Günther Dümler

Mords-Wut


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und siebzehn Jahre alt und daher eigentlich keine wirkliche Mädchengruppe mehr, sondern schon eher eine Interessengruppe heranwachsender junger Frauen. Das Attribut „heranwachsend“ darf man allerdings nicht allzu wörtlich nehmen, es galt ganz bestimmt nicht bezüglich des körperlichen Reifezustands. In dieser Hinsicht waren sie alle schon komplett. Der Wachstumsprozess war, wie man auf den ersten Blick erkennen konnte, diesbezüglich mit hervorragendem Erfolg abgeschlossen, was natürlich dem männlichen Teil der Röthenbacher Jugend durchaus nicht entgangen war.

      Daher konnte es auch nicht verwundern, dass zwei dieser Burschen in einigem Abstand hinter dem Zaun des Pfarrgartens herum lungerten, anscheinend um angestrengt die aktuelle Entwicklung der Kräuter und Sträucher im Pfarrgarten zu studieren. Heimlich warfen sie von Zeit zu Zeit sehnsüchtige Blicke hinüber zum Ort des Geschehens, immer hoffend, dass man ihrer Mithilfe bedurfte. Endlich war es soweit. Als Barbara sah, dass ihnen mittlerweile die Zeit davonlief, machte sie den Jungs ein einladendes Zeichen während sie ihnen zurief: „Wenn ihr schon einmal da seid, dann könnt ihr euch auch nützlich machen!“

      Feixend sahen sich die Beiden an. „Na also, geht doch!“, dachten sie und trabten erfreut los.

      Einige der Mädels fingen heimlich an zu grinsen. Zwei von ihnen, Nadine und Lena, warfen sich bedeutsame Blicke zu. Es war nicht zuletzt Lena, weswegen Marc und in seinem Schlepptau Julian überhaupt gekommen waren. Marc und Lena waren seit Monaten schwer in einander verliebt und galten in Lenas Klasse als festes Paar. Ihre beste Freundin Nadine dagegen hatte seit langem ein besitzergreifendes Auge auf Julian geworfen, doch der schien bisher leider noch nichts davon zu bemerken. Die kunstvoll gepinselten pechschwarzen Wimpern waren im Begriff ihr Opfer geradezu aufzuspießen. Ein Entkommen war praktisch nicht mehr möglich! Und wenn er erst einmal realisiert hätte, was für ein Schmuckstück sich da seiner erbarmt hatte, würde er ohne Zweifel nie mehr etwas anderes wollen, als sich in ihrer betörenden Nähe aufzuhalten.

      Die Einladung war für die beiden Jungs das Beste, was ihnen passieren konnte. Endlich konnten sie der versammelten weiblichen Dorfjugend im passenden Alter zeigen, was für tolle Kerle sie waren. In kürzester Zeit waren die beiden Gemeinschaftszelte auf die Ladefläche gehievt und die Heckklappe geschlossen.

      Wer jetzig Zeiten leben will, muss habn ein tapfers Herze,

      Es sein der argen Feind so viel, bereiten ihm groß Schmerze.

      Da heißt es stehn ganz unverzagt in seiner blanken Wehre,

      Dass sich der Feind nicht an uns wagt:

      Es geht um Gut und Ehre.

      Aus der „Mundorgel“

      Bärbel Reinwald war zufrieden. Alles hatte bisher prima geklappt. Nur noch zwei Tage, dann würden sie mit den Fahrrädern die wenigen Kilometer in die „Fränkische“ hinausradeln, um nahezu eine ganze Woche in Gottes freier Natur zu verbringen. Ihrer Jugendgruppe würde es gut tun, einmal fernab von Mutters Verwöhnprogramm und ganz auf sich alleine gestellt, unter einfachen Verhältnissen, selbst für mindestens eine tägliche Mahlzeit zu sorgen. Verantwortung übernehmen war das Ziel. Zudem würde das geplante Handyverbot, mit Ausnahme von Notfällen und zwei Stunden am Nachmittag, vermutlich der Gruppendynamik gut tun. Erholung von den Anforderungen in Schule und Lehrzeit und Besinnung auf das Wesentliche standen ganz oben auf dem Programm. Vielleicht gelang es auch, einige nicht so ohne weiteres definierbare, aber nahezu mit bloßen Händen zu greifende diffuse Verstimmungen in der Gruppe aufzuklären und einem guten Ende zuzuführen.

      Auch für sich selbst erhoffte sich die Leiterin ein bisschen Ruhe und die Gelegenheit, mit der eigenen Situation ins Reine zu kommen. Bis vor drei Monaten, vor ihrer urplötzlichen Vertreibung nach Röthenbach, war sie noch in einer Nürnberger Pfarrei in gleicher Position tätig gewesen. Die Arbeit mit den Jugendlichen hatte ihr großen Spaß gemacht, den Religionsunterricht hatte sie tadellos absolviert, die Schüler hatten sie voll akzeptiert. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sie selbst eine junge Frau mit modernen Ansichten ist, deren Unterricht sich von den langweiligen, moralisierenden und vor allem knochentrockenen Vorträgen ihrer Vorgänger wohltuend abhebt.

      Jedoch, es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ein paar ewig gestrige Mitglieder des Pfarrgemeinderates rieben sich an den moralischen Ansichten von Barbara Reinwald. Sie hatten gewaltig etwas auszusetzen. Vor allem daran, dass sie in der Diskussion mit ihren Schülern bezüglich der Frage der Empfängnisverhütung gewissermaßen dem Papst regelmäßig in höchst pflichtvergessener Weise in den Rücken fiel, indem sie die Antibabypille für obligatorisch erklärte, sobald die Mädchen sexuell aktiv wurden. Das war für sich alleine bereits untragbar. Erstens haben anständige unverheiratete Frauen keine sexuellen Aktivitäten, egal welcher Art, und zweitens darf die Zeugung eines Kindes keinesfalls verhindert werden, denn der liebe Gott freut sich über jedes neue Menschenkind, wie man schon bei Beckenbauers Offenbarungen, Kap1, Vers2 nachlesen kann.

      Als sie aber zudem zwei Wochen später den Einsatz von Kondomen zur Verhütung von ansteckenden Krankheiten dringend empfahl, war das Fass mehr als voll. Nein, nein, es war nicht nur voll, es war bereits übergelaufen. Zunächst wurde der „Fall Reinwald“ unter den zwölf Aposteln, wie nicht wenige, teils offen, teils hinter vorgehaltener Hand, die Pfarrgemeinderäte nannten, intern diskutiert. Durchaus kontrovers. Auf diese Weise kamen also die Gemeindepharisäer nicht entscheidend weiter. Anscheinend war selbst der Kreis der Vorzeigekatholiken bereits zu sehr mit modernen Ansichten verseucht. Es folgte die sofortige, direkte Intervention durch eine Abordnung der aufrechten, gesetzestreuen Gläubigen beim Gemeindepfarrer. Allen voran Hubertus Heigl, ein bigotter alter Mann, der aufgrund seines tadellosen Charakters, den er in der öffentlichen Wahrnehmung hatte, in den Rosenkranzandachten regelmäßig als Vorbeter zum Einsatz kam.

      „Aber hören Sie doch, Herr Pfarrer, was ist denn das für ein Beispiel, das diese, immerhin von unseren Kirchensteuern finanzierte, impertinente junge Dame da unseren Kindern gibt. Diese Person“, wobei das Wort Person in eindeutig abwertender Intention ausgesprochen, ja ausgespuckt wurde, „verführt unsere Jugend auf eine geradezu diabolische Art und Weise. Jawohl, ich scheue mich nicht es beim Namen zu nennen, sie tut das Werk des Teufels. Sie müssen dem sofort Einhalt gebieten. Sie müssen! Es ist ihre heilige Pflicht!“

      Das war nur der Anfang einer längeren, ausführlichen Hasstirade, gespickt mit unzähligen Beispielen übelster Pflichtverletzung seitens des sauberen Fräulein Reinwalds. Doch der Pfarrer, selbst eher ein ziemlich liberaler Mann, versuchte abzuwiegeln und war nicht bereit, dem Häuflein der Bigotten und Selbstgerechten kampflos nachzugeben. Fräulein Reinwald blieb.

      Doch die Verteidiger von Moral und Anstand waren mit ihrem Latein noch nicht am Ende. Ganz besonders Hubertus Heigl nicht. Er hatte eine heilige Mission. Genau! Mission! Das war gut. Genauso wie es Pflicht der Missionare ist, den armen irregeleiteten Negerkindlein in Afrika den wahren Glauben zu bringen, so war er berufen, für die einzig richtige, reine Gesinnung in seiner Heimatpfarrei zu sorgen. Und so folgte ein Beschwerdebrief dem Anderen, fein säuberlich adressiert an das bischöfliche Ordinariat, stets gewürzt mit einem Seitenhieb auf den nachlässigen Gemeindepfarrer, der sich der gerechten Sache verweigerte und stets gespickt mit Unterstellungen bezüglich des Benehmens des unwürdigen Fräulein Reinwald. Eben hatte Hubertus der Fromme erneut ein Kuvert zugeklebt. Auf dem Weg in die Kirche würde er es in den Briefkasten werfen, um dann den aufrechten Gläubigen als Vorbeter bei der abendlichen Rosenkranzandacht zu dienen.

      Vom bischöflichen Ordinariat gab es jeweils Rückfragen beim Pfarrer, einmal wurde er sogar einbestellt, aber es gab immer noch keine Konsequenzen für Barbara. Also mussten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Warum dauerte das nur so lange? Die Eltern der Schüler wurden jetzt massiv mit der moralischen Keule bearbeitet. Weitere, schärfere Beschwerdebriefe mit immer eindringlicheren Worten folgten. Ohne Erfolg. Es wurde bereits in Erwägung gezogen, seine Exzellenz, den Hochwürdigen Herrn Bischof anlässlich der anstehenden Firmung anzusprechen, um ihn persönlich zu informieren. Die gemeindeeigenen Taliban waren verzweifelt. Da ließ der Herr ein Wunder geschehen.

      „Herr Heigl! Hallo, Herr Heigl!“, zischte eine der Getreuen des obersten Pharisäers