßen sie im Besprechungszimmer und tranken Kaffee, den ihnen Frau Gutbrod servierte. Sie war auch heute für ihre sechzig Jahre wieder viel zu modisch gekleidet. Sie trug zur Abwechslung türkisfarbene Strähnen im schwarz gefärbten langen Haar, passend zu dem türkisfarbenen Minikleid, den schwarzen Strümpfen und den viel zu hohen Schuhen. Sie trödelte auffällig, denn sie hatte läuten hören, dass in einem Modegeschäft eingebrochen wurde. Natürlich wollte sie aus erster Hand hören, um welches Geschäft es sich handelte. Als Sekretärin von Rudolf Krohmer würde sie es in Kürze sowieso erfahren, aber sie war doch zu neugierig und musste es sofort wissen. Die Kollegen warteten allerdings, bis sie das Zimmer wieder verlassen hatte. Sie wollten offensichtlich nicht in ihrer Gegenwart sprechen, was das Ganze für sie nur noch interessanter machte und wodurch ihre Neugier noch wuchs.

      Jeder Einzelne trug seine Vernehmungsprotokolle vor.

      „Mit Petra Knabel habe ich gesprochen,“ beendete Viktoria ihre Ausführungen. „Sie ist seit eineinhalb Jahren in dem Modehaus beschäftigt und hat bereits eine neue Anstellung, da sie an ihrem Arbeitsplatz, sowie mit dem - ich zitiere – „sturen, überheblichen und völlig verblödeten Herrn Mollenkopf“ nicht mehr länger arbeiten möchte.“

      Rudolf Krohmer hatte wortlos zugehört und war sehr erstaunt über das, was er über das Ehepaar Mollenkopf hörte. Er war den beiden in den letzten Jahren ab und zu bei verschiedenen Veranstaltungen über den Weg gelaufen und hatte immer den Eindruck gehabt, dass die beiden ein schönes Paar abgaben und absolut harmonierten. Auch wenn Krohmer bei Mode-Mollenkopf einkaufte, gab sich der Inhaber immer charmant und wortgewandt, es fiel nicht ein böses Wort. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er nicht von Frau Mollenkopf bedient wurde, sondern immer nur von Herbert Mollenkopf und Heidi Schmidt.

      „Ich fasse nochmals zusammen: Die Ehe der Mollenkopfs ist zu Ende. Mollenkopf erniedrigt scheinbar mit Vorliebe seine Frau, die sich das wiederum gefallen lässt, da sie von ihrem Mann finanziell abhängig ist. Mollenkopf hat ein Verhältnis mit Heidi Schmidt.“ Das Verhältnis wurmte Krohmer am meisten, denn er kannte und schätzte die junge Frau bisher sehr. „Dann haben wir die Verkäuferin Käthe Hiendlmaier, die kurz vor der Rente steht und sich Mollenkopf nicht widersetzt. Die junge Angestellte Petra Knabel widersetzt sich ihrem Arbeitgeber und tritt in Kürze eine neue Stellung an. Wie ich verstanden habe, glauben Sie keinesfalls an das, was Mollenkopf als gestohlen angegeben hat?“

      Er blickte in die Runde und bekam allseits Zustimmung. Auch er selbst glaubte nicht daran. Das Bargeld konnte er vielleicht noch nachvollziehen, obwohl er es selber wahrscheinlich umgehend zur Bank gebracht hätte. Aber welcher normal denkende Mensch legt den Schmuck seiner Frau und auch noch eine Sammlung Goldmünzen in den Safe seines Geschäfts? Dafür wählte man doch das Privathaus oder die Bank. Nein, für ihn war Mollenkopfs Angabe nicht nachvollziehbar.

      „Nehmen Sie sich den Laden genauer vor und überprüfen Sie, ob das Modegeschäft tatsächlich kurz vor der Schließung steht.“

      „Wie sieht es mit den Privatkonten der Mollenkopfs aus? Bekommen wir die Genehmigung?“

      Rudolf Krohmer schüttelte energisch den Kopf.

      „Keine Chance, das kriege ich nicht durch. Die beiden sind angesehene Personen der Mühldorfer Gesellschaft. Was glauben Sie, was das für Wellen schlägt? Außerdem geht es offiziell nur um einen Einbruch. Hat sich Fuchs bezüglich der Blutspuren gemeldet?“

      „Noch nicht. Ich glaube, er ist noch nicht zurück.“

      Krohmer war sauer. Fuchs arbeitete nun schon seit Stunden vor Ort und wie er ihn kannte, bestimmt nicht gerade diskret und unauffällig. Ihn grauste jetzt schon vor den Problemen, die das mit sich bringen würde. Ohne ein weiteres Wort ging er in sein Büro und dachte über das nach, was er eben gehört hatte. Sein Telefon klingelte, es war Herbert Mollenkopf.

      „Herr Krohmer, ich grüße Sie. Sie haben bestimmt schon gehört, welches Unglück uns widerfahren ist?“

      Krohmer atmete tief durch, der Horror ging bereits los.

      „Ich habe eben mit meinen ermittelnden Beamten gesprochen. Es tut mir sehr leid, was passiert ist. Für Sie und vor allem für Ihre Frau muss das Ganze schrecklich sein. Sie können versichert sein, dass meine Kollegen mit Hochdruck an dem Fall arbeiten.“

      „Jaja, danke für Ihr Mitgefühl. Ich muss gestehen, dass ich von Ihren Beamten nicht sehr freundlich behandelt wurde, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wissen Ihre Leute nicht, wer ich bin? Natürlich möchte ich keine Sonderbehandlung, aber ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher.