Günther Dümler

Mords-Wut


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unterschiedliche Personen gleiche Begriffe leicht unterschiedlich aussprechen.

      Bei allen, die sich meiner gutgemeinten Warnungen zum Trotz nicht davon abbringen lassen dieses Buch zu lesen, obwohl sie nicht in Franken geboren sind, möchte ich mich bereits im Voraus entschuldigen, falls sie aufgrund der verwendeten Sprache und deren Schreibweise vor ernsthafte Probleme gestellt werden.

      Doud mer Leid, wohr nedd äsuu gmaand!

       Endlich ist der Frühling doch noch in die Gänge gekommen. Die angenehm wärmende Maisonne strahlt huldvoll auf die zu neuem Leben erwachte Natur herab und animiert die riesige Vielfalt der bunten Blumen zu ungeahnten Höchstleistungen. Das kleine fränkische Dörfchen Röthenbach oder Rödnbach, wie die Einheimischen ihren Heimatort liebevoll nennen, scheint jedoch in tiefem Schlaf zu liegen. Unverändert friedlich liegt es an den Ufern des munter dahinfließenden gleichnamigen Bächleins inmitten der anheimelnden, von schroffen Felsen und sanften Wiesen geprägten Landschaft Mittelfrankens. Der Ort vermittelt bei erster, oberflächlicher Ansicht das Idealbild eines klassischen Postkartenidylls. Er gibt dem Betrachter ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, ist sprichwörtlich ein Hort von Gediegenheit und Tugend, wie es ihn eben nur noch auf dem Lande gibt. Hier erwartet man fleißige, ehrbare und bescheidene Bürger, die pflichtbewusst ihrer Arbeit nachgehen, in perfektem Einklang mit Gott und der Welt.

      Gott ist hier eindeutig katholisch, wenn auch nicht mehr so allgegenwärtig wie in früheren Zeiten. Ein bisschen hat die Moderne schon Einzug gehalten, mit ihr einhergehend eine gewisse Mündigkeit der Menschen. Man glaubt nicht mehr alles was die Kirche sagt und gleich gar nicht mehr im wörtlichen Sinne, wie damals noch im Kindergartenalter, als man sich aufgrund der recht anschaulichen Darstellungen in der Kinderbibel den dreifaltigen Gott noch als alten Mann mit weißem Bart und mit drei Augen vorstellte. Einen mit stets wachsamen Augen, denen nichts, was auf der Welt geschieht, entgeht und als gütigen Großvater, der darüber wacht, dass seinen Schutzbefohlenen kein Leid geschieht. Schade eigentlich, dass dem Menschen mit zunehmendem Alter und damit einhergehender schmerzlicher Erfahrung immer weniger von diesem grenzenlosen, kindlichen Gottvertrauen bleibt.

      Als oberster irdischer Vertreter dieses göttlichen Wesens fungiert in Röthenbach der hochwürdige Herr Pfarrer Willibald Stiegler, ein gewissenhafter, älterer Geistlicher, der entgegen dem heute üblichen Trend von den Dörflern immer noch allgemein als Respektsperson betrachtet wird, was er sich allein schon durch seine unaufgeregte, einfühlsame und gerechte Art verdient hat. Er lebt vor, was er glaubt und verdient sich damit die Anerkennung auch derer, die der Kirche schön längst die Gefolgschaft aufgekündigt haben. Allerdings ist auch er nicht mehr die unfehlbare moralische Instanz des Dorfes, wie das seine Vorgänger als Rödnbacher Ortspfarrer kraft ihres Amtes noch vor etwa fünfzig Jahren ohne Wenn und Aber für alle Bürger waren. Damals ließ sich kaum einer in aller Öffentlichkeit zu einer Ungehörigkeit, gleich welcher Art hinreißen, schon nicht aus Furcht vor dem berechtigten Tadel des damaligen Hochwürdigen Herrn Geistlichen Rates. Die erschrockene Frage, „Woss wärd nern dou der Pfarrer derzou soong?“, wäre unweigerlich gestellt worden.

      Spätestens seit dem letzten Sommer ist in Rödnbach vieles anders geworden. Damals war der Geist des Bösen wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen und in dem verträumten Dorf hatte sich ein Alptraum aus Lügen und Geldgier breit gemacht, der am Ende sogar in zwei sinnlosen Morden seinen Höhepunkt fand. Ein prominentes und beliebtes Mitglied der Gemeinde war von der eigenen Ehefrau aus eigensüchtigen Gründen heimtückisch ermordet worden. Sie hatte ihm heimlich Gift ins Bier geschüttet, ein doppeltes Sakrileg. Da geben sich seit Jahrhunderten ganze Generationen von Bierbrauern die größte Mühe, sich peinlichst genau an das bayerische Reinheitsgebot zu halten, die letzte Bastion, auf die man bisher immer blind vertrauen konnte und dann kommt eine solche unsäglich schändliche Person daher und macht alles Können zuschanden. Pfui Teufel!

      Die ländliche Idylle war für lange Zeit, wenn nicht für immer, aufs empfindlichste gestört, nahezu zerstört. Nicht einmal vor der allseits beliebten und frommen Pfarrhaushälterin Fräulein Lohmaier, dem Fleisch gewordenen und auf Erden wandelnden Sinnbild der Unschuld, machte das Verbrechen Halt. Sie war seinerzeit aus niedrigen materiellen Gründen und auf brutalste Art und Weise beseitigt worden.

      Ja, die Moral! Sie ist nicht mehr so gefestigt, wie in der guten alten Zeit. Allerdings muss man wohl oder übel zugestehen, dass die Lohmaierin, zumindest im ursprünglichen Wortsinn, auch nicht mehr als hundertprozentig unschuldig durchgehen konnte. Schließlich waren der Grund für ihre Ermordung ein heimliches Verhältnis mit dem Malermeister Georg Schiffermüller, sowie die körperlichen Folgen, die aus dieser Verbindung entstanden waren und die, wäre das Kind erst einmal geboren, eine ernste Bedrohung für das Erbe von Georgs Tochter Bettina dargestellt hätten.

      Inzwischen war weitgehend Gras über die Sache gewachsen und es bestand große Hoffnung, dass die Wunden verheilt wären und das Dorf erneut zu einem Hort des Friedens und der Sicherheit werden würde.

      Wohlauf! Die Luft geht frisch und rein,

      wer lange sitzt muss rosten.

      Aus „Das Lied der Franken“

      Hochwürden Willibald Stiegler saß tief in Gedanken versunken auf der kleinen hölzernen Bank, welche sich eng an die Südseite des Röthenbacher Pfarrhauses schmiegte. Er hatte Mühe, sich auf seine immer noch unvollendete Predigt für den bevorstehenden Pfingstsonntag zu konzentrieren. Immer wieder wurden seine Ideen von lautem Rufen und eiligen Schritten unterbrochen, sowie von einem Geräusch, wie es beim Schleppen schwerer Gegenstände entsteht. Hier, wo er sonst stets eine nahezu himmlische Ruhe vorfand und ihm, wie es ihm vorkam, der Heilige Geist gewissermaßen persönlich die passenden Worte eingab, herrschte im Moment eine hektische Betriebsamkeit und ein geradezu unerträglicher Lärm. „Herr, erbarme Dich!“

      Der Herr erbarmte sich nicht. Es wäre auch schwer für ihn geworden, ohne ungerechterweise Partei zu ergreifen, denn genau den gleichen Stoßseufzer hatte vor gar nicht langer Zeit Barbara Reinwald zum Himmel geschickt, jedoch mit einer eher entgegengesetzten Intention. Sie wollte natürlich, dass ihr eigenes Vorhaben so schnell wie möglich vorankam. Am Pfingstmontag, gleich nach der Frühmesse, wollte sie mit ihrer Mädchengruppe in die fränkische Schweiz zum Zeltlager aufbrechen. Daher hatten sie und ihre Mädels nun alle Hände voll zu tun, die erforderlichen Gegenstände vom Dachboden des Gemeindesaals herunter zu schaffen und in den vor dem Pfarrhaus parkenden Kleinlaster zu verladen. Die Aufschrift „Metzgerei Bräunlein, feine Fleisch- und Wurstwaren aus eigener Herstellung“ täuschte ein wenig über den wahren Inhalt des Fahrzeugs hinweg. Das hatte ihnen großzügiger weise der Röthenbacher Metzgermeister, Simon Bräunlein, zur Verfügung gestellt. Statt der Schweinehälften und feinen Wurstwaren, die Simon normalerweise damit transportierte enthielt die Ladefläche nun allerlei Zubehör, das die Mädels für ihren Aufenthalt in der freien Natur benötigten. Doch noch lange nicht alles. Die Mädchen waren voller Vorfreude und schnatterten aufgeregt wie kleine Gänschen wild durcheinander. Und wo die ordnende Hand fehlt, da herrscht bald das absolute Chaos und ständige Zurufe treten an die Stelle sinnvoller Planung und durchdachten Handelns. Bärbel, wie die neue Gemeindereferentin Barbara Reinwald von ihren Mädels gerufen wurde, versuchte immer wieder mit energischer Kommandostimme Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Dem Pfarrer wurde es bald zu bunt. Er gab klein bei, seufzte noch einmal vernehmlich und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, um sein Glück bei geschlossenen Fenstern erneut zu versuchen.

      „Entschuldigung, wir sind gleich fertig!“, rief ihm Barbara noch hinterher.

      Das war allerdings eine allzu optimistische Prognose, wie sich im weiteren Verlauf heraus stellen sollte. Die Heringe, den großen Hordentopf und den Grill hatten sie schnell gefunden und auch schon im Wagen verstaut, das riesige Zwölfmann-, Entschuldigung, Zwölfmädchenzelt war aber einfach zu sperrig und brutal schwer, so dass sich das Heruntertragen vom Dachboden, über die enge, steile Treppe bald als nicht durchführbar herausstellte. Nicht für die zarten Mädels, jedenfalls nicht ohne Kratzer an den erst kürzlich frisch gestrichenen Wänden und schon gar nicht ohne irreparable